Der gute Ton

Professionelle Filmproduktion mit Open-Source-Software, Teil 2

Im zweiten Teil unserer Artikelreihe zum Thema Filmproduktion mit freier Software, bei dem wir einen Museumsfilm produzieren, werfen wir einen Blick auf die Audio-Seite. Dafür verwenden wir das Audio-Bearbeitungsprogramm Audacity.

Nachdem fast alle benötigten Audio- und Video-Dateien für den Dokumentarfilm in einheitlichen Formaten vorlagen (PUBLISHER 1-2021), nahmen wir den Feinschliff und das Mischen ins Visier. Ein Audio-Bearbeitungsprogramm musste im Rahmen des Projekts verschiedene Aufgaben erfüllen.

Zunächst ist hier das Extrahieren von Audiodaten im WAV-Format aus aktuellen Videos zu nennen. Hinzu kam das Problem, dass für den Film kein Budget zur Produktion von Musik bereitstand, sodass auf gemeinfreie Aufnahmen zurückgegriffen werden musste. Für den «Teaser» bedeutete dies eine Umkehrung der Verhältnisse: Es war zunächst notwendig, die Audiodaten vorzubereiten, bevor das Videomaterial an den Rhythmus angepasst werden konnte.

Da für den Hauptteil sehr viele digitalisierte Stummfilme zum Einsatz kamen oder der Originalton nicht zu gebrauchen war, mussten teilweise verschiedene Tonspuren aus unterschiedlichen Quellen gemischt und bearbeitet werden. Ausserdem war es zuweilen erforderlich, Mono-Audio in Stereo umzuwandeln.

Für die Audio-Bearbeitung fiel die Wahl auf eines der populärsten Open-Source-Programme überhaupt, nämlich Audacity, das Mitte März 2021 in der stark überarbeiteten Version 3.0.0 veröffentlicht wurde. Da mit dieser Software auch schon kommerzielle Musikalben produziert wurden, war dies, neben der leichten Erlernbarkeit, ein Argument für deren Einsatz.

Bedienung mit Präzision
Im Gegensatz zu manch anderer Audio-Software, die völlig überladen ist, zeigt sich Audacity auf den ersten Blick als eher spartanisch. Dennoch wird schon beim Öffnen einer Tondatei deutlich, dass auch Audacity dem vermutlich von WaveLab etablierten Standard mit horizontaler Anzeige der einzelnen Spuren folgt.

In Sachen Präzision stellt sich bei Video- und Audio-Bearbeitern immer die Frage, wie genau eine Software auf der Zeitleiste arbeitet. Hier erfüllt Audacity alle Projektanforderungen, weil es bis auf eine Millisekunde genau funktioniert und auch eine numerische Eingabe erlaubt. Wer optische Unterstützung bevorzugt, kann die Spektralansicht beliebig vergrössern.

Die Dialoge zum Import und der Aktivierung von Erweiterungen in Audacity.


Erweiterungen
Audacity lässt sich mit Plug-ins erweitern, wie man es von einer Software dieser Qualitätsstufe erwartet. Im Gegensatz zu vielen Grafikprogrammen verwendet es jedoch nicht das populäre Python, sondern eine Scriptsprache namens Nyquist. Audacity-Erweiterungen stehen daher vor allem in diesem Format (Datei-Endung: *.ny) zur Verfügung und sind in der Regel nur wenige Kilobyte gross. Nach dem Herunterladen von der Audacity-Website kann man sie per Werkzeuge > Nyquist-Erweiterungsinstaller einfach installieren. Unter Umständen muss man das Plug-in nach der Installation noch über Werkzeuge > Erweiterungen hinzufügen/entfernen aktivieren.

Darüber hinaus kann Audacity mit Effekten im kommerziellen Virtual-Studio-Technology-Format (VST) umgehen. Dies gilt jedoch nicht für Synthesizer-Plug-ins, die im selben Format vorliegen. Ausserdem sind VST-Erweiterungen plattformabhängig, sodass einem grossen Angebot auf der Windows-Seite ein geringes für OS X und Linux gegenübersteht.

Schluss mit dem Verzeichniswirrwarr
Mit der jüngst erschienenen Version 3.0.0 beseitigt Audacity ein altes Problem, nämlich die Trennung zwischen der eigentlichen Programmdatei im XML-Format AUB und den zugehörigen Audiodateien im AU-Format, die automatisch in einem separaten Unterordner gespeichert wurden. Dies hat in der Vergangenheit wegen versehentlich gelöschter Verzeichnisse immer wieder zu Problemen geführt. Nun speichert Audacity alle Daten in einer einzigen Datei mit der Endung AUB3. Dies führt allerdings zu einer nicht unproblematischen Einschränkung, denn wegen der Dateigrössenbeschränkung von FAT32 funktioniert das Abspeichern auf Datenträgern mit diesem Dateisystem nicht mehr.

Der MP3-Export-Dialog mit seinen zahlreichen Optionen.

Wie einsteigen?
Als Projekt mit einer langen Geschichte und einem grossen Benutzerkreis kann Audacity mit einer hervorragenden Dokumentation in Form eines Wikis aufwarten, das regelmässig aktualisiert wird. Der einzige Nachteil ist, dass die vollständige Seite nur auf Englisch zur Verfügung steht.

Aufgabe 1: Video zu WAV
Von Haus aus kann Audacity keine Audio-Daten aus Videos extrahieren. Um dies zu ermöglichen, muss man das FFmpeg-Plug-in installieren. Danach ist es unter Umständen notwendig, das Plug-in manuell unter Einstellungen > Bibliotheken zu aktivieren. Anschliessend lädt Audacity anstandslos die Tonspuren der meisten Video-Formate, ermöglicht deren Bearbeitung und das Abspeichern als WAV.

Aufgabe 2: Von Mono nach Stereo
Es ist einfach, eine Stereo-Spur in Mono umzuwandeln. Audacity bietet hierzu verschiedene Optionen an, die sich vor allem zum Reduzieren der Dateigrösse von Podcasts eignen, ohne das Hörerlebnis zu beeinträchtigen. Für das Filmprojekt war es jedoch von grösserer Bedeutung, Mono-Spuren älterer und digitalisierter Tonfilme als Quasi-Stereo abzuspeichern.

Die einfachste Methode ist, eine Tonspur zu duplizieren und eine der beiden Spuren zwischen ein und drei Millisekunden später einsetzen zu lassen. Etwas eleganter verfährt hingegen das Nyquist-Plug-in «Pseudo-Stereo», das zusätzliche Einstellungsmöglichkeiten bietet und ein perfektes Ergebnis geliefert hat. «Pseudo-Stereo» muss indes separat heruntergeladen und ­installiert werden.

Die tonspurzentrierte, horizontale Benutzeroberfläche von Audacity.

Aufgabe 3: Klang-Erzeugung
Als Audio-Bearbeitungsprogramm kann Audacity natürlich nicht mit einem echten Software-Synthesizer mithalten. Für ein Projekt wie das beschriebene sowie alles, was sich unterhalb den Anforderungen eines Kinofilms bewegt, dürften die unter Erzeugen verfügbaren Klänge mit ihren zahlreichen Optionen jedoch ausreichen, zumal man weitere Tondateien und Nyquist-Plug-ins herunterladen und anschliessend bearbeiten kann.

Aufgabe 4: Audio-Optimierung
In Sachen Optimierung schlägt sich Audacity sehr gut, vorausgesetzt, man weiss, wo man die entsprechenden Einstellschrauben findet. Die meisten befinden sich im langen Effekte-Menü. Ansonsten kann man in der Grundeinstellung die Lautstärke und Kanalbalance in Stereo-Dateien anpassen. Viele Plug-ins runden das Angebot ab, etwa zur Rauschunterdrückung oder zum Ein- oder Ausblenden.

Aufgabe 5: Audioschnitt

So seltsam es auch erscheinen mag: Das Schneiden von Audio-Dateien gehört zu den am schwierigsten erlernbaren Funktionen von Audacity. Man benötigt schon ein gerüttelt Mass an Zeit, um mit den Eigenheiten der Software zurechtzukommen. Hat man die Hürde aber erst einmal genommen, geht die Arbeit sehr flott von der Hand, zumal Audacity jederzeit eine Echtzeitprobe des Schnittergebnisses liefern kann.

Das eingeblendete Mischpult von Audacity, das wahlweise stets im Vordergund bleibt.



Aufgabe 6: Audio mischen
Wenn man am Endpunkt der Audio-Bearbeitung für ein Filmprojekt angelangt ist, nämlich dem Mischen der Tonspuren, stellt man erleichtert fest, wie schnell sich das mit Audacity erledigen lässt. Wem die Regler am linken Bildschirmrand nicht präzise genug sind, kann über Ansicht > Mixer ein digitales Mischpult hervorzaubern, das genauere Einstellungen ermöglicht.

Fazit
Die traditionellen Mischpulte werden, nicht zuletzt wegen ihrer haptischen Qualität, auf absehbare Zeit nicht aus der Film- und Tonbearbeitung verschwinden, insbesondere wenn man sie zusammen mit Audioprogrammen eingesetzt. Wer aber als Mittelständler zur Bearbeitung von Audio-Dateien für Videos ein ausgereiftes und vielseitiges Programm benötigt, ohne in ein Mischpult oder teure Software investieren zu können oder wollen, kann getrost zu Audacity ­greifen. ↑

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