Weshalb starke Marken professionelle Bilder brauchen

Schaut man in das World Wide Web, dann erlebt die Fotografie seit einigen Jahren einen gewaltigen Boom. Auf Facebook, ­Instagram, und Pinterest wird jeder noch so bedeutende bzw. unbedeutende Moment, Ort oder Gegenstand gepostet. Die grossen Brands hingegen setzen mehr denn je auf austauschbare Stockfotografie. Was ist da los? Der Markenberater Peter Glassen und der Fotograf Guy Jost im Gespräch über die Bedeutung der Fotografie für eine erfolgreiche Markenstrategie.

Guy, ist dir das auch schon aufgefallen? Ich sehe in der Schweiz und in Deutschland immer häufiger Kampagnen grosser Marken, die austauschbare Stockfotografie verwenden. Wäre da nicht in einer Ecke des Markenzeichen, würde ich gar nicht erkennen, wer mit mir gerade kommuniziert. Die Motive sind erschreckend beliebig. Und dabei sind Fotos eines der besten Mittel, um Emotionen und vor ­allem dem Charakter einer Marke Ausdruck zu verleihen. Wie siehst Du diesen Trend als ­Fotograf?

Guy Jost (GJ): Nicht nur die Fotografie ist demokratisiert – auch der Umgang mit Bildern. Was ­früher noch den Profis vorbehalten war, ist heute zugänglich für viele. Noch nie wurden so viele ­Bilder pro Minute auf den sozialen Kanälen ver­öffentlicht wie heute. Jeder wird zum Bildermacher – und die heutigen Kameras, bis hin zu den Smartphones, erleichtern den technischen Umgang ungemein. Ja, ich nehme diesen Trend auch wahr, dass nun auch grosse Marken sich ­vermehrt mit Stockbildern begnügen. Ich frage mich, ob es für eine Marke reicht, sich dem allgemeinen Geschmack der Mehrheit anzupassen und dabei eine Schärfung aus den Augen zu verlieren? Ich bezweifle sehr, dass es reicht, sich einem Phänomen der Masse anzunehmen, in dessen Sprache verhaftet zu bleiben und dabei zu meinen, eine Wiedererkennung oder gar ­Etablierung der Marke zu erreichen. Dieses ­Verhalten hat für mich etwas von Anbiederung – einem Verlust der Professionalität. Ist es nicht gerade eine wichtige Aufgabe einer Marke, sich möglichst klar zu formulieren und mit einem eigenständigen Auftritt erkennbar zu sein?

PG: Vor Kurzem las ich in der NZZ ein Interview mit dem Unternehmer und Yello-Front-Mann Dieter Meier. Auf die Frage, weshalb er so lange erfolgreich im Geschäft sei, antwortete er: «Entweder man arbeitet nach innen, entdeckt sich selbst als einzigartiges Individuum und gräbt aus sich heraus, was einen von anderen unterscheidet. Oder man setzt auf radikalen ­Opportunismus: Man hört sich an, was gerade angesagt ist – und versucht, möglichst nahe an das ranzukommen. Aber diese Methode funktioniert meist nicht.»

Ich kann Dieter Meier nur zustimmen: Bei der Zusammenarbeit mit Kunden und Agenturen achten wir verstärkt darauf, diese Einzigartigkeit der Markenidentität herauszuarbeiten. Oft ist der Blick auf die Konkurrenz und aktuelle Trends so stark, dass die Verantwortlichen die eigene Marke ganz aus den Augen verlieren. Dabei liegt das wirkliche Potenzial für erfolgreiche Marken­kommunikation im Produkt, der Dienstleistung oder dem Unternehmen selbst. Nebst den klassischen Mitteln der Corporate Visual Identity wie Logo, Farbe, Typografie ist die Fotografie ein ­exzellentes Mittel, um die Markenpersönlichkeit zielgruppengerecht zu kommunizieren. Fotos sind nicht nur ein Abbild, sie transportieren weit mehr Botschaften als manchem Betrachter bewusst ist. Forschungen belegen, dass sie einen hohen Aufmerksamkeitswert besitzen, besonders schnell erfasst werden und sehr gut Emotionen übertragen. Deshalb würde mich interessieren, was für Dich professionelle (Werbe)Fotografie auszeichnet.

GJ: Da kann ich mich Dieter Meier anschliessen. Es braucht Mut, zu den eigenen (inneren) Werten zu stehen und dem Trend, von allen gelikt zu ­werden, zu widerstehen. Sein Zielpublikum und dessen Bedürfnisse und Gesten wahrzunehmen und mit ihm in einen glaubwürdigen Dialog zu treten, ist eine Herausforderung – dabei kann gute, professionelle Fotografie helfen.

Meinen Studierenden versuche ich stets klar­zumachen, dass in diesem Zusammenhang gute fotografische Bilder nicht schnell-schnell entstehen können. Es braucht viel gedankliche Vorarbeit und technisches Know-how. Wobei die Technik nicht nur auf das Bedienen einer Kamera reduziert werden kann. Zu einem professionellen Umgang in der Fotografie zählt auch das Wissen, welche Elemente in einem Bild was bewirken und was sie aussagen. Bilder referenzieren auf Bewusstes und Unbewusstes, dessen sollten sich alle im Umgang mit Fotografien bewusst sein. In einem fotografischen Bild halte ich einen ­Moment fest, in diesem Moment kann eine ganze Welt stecken und in diesem einen Moment kann ich dem Betrachter mehr vermitteln als Worte dies könnten. Meine Überzeugung und meine ­Erfahrung zeigen mir: Wenn man sich auf diesen Prozess einlässt, sich bei der Entwicklung und in der Umsetzung Zeit nimmt, wesentlich bessere und markantere Bildwelten entstehen können, als bei opportunen «Schnellschüssen».

PG: Aber was, wenn Abertausende Bilder im multimedialen Zeitalter ständig sprechen und um Aufmerksamkeit ringen? In diesem bunten Rauschen wird es für Marken und die Fotografie immer schwieriger, visuelles Gehör zu finden. Ich schätze Deine Haltung, nicht auf Beschleunigung, sondern Konzentration zu setzen. In einer beschleunigten Gesellschaft sicher keine einfache Position, aber die einzige Möglichkeit für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Gegenüber.

Einen ähnlich konzentrierten und visuell starken Prozess habe ich gerade in Heilbronn begleitet. Dort eröffnete im März das Science Center experimenta (www.experimenta.science). Eine Wissen- und Erlebniswelt der Wissenschaft, für die ich den Markenkern entwickeln durfte. Es war eine Herausforderung, einen inhaltlich und formal so komplexen Ort zu erfassen. Und vor allem: Wie lassen sich Technik und Wissenschaft an Kinder, Jugendliche und Erwachsene vermitteln, ohne altbacken und technisch zu wirken?

Von Beginn an war klar, dass der Bilderwelt besonderes viel Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Auf der Basis des Markenkerns entwickelte Antje Hedde ein eigenständiges Bildkonzept, das den Fokus nicht auf die Technik, sondern auf den Menschen und sein Erleben richtet. Für die People ­Photography war die in den Niederlanden lebende Art-Direktorin und Fotografin Hannah ­Lipowsky verantwortlich. Sie gab mit ihrem ­sensiblen Blick den Entdecker-, Erlebnis- und ­Forscherwelten die einladende Wirkung, selbst in den experimenta-Kosmos eintauchen zu wollen. Keine Stockfotografie hätte jemals diese Wirkung erzielt.

GJ: Genau darin liegt die grosse Herausforderung! Bilder werden zur Massenware. Permanent und überall werden wir mit Bildern konfrontiert – wir produzieren und konsumieren Bilder in einer enormen Geschwindigkeit. Gleichzeitig stelle ich fest, dass wir visuelle Analphabeten sind und dies in einem visuellen Zeitalter. Vielleicht ist weniger das «Lesen» als viel mehr das «Schreiben» in eine Unschärfe gerutscht. Der reine Gestus des Zeigens innerhalb eines Bildes (längst nicht mehr nur auf sozialen Plattformen) und das an der Oberfläche verhaftete, erklärende Bild vermag nicht zu überzeugen und überdauert keine ­Sekunde – es wird sogleich weggewischt. Um dem entgegenzuwirken, versuche ich, mit meinen Kunden einen bewussten und geschärften Umgang mit Bildern zu pflegen.

Ein Gedanke ist noch keine Idee, eine Idee noch keine Kampagne. Die Verdichtung und das ­Abstimmen aller Zutaten fördern gute Bilder zu Tage. Bilder, die überdauern können. Lesen wir Worte, wird nur das Sprachzentrum aktiviert. ­Betrachten wir ein Bild, werden viele unterschiedliche Hirnregionen stimuliert. Sich bewusst ­werden, was alles in einer Fotografie steckt, zahlt sich aus.

Auf Instagram bin ich auf einen bekannten Fruchtsafthersteller gestossen. Was ich da zu ­sehen bekam, war erschreckend. Eine Flut wahl­loser Bilder mit technisch schlampig hinein­kopierten Fruchtsaftflaschen beleidigte meine Augen. Die Bilder sind austauschbar, unbedacht und unprofessionell. Dass es auch anders geht, zeigt zum Beispiel die Kampagne der Swiss. Um der Austauschbarkeit der Bilder von Fluggesellschaften zu entgehen, stellt die Swiss ein durchdachtes und eigenständiges Bildkonzept vor. Diese Bilder müssen nicht erklären, sondern dürfen erzählen und zwar auf einer bewusst emotionalen Ebene.

Die Fotografie kann so vieles: Sie kann ein Hinweis auf Vergangenes sein, Teil einer Geschichte. Sie kann aufzeigen, sichtbar machen, was sonst für uns so nicht sichtbar wäre. Sie kann berühren, verzaubern, täuschen und vieles mehr. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, brauchen starke Marken gut ausgebildete, professionelle Foto­grafinnen und Fotografen.

PG: Die zunehmende Bedeutung von Bildern in den unterschiedlichen Medien und Alltags­bereichen hat in den letzten Jahren ein riesiges Bilderangebot erzeugt, was sehr gut an der Stockfotografie zu sehen ist: Bilder lassen sich kostengünstig und leicht zu jedem x-beliebigen Thema ­finden. Zum einen ist das ein Symptom des immensen Bildbedarfs, zum anderen ist es ein ­Indiz für den Werteverfall des Bildes an sich. Diese Bilder zeigen nichts Konkretes bzw. Authentisches, im Gegenteil, sie sind ein Klischee. Und das heisst noch lange nicht, dass sie bedeutungslos sind. Der Fall des Fruchtsaftherstellers führt vor Augen, wie kontraproduktiv die Bildaussage sein kann, was schliesslich auf die Marke zu­rückfällt. Um das zu verhindern, braucht es mit ­Sicherheit mehr Bildkompetenz auf der Seite der ­Imagery-Verantwortlichen.

Aber ich finde, diese Kompetenz darf nicht nur den BildermacherInnen vorbehalten sein. Denn während der Mensch in der geschriebenen oder gesprochenen Sprache über die Mittel der Grammatik, Orthografie und Rhetorik verfügt, sind seine Fähigkeiten zur Dekodierung unserer Bildkultur weiterhin unterbelichtet. Um nicht nur die Bilder der Werbung, sondern auch der PR und des Journalismus zu dekodieren, sollte der ­Umgang mit ihnen bereits in der Schule erlernt werden. Aber das sollten wir ein anderes Mal ­diskutieren.

Die Gesprächspartner

Peter Glassen ist Markenberater und Semiotiker. Er berät und begleitet Unternehmen und Organisationen bei der strategischen Entwicklung ihrer Marken. Als Gründer des Schweizer Expert*innen-Netzwerks für angewandte Semiotik (semiotics.ch) legt er einen Fokus auf kulturelle Codes und Zeichen. Neben seiner Beratertätigkeit ist er Hochschuldozent für Bildtheorie und Referent zu den Themen Markenbildung und Semiotik. semiotics.ch


Guy Jost ist Fotograf und Dozent. Er bewegt sich gekonnt ­zwischen Studiofotografie, Portrait und Landschaftsfotografie. Seit über 15 Jahren realisiert er Still-Life-, Food- und Corporate-­Kampagnen für internationale Kunden und Unternehmen. Neben seiner fotografischen Arbeit doziert Guy Jost an der ­Hochschule der Künste in Bern HKB und ist Studienleiter der HF Fotografie an der SfGB-B.

Immer wieder realisiert Guy Jost eigene fotografische Kunstprojekte. In Ausstellungen in Deutschland und der Schweiz finden seine fotografischen Arbeiten Käufer und Kunstsammler.

www.guyjost.ch

  • Autor Peter Glassen
    Peter Glassen ist Markenberater und Semiotiker. Er berät und begleitet Unternehmen und Organisationen bei der strategischen Entwicklung ihrer Marken. Als Gründer des Schweizer Expert*innen-Netzwerks für angewandte Semiotik (semiotics.ch) legt er einen Fokus auf kulturelle Codes und Zeichen. Neben seiner Beratertätigkeit ist er Hochschuldozent für Bildtheorie und Referent zu den Themen Markenbildung und Semiotik.
  • Rubrik Magazin
  • Dossier: Publisher 2-2019

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