Mehr als nur Kosmetik
Bei der kürzlich veröffentlichten Version des freien Bildbearbeitungsprogramms GIMP handelt sich um das bisher grösste Update der 2.10er-Serie. Ob Benutzeroberfläche, Performance oder neue Funktionen: Neuerungen, wohin man blickt.
Wer die Entwicklung von GIMP verfolgt, dürfte angesichts des Sprungs von Version 2.10.14 auf 2.10.18 die Stirn runzeln, denn eigentlich war 2.10.16 angekündigt. Anders als beim Übergang von Windows 8 zu Windows 10 spielten hier jedoch weder Aberglaube noch Marketing eine Rolle. Vielmehr haben die Entwickler nach der Fertigstellung von GIMP 2.10.16 noch einen als schwerwiegend eingestuften Fehler entdeckt, der sie dazu veranlasste, unmittelbar zu der aktuellen Versionsnummer überzugehen und die Gelegenheit zu nutzen, weitere, inzwischen stabile Funktionen einzubauen. Aufgrund der vielen Neuerungen erscheint dieser Schritt als gerechtfertigt.
Schlankheitskur
Auf Anwender vorheriger GIMP-Versionen dürfte die geänderte Benutzeroberfläche zunächst etwas befremdend wirken, denn nunmehr sind die Werkzeuge im Werkzeugkasten auf der linken Seite gruppiert. Das kennt man aus Programmen von Herstellern wie Adobe oder Quark, aber wenn man, wie wohl die meisten GIMP-Nutzer, die Werkzeugoptionen aktiviert hat, wird man das Ergebnis nicht eben überzeugend finden.
Glücklicherweise aber haben es die Entwickler einfacher gemacht, die Oberfläche anzupassen. Der Dialog mit den Werkzeugoptionen lässt sich jetzt nämlich leichter als vorher an eine andere Stelle verschieben und andocken, sodass der Infotext, der einem bisher anzeigte, dass man andockbare Dialoge dorthin ziehen kann, überflüssig wurde. Zieht man also den Schieberegler in der Mitte des Werkzeugkastens nach links, so erhält man eine einspaltige Werkzeugleiste, wie man sie auch aus Photoshop kennt – ursprünglich waren nur zwei Spalten möglich, wenn man auf alle Werkzeuge schnell zugreifen wollte. Im Dialog Bearbeiten > Einstellungen kann man unter Oberfläche > Werkzeugkasten die Inhalte der Tool-Gruppen nach Belieben anpassen.
Darüber hinaus ermöglichen es die nun wesentlich komfortableren Andock-Optionen, sich mit wenigen Handgriffen eine GIMP-Benutzeroberfläche zu basteln, die Photoshop CC sehr nahe kommt. Im Prinzip war das auch bisher schon möglich, aber wegen der schwachen optischen Rückmeldung der Benutzeroberfläche etwas umständlich. Version 2.10.18 beseitigt dieses Problem, indem es nun klar anzeigt, was wo und wie andocken wird. Dazu bedient es sich relativ breiter blauer Rahmen. Zieht man einen Dialog in eine existierende Dialogspalte, wird er dort untergebracht. Wird aber eine zusätzliche Spalte gewünscht, zieht man den Dialog auf den blauen Rahmen einer Spalte, der dadurch von dunkel- auf hellblau wechselt und nach dem Loslassen der Maustaste eine neue Spalte erzeugt. Das tönt in der Beschreibung kompliziert, ist aber in der Praxis sehr einfach.
Zusätzlich haben die Entwickler GIMP einen neuen Satz an hochauflösenden Icons spendiert, der Anwendern, die die dunkelgraue Benutzeroberfläche und die unbunten Symbole bevorzugen, die Erkennung erleichtert. Eine kleine, aber feine Ergänzung ist die weisse Umrandung der Icons für die Vorder- bzw. Hintergrundfarbe. Auf diese Weise heben sich die ausgewählten Farben deutlicher vom Hintergrund ab.
Weniger Flaschenhälse
Zwar konnte GIMP 2.10 bereits enorme Fortschritte in der Bearbeitungsgeschwindigkeit bei grossen Dateien vorweisen, jedoch war dies noch nicht in jedem Fall befriedigend. In der aktuellen Version funktionieren viele alltäglich gebrauchte Werkzeuge (vor allem das Skalieren) deutlich schneller. Zusätzlich wurden die Vorschaufunktionen häufig genutzter Werkzeuge verbessert, um neue Optionen erweitert und beschleunigt.
Erfahrene GIMP-Anwender werden sich vermutlich über das geänderte Verhalten der Pinsel- und Sprühpistolen-Werkzeuge wundern, denn diese sind nun um den Faktor sechs schneller als in früheren Versionen, was auch eine angepasste Arbeitsweise bezüglich der Werkzeugeinstellungen erfordert.
Ausserdem haben die Entwickler das Laden externer Ressourcen, darunter Pinsel aus Photoshop im ABR-Format, beschleunigt. A propos Photoshop: GIMP kann jetzt auch PSD-Dateien im CMYKA-Farbmodell importieren. Da das Programm aber noch keine Unterstützung für dieses Farbmodell bietet, werden die Farben einstweilen nach RGBA (8 Bit) konvertiert. Zusätzlich haben die GIMP-Entwickler die Ladezeit für komplexe Photoshop-Dateien um bis zu 50 Prozent reduziert.
Die Maus im Klavier
Die Schieberegler in Dialogen früherer Versionen von GIMP 2.10 haben viele Anwender zur Verzweiflung getrieben (Publisher 4-18). 2.10.18 beseitigt das Problem grösstenteils, indem sich die Regler nun so verhalten, wie man es von ihnen erwartet. Ein Klick auf das Mausrad aktiviert jetzt die numerische Eingabe von Werten. Dagegen ist das Problem mit den Maximalwerten in einigen Dialogen mit Schiebereglern weiterhin ungelöst, denn die sichtbare Rückmeldung der Benutzeroberfläche signalisiert einen Endpunkt bereits, wenn dieser noch lange nicht erreicht ist. Anwender sind daher vorläufig noch darauf angewiesen, mit der Maus über den rechten Rand des Schiebers hinaus zu ziehen oder mittels numerischer Eingabe zu testen, was der höchstmögliche Wert ist.
Aus Anwendersicht äusserst erfreulich sind hingegen die neuen Tastatur-Maus-Kombinationen, mit deren Hilfe man die Steuerung von Werten in Dialogen beschleunigen kann. Dies betrifft einerseits die linke Maustaste sowie das Scroll-Rad, andererseits die Hochstell-, Strg/Cmd- und Alt/Options-Tasten, die es ermöglichen, die Änderungsschritte der Werte mittels Maus und Rad zu erhöhen oder zu verringern.
Mehr Geschwindigkeit im Hochregal
Im Ebenendialog findet man nun endlich von Anwendern lange gewünschte Verbesserungen. Hier muss zunächst die kleine, aber in Sachen Bedienlogik feine Änderung vermerkt werden, die zwischen einer «schwebenden» (das heisst aus einer anderen Datei importierten) und einer bloss duplizierten Ebene unterscheidet. Damit wird auch aus Benutzersicht klar zwischen dem Verankern und dem Vereinen von Ebenen unterschieden, und insgesamt geht das alles viel schneller als bisher. Ausserdem haben die Entwickler wirklich nützliche Tastatur-Maus-Kombinationen hinzugefügt, mit deren Hilfe sich der Umgang mit Ebenen und Ebenengruppen beschleunigen lässt.
Transformationen – jetzt auch in 3D
Das wohl bedeutendste neue Feature ist die 3D-Transformation, wie man sie so ähnlich aus Photoshop kennt. Es handelt sich dabei um ein mächtiges Werkzeug, das viele Optionen anbietet und es beispielsweise erlaubt, die Tapete in der Aufnahme eines Zimmers mit wenigen Handgriffen digital auszutauschen.
Im neuen 3D-Dialog befinden sich drei Einstellparameter: Fluchtpunkt, Winkel und Versatz. All diese Optionen beziehen sich auf eine simulierte Fotokamera und deren Möglichkeiten, ein zweidimensionales Bild aus jeglichem Winkel heraus aufzunehmen.
Während die Vorschau rasend schnell ist, werden die eigentlichen Transformationen bei weitem immer noch nicht so zügig wie in Photoshop durchgeführt, sind aber dennoch wesentlich schneller als in vorherigen GIMP-Versionen.
Immer auf dem Laufenden
Anders als manche kommerziellen Anbieter erzwingt GIMP keine Updates und legt so bei schwacher Netzabdeckung nicht die Arbeit lahm. Stattdessen gibt es nun – wie man es auch von Firefox kennt – Benachrichtigungen über verfügbare Aktualisierungen, die man herunterladen oder getrost ignorieren kann. Wer selbst das nicht mag, kann diese Mitteilungen in den Programmeinstellungen einfach abschalten.
Fazit
GIMP 2.10.18 ist ein grosser Wurf. Die Geschwindigkeitsoptimierungen sind ebenso beeindruckend wie die neuen Anpassungsoptionen für die Benutzeroberfläche, von den neuen Werkzeugen und Einstellungsmöglichkeiten ganz zu schweigen. Trotz alledem hat das GIMP-Team noch einiges an Arbeit vor sich, um den weiterhin bestehenden Abstand zu Photoshop CC oder Krita zu beseitigen.
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Autor
Christoph Schäfer
- Rubrik Imaging
- Dossier: Publisher 2-2020
- Thema Bildbearbeitungs-Software
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