Von nachhaltigem Wachstum verwöhnt

Digital Signage gilt im Moment als der Wachstumsmarkt in der visuellen Kommunikation. Gerade auch für Dienstleister der grafischen Industrie bietet sich hier die Chance, wieder mal Wachstumsluft zu ­schnuppern.

«Alles Digitalisierbare wird digitalisiert werden. Der Druck bildet keine Ausnahme.» Mit diesen Statement lancierte Benny Landa vor über 30 Jahren die Digitaldruck-Revolution, in der wir heute noch mittendrin stecken. Und immer häufiger bedeutet die Digitalisierung, dass Monitore ganz grundsätzlich das Gedruckte ersetzen. Die Entwicklung bei der Display-Technologie schreitet im Moment rasant voran und macht Digital Signage zu einem der vielversprechendsten Wachstumsmärkte der visuellen Kommunikation. Mit einem Marktanteil von deutlich über 50 Prozent ist Samsung bei der Hardware in diesem Bereich unbestrittener Marktführer. Daniel Périsset, Head of CE IT bei Samsung Schweiz, darf sich über jährliche Wachstumsraten von rund 20 Prozent freuen und er ist zuversichtlich, dass dies sich nicht so rasch ändern wird. «Nachdem die Grossfirmen vor vier Jahren Digital Signage für ihre Kommunikation entdeckt haben, steigen jetzt vermehrt auch die Schweizer KMU ein. Und 5G wird der Entwicklung nochmals viel zusätzlichen Schub geben, indem sich die Displays drahtlos vernetzen lassen.»

Digital Signage soll helfen, Medienbrüche in der Kommunikation zu überwinden. Beispielsweise haben Unternehmen zwar ihren Internet-Auftritt in den letzten Jahren laufend aktualisiert, am Ladengeschäft selbst ist diese Entwicklung bislang jedoch oft vorbeigegangen. Dies nicht zuletzt, weil die hohen Kosten abgeschreckt hatten. Während beispielsweise ein 55-Zoll-Display für das Schaufenster vor sieben Jahren gegen 25 000 Franken kostete, ist ein solcher heute für unter 5000 Franken zu haben.

Fallbeispiel LOEB Bern
Der im letzten Jahr abgeschlossene Umbau des Berner Warenhaus LOEB beinhaltete als zentrales Element ein Digitalisierungskonzept. Die JLS Digital AG realisierte dieses mit 70 digitalen Kommunikations- und Interaktionslösungen. Unterschiedliche Digital-Signage-Installationen in den Schaufenstern des Haupthauses und des Lebensmittel-LOEB verstärken die Aussenwirkung. In Abhängigkeit der Tageszeit und des Installationsstandorts werden unterschiedliche Inhalte (Marken, Events, Angebote) kommuniziert. Damit will LOEB die traditionsreiche Schaufensterkultur mit einem «digitalen Anstrich» fortführen.
Im Bereich der Innenkommunikation setzt LOEB neue digitale «Store Directories» auf allen Stockwerken zur Verbesserung der Orientierung ein. Dazu kommen zusätzliche Installationen in den Kassen- und Beratungszonen zur Kommunikation von Events und Angeboten.
Durch die Realisierung einer interaktiven Lösung in den Umkleidekabinen kann per Knopfdruck Beratung angefordert werden, wobei die Mitarbeitenden über ihre Apple Watches notifiziert werden. Auch lassen sich in allen Inspirationswelten und Verweilzonen der verschiedenen Gastrokonzepte ausgewählte Produkte über eine Touchapplikation bestellen. «LOEB zeigt auf, wie die Digitalisierung des stationären Handels geht: Fokus auf Kundenbedürfnisse, nicht auf Technologie», bilanziert Patrick Minder, CEO von JLS DIGITAL .

Aussenwerbung wird programmatisch

Es geht also – im aktuellen Marketing Slang gesprochen – darum, Digital Signage zu nutzen, um das Netz digitaler Touchpoints in der Customer Journey zu verdichten. So lassen sich Digitalkampagnen in Bereiche weiterziehen, die früher der Printkommunikation vorbehalten waren. Am augenfällig­sten ist dies im Bereich der Aussenwerbung – man spricht hier auch von Digital Out Of Home (DOOH). Um satte 19 Prozent ist der Umsatz letztes Jahr in diesem Bereich in der Schweiz gewachsen. Gegenüber dem klassischen Plakat bieten Displays auch den Vorteil, dass man je nach Tageszeit auf die Besucherströme abgestimmte Inhalte zeigen kann. Dieser von der Onlinewerbung bekannte «programmatische» Ansatz kommt jetzt auch im Bereich DOOH in der Praxis an, unter anderem, weil jetzt die ­nötige Dichte an Displays vorhanden ist. So konnte Neo Advertising Ende Jahr die Programmatic-Premiere in der Schweiz vermelden. Die Kampagne für die Transports Publics Genevois deckte den gesamten Grossraum Genf mit über 500 Screens ab, auf denen – so Neo Advertising – «eine kontextualisierte und personalisierte Werbebotschaft automatisch zur richtigen Zeit an die richtige Person und am richtigen Ort» ausgelöst wurde, siehe Kasten unten.

Die Aussenwerbung kann somit in bestehende programmatische Online-Kampagnen integriert werden. Es überrascht daher nicht , dass auch Adobe mit dem Adobe Experience Manager künftig vermehrt in diesem Markt mitmischen will. Gemäss der Consulting-Firma Invidis plant Adobe für dieses Jahr eine Digital-Signage- und DOOH-Initiative, die es Partnern und Integratoren ermöglichen soll, AEM-Screens auch ohne die grosse Experience-Plattform wertschöpfend einzusetzen.

Nun sind die Rollen in der Aussenwerbung zwischen Auftraggebern, Kreativ­agenturen und Vermarktern schon sehr gut eingespielt und es bietet sich wenig Spielraum für Druckdienstleister, hier einen Fuss in die Türe zu bekommen, sprich sich neue Geschäftsbereiche zu erschliessen.
Ganz anders im Bereich Point of Sales (POS) und Infosysteme: Hier finden sich vielfältigste neue Anwendungen, wo Schweizer KMU in ihrer Kommunikation direkt profitieren können. Und hier dürften Druckdienstleister und Werbetechniker mit ihrer regionalen Verankerung und ihren bestehenden Kundenbeziehungen gute Chancen haben, jenseits des Verdrängungswettbewerbs ­wieder mal Wachstumsluft zu schnuppern! Diese Einschätzung wurde uns bei unseren Recherchen von allen Seiten bestätigt.

Léman Express Genf: Erste programmatische Aussenwerbungskampagne der Schweiz
Mit der Inbetriebnahme des Léman Express wurde eine intensive Werbekampagne mit starker Media-Präsenz lanciert, um die Pendler aus dem Grossraum Genf und Waadtland auf das erweiterte Streckennetz der Genfer S-Bahn aufmerksam zu machen. Die Ausstrahlungen erfolgten während 20 Tagen – ab dem 16. Dezember 2019 – auf allen 532 Neo-Advertising-Screens in Einkaufszentren und Verkaufspunkten von Coop Pronto der Kantone Genf und Waadt sowie am Flughafen Genf.
Als Premiere auf dem Schweizer Markt wurde die Kampagne programmatisch ausgespielt, das heisst dynamisch mit passenden Botschaften pro relevante Zielgruppe. Dafür kamen unterschiedliche Sujets für die ­verschiedenen Zielgruppen wie Verkehrsteilnehmer, Geschäftsreisende, Pendler oder Einkäufer zum Einsatz. Dank programmatischer Planung wurden die passenden Sujets je nach Tageszeit und Standort des Screens gezielt ausgespielt. Im Welcome-Bereich des Flughafens stand am Wochenende die Zielgruppe Familie im Fokus, unter der Woche am Gate eher der Geschäftsreisende. Insgesamt erreichte die Kampagne rund 34 Millionen Kontakte/Views auf den 532 Screens.
Für diese erste Kampagne erfolgte die Zuordnung von Sujets, Standorten und Tageszeiten noch aufgrund von persönlichen Erfahrungswerten. Gemäss Gérald Le Meur, Direktor von Out of Home Media SA in der Westschweiz, ist es jedoch das erklärte Ziel, schon bald eine wirklich programmatische, d. h. durch das System voll automatisierte Kampagnenplanung auszustrahlen. Dies setzt voraus, dass jetzt entsprechende Daten so schnell wie möglich für die Planung verfügbar werden. Dazu Florian Maas, COO von Neo Advertising: «Der programmatische Einkauf ist eine Revolution in der Entwicklung von DOOH-Kampagnen und wird eine unserer strategischen Prioritäten für 2020 sein.»

Info-Systeme, die sich dank Werbung selber finanzieren

Stefan Stammbach, Area Sales Manager beim Distributor MobilePro AG, sieht viel Potenzial bei Anwendungen aller Art, die man nur mit etwas Kreativität anzustossen braucht. Er hat dazu selbst einen kleinen Feldversuch angestellt, der das schön veranschaulicht. Anlass war der immer weiter ausufernde «Blätterwald» in der Kita seiner Söhne mit Infozetteln zu Menü- und Arbeitsplänen, Erkrankungen etc. Stefan Stammbach investierte 3000 Franken in ein Info-Display und bot der Kita an, die oberen zwei Drittel kostenlos für diese Mitteilungen zu nutzen, wenn er das untere Drittel für Werbung zur Verfügung habe. Diese Fläche bot er Firmen, die junge Familien ansprechen, zum Preis von 100 Franken pro Monat an. Rasch hatte er sechs Partner gefunden, die das Paket gleich für zwei Jahre buchten, was einen Umsatz von 14 400 Franken ergibt – man rechne!

Die Kita wäre von sich aus nie auf die Idee gekommen, diesen Schritt in die Digitalisierung zu machen. Vergleichbare Chancen für neue Geschäftsmodelle gibt es nach Einschätzung Stefan Stammbachs in jeder Branche zuhauf. Unter anderem aktuell mit den von NEC neu vorgestellten LED-Postern der A-Serie, quasi digitalen Rollups. Mit einem Preis von rund 8000 Franken sei das eine andere Investition als ein konventionelles Rollup, was das System wiederum genau für Werbetechniker zum Vermieten an ihre Kunden interessant mache.

Nicht Fläche verkaufen, sondern Zeit für Konzeption und Kreation!

Der Verband Werbetechnik und Print (VWP) möchte gemäss Marketingleiter Simon Widmer das Thema Digital Signage dieses Jahr aktiv aufgreifen und seine Mitglieder in diesem Bereich unterstützen, zum Beispiel mit Infoveranstaltungen. Mit seiner Firma Siegel Reklamen GmbH hat Simon Widmer selber schon Digital-Signage-Projekte realisiert, zum Beispiel mit einem Infoscreen in einem Pub: «Digital Signage passt zu unserer Strategie, uns vom Werbetechnik-Betrieb immer mehr in Richtung Agentur zu entwickeln. Dabei können wir auf unserer Kernkompentenz aufbauen, Gestaltungen zu entwickeln, die medienübergreifend funktionieren. Und natürlich ist damit auch ein Umdenken verbunden: es geht nicht mehr primär darum, Fläche zu verkaufen, sondern unsere Zeit für Konzeption und Kreation.»

Auch Vito Puntillo, Verkaufs- und Marketingleiter der Inputech AG, sieht Druckdienstleister und speziell Werbetechniker in einer ausgezeichneten Ausgangslage, um sich ein Stück vom Digital-Signage-Kuchen abzuschneiden. Seine Firma ist seit 1993 in diesem Bereich tätig und heute in der Schweiz Marktführer bei Outdoor-Screens, die oft massgeschneidert auf Kundenbedürfnisse in der Schweiz produziert werden, siehe Kasten unten. Solche digitalen Outdoor-Stelen hat Inputech schon oft in Zusammenarbeit mit einem Werbetechnik-Betrieb als Partner installiert. Diese haben gemäss Vito Puntillo oft einen vielversprechenden regionalen Kundenstamm und Digital Signage bietet Ihnen die Chance, ihre Kunden mal mit etwas ganz Neuem anzusprechen. Bei der Projektierung ist Inputech unterstützend dabei und die erste Installation ist für den Werbetechnik-Betrieb gleich die Schulung am praktischen Beispiel.

Mit dem LED-Poster der A-Serie lanciert NEC quasi das digitale Rollup: Es ist schmal, relativ leicht und bietet die hohe Leuchtkraft der LED-Technologie.

Gegenpol zur E-Mail-Flut

Neben der Aussenwerbung und dem Retail (POS) sind Info- und Kommunikationssysteme im Unternehmen selbst ein dritter grosser Anwendungsbereich von Digital Signage. Sehr stark auf diesen Markt fokussiert hat sich Ricoh. Christian Funke, Business Development Manager Communication Services bei Ricoh Schweiz, sieht hier gerade wegen der Überflutung der digitalen Kanäle eine Chance für Digital Signage. Was sich wie ein Widerspruch anhört, erklärt sich so: Gerade die E-Mail-Flut, unter der Mitarbeiter allerorts leiden, macht es schwierig, diese für die interne Kommunikation über diesen Kanal zu erreichen. Über Displays kann man hier zusätzlich Aufmerksamkeit generieren und gewisse Themen anteasern. Ist die Aufmerksamkeit geschaffen, können die Detailinfos dann über die üblichen Kanäle verteilt werden. Auch bei Ricoh wächst dieser Bereich überdurchschnittlich, das heisst zweistellig.

Das Fazit ist also klar: mit Digital Signage wächst jetzt rasant ein neuer Kanal heran, der mit visuellen Inhalten bespielt werden will. Für alle Profis der visuellen Kommunikation sind das sehr gute Nachrichten!

Mix von Werbung und Info
In der Schweiz weit verbreitet sind die FORIS-Outdoor-Kiosklösungen von Inputech. Sie basieren auf einer modularen Konstruktion, die Grössen von 42 bis 75 Zoll zulässt. Über den Partner Livesystems stehen solche Lösungen in vielen Städten wie zum Beispiel in Schaffhausen. Bespielt werden sie mit einem Mix von Werbung und Information: Hier Angaben zu den nächsten Busabfahrtszeiten, aktuelle Nachrichten von Nau.ch und dazwischen Werbung.
Als Schweizer Hersteller hebt Inputech die Widerstandsfähigkeit der Screen-Systeme auch gegenüber unserer landestypischen Witterung bis in die Berg­gebiete hervor.
Für kundenbezogene Werbung können die Geräte optional mit visuellen Sensoren erweitert werden und jegliche Geschehnisse in der Umgebung erfassen. Personen können bezüglich Alter, Geschlecht, Kleidungsstil, Gemütslage etc. wie auch durch ihre Bewegungen unterschieden werden, was sich für zielgenaue Werbebotschaften und Angebote nutzen lässt.

  • Autor Martin Spaar
    Martin Spaar ist Gründer des PUBLISHER und hat diesen kontinuierlich zum führenden Magazin im Bereich Publishing und Digitaldruck im deutschen Sprachraum ausgebaut. Anfang 2019 hat er die Zeitschrift an das junge Team der Pantara GmbH übergeben. Jedoch bleibt er dem PUBLISHER als Autor weiterhin verbunden und ist über freie Mandate auch sonst aktiv in der Schweizer Publishing-Szene unterwegs.
  • Rubrik Werbetechnik
  • Dossier: Publisher 1-2020
  • Thema Kommunikation, Digital

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