Doku-Workflow: Ordnung schaffen mit Open Source

Im Rahmen eines komplexen Filmprojekts für ein Privatmuseum in Deutschland ergab sich die Gelegenheit, die Leistungsfähigkeit von freier Produktiv-Software im Bereich Audio und Video zu testen. Der PUBLISHER folgt dem Projekt im Rahmen einer Artikelreihe zum Thema «Multimedia mit Open Source», um die Frage zu beantworten, ob ­professionelle Filmproduktion mit freien Programmen möglich ist.

Die Produktion eines Dokumentarfilms, der gleichzeitig als Einführung für einen Museumsbesuch fungiert, steht vor Hürden, die ein simpler Image-Film oder eine normale Fernsehreportage wohl nur in den seltensten Fällen mit sich bringen würden.

Im vorliegenden Fall ging es nicht nur darum, Videodateien in den unterschiedlichsten Formaten zusammenzubringen, darunter auch solche, die in beschädigter Form von alten Datenträgern heruntergeholt und notdürftig repariert worden waren. Vielmehr waren auch unterschiedliche Bildabmessungen zu berücksichtigen. Zudem lagen viele Filme nur als Original im 16-mm-Format oder als VHS-Video vor, sodass zunächst externe Dienstleister mit der Digitalisierung beauftragt werden mussten.

Die Benutzeroberfläche von Avidemux. Die wichtigen Ausgabeoptionen befinden sich am linken Rand.

Eine weitere Erschwerung bestand in der Tatsache, dass zwar ein Budget für einen professionellen Sprecher bereitstand, aber keines für Musik oder Geräusche. Letztere mussten aus offenen Quellen besorgt oder in Eigenregie erstellt werden. Kurzum: Die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Abschluss des Projekts waren problematisch und nur mit einem hohen Arbeitsaufwand zu erreichen.

Effizientes Desktop Publishing und digitaler Filmschnitt haben eines gemeinsam, nämlich die gründliche Vorbereitung des Ausgangsmaterials, nicht zuletzt, um unangenehme Überraschungen bei der Endmontage zu vermeiden. Konkret bedeutete dies: MP4-Dateien (H.264) für Video und MP3- oder WAV-Dateien für Audio. Für das Museumsprojekt war es hierzu möglich, auf zwei mächtige Open-Source-Helfer zurückzugreifen, nämlich VLC und Avidemux.

Die umfangreiche Filtersammlung von Avidemux, hier mit den Einstellungsoptionen des Deinterlace-Filters «DGBob», der für das ­Projekt überwiegend verwendet wurde.

Tausendsassa VLC
Der «VLC Media Player» ist Teil eines grösseren französischen Multimedia-Projekts, das alle Aspekte moderner Medienproduktion umfasst. VLC ist ein Akronym für «Video LAN Client», was einen Hinweis auf seine Ursprünge darstellt, nämlich auf eine Client-Anwendung in einem Multimedia-LAN. Die Zeit ist darüber längst hinweggegangen, und die meisten Server-Funktionen sind inzwischen in die vormals reine Abspielsoftware integriert worden, sodass man diese auch als Streaming-Plattform verwenden kann.

Von MP4 nach MP3: Der Konvertierungsdialog von VLC.

Für den Erfolg des Filmprojekts waren vor allem drei Eigenschaften von VLC entscheidend. Die erste war, dass das Programm fast alle digitalen Video- oder Audiodateien wiedergeben kann, selbst wenn das Original beschädigt ist und andere Software Harakiri begeht oder gar das System zum Absturz bringt. Dies war in der Sichtungsphase des Projekts unverzichtbar. Darüber hinaus kann das Programm DVDs und unverschlüsselte Blu-ray-Discs abspielen.

Umwandlung à la carte
Der zweite grosse Vorteil von VLC ist seine Konvertierungsfunktionalität. Fast alles, was VLC abspielen kann, lässt sich zuverlässig in ein anderes Format konvertieren. Zu diesem Zweck muss man Datei > Konvertieren/Speichern aufrufen. Der Dialog ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber logisch. Selbst VOB-Dateien auf DVDs, aber auch MPEG-Dateien von alten Video-CDs kann man in aller Regel problemlos nach MP4 umwandeln.

Falls eine Video- oder Audioaufnahme sich zwar abspielen, aber nicht konvertieren lässt, kann man das Problem umgehen, indem man auf den Button mit dem roten Punkt am linken Rand der unteren Symbolleiste klickt. VLC zeichnet dann den Inhalt der Wiedergabe auf. In einem solchen Fall empfiehlt es sich, zumindest unter Windows, den Speicherort vorab mit Werkzeuge > Einstellungen > Eingang/Codecs festzulegen, weil VLC ansonsten die Systempartition zumüllt.

Eine weitere im Rahmen des Museumsfilmprojekts hochwillkommene Eigenschaft von VLC ist die Möglichkeit, Audiodaten aus Videos zu extrahieren. Wer keine WAV-Dateien benötigt und sich beispielsweise mit MP3 zufrieden geben kann, wie es hier der Fall ist, ruft einfach die oben beschriebene Konvertierungsfunktion auf und wählt ein Audioformat aus.

Digitale Tortenschaufel: Avidemux
Nachdem alle Videodateien im gewünschten Format vorliegen, kann man sich die benötigten Szenen mit relativ geringem Rechenaufwand mit dem Programm Avidemux zurechtschnippeln. Das erleichtert später die Arbeit und Übersicht im Schnittprogramm, weil nicht mehr alle Filme komplett in der Zeitleiste erscheinen. In Avidemux kann man beim Auswählen von Beginn und Ende eines Filmausschnitts verschiedene Präzisionsgrade auswählen: visuell über einen Schieberegler unter der Videovorschau, numerisch über Eingabefelder am rechten Bildschirmrand sowie im Reiter Navigation per Bild bzw. Halbbild.

Ein Video vor und nach dem Anwenden des Deinterlace-Filters in Avidemux.

Sollte ein Ausschnitt allen Anforderungen genügen, kann man für die Audio- und Videoausgabe am linken Bildschirmrand jeweils Copy auswählen und den Ausschnitt unter einem neuen und möglichst aussagekräftigen Dateinamen bzw. einer Nummer speichern.

Für noch mehr Erleichterung sorgt im vorliegenden Projekt die Möglichkeit, die Tonspur zu entfernen, weil dies meist notwendig ist. Die Spur taucht dann im Schnittprogramm gar nicht erst auf. Dazu geht man auf den Menüpunkt Audio > Tonspur wählen und entfernt in dem erscheinenden Dialog das oder die Häkchen vor jeder der als vorhanden angezeigten Tonspuren.

Weg mit den Ärgernissen!
Zu den grössten Problemen des Dokumentarfilmprojekts gehört die Tatsache, dass manche der Videos mehrfach umkopiert wurden, etwa von 16-mm-Film nach VHS, von dort nach MPEG oder AVI und schliesslich nach MP4. Aber selbst bei direkten Umwandlungen von analogen nach digitalen Filmen auf dem neusten Stand der Technik zeigt sich immer wieder dasselbe Problem, nämlich das der sichtbaren Abtastzeilen.

Professionelle Schnittprogramme bieten hier in der Regel eine automatische Korrektur an, aber wenn das vorliegende Quellmaterial ein derart breites Spektrum an Problemen aufweist wie beim Museumsfilm, kommt man um individuelle Korrekturen vor dem Zusammenschneiden nicht herum. Auch hier kann man mit Avidemux und vergleichsweise geringer Renderzeit vorbeugen, ohne Schwergewichte wie Premiere oder Shotcut zu Hilfe rufen zu müssen.

Avidemux stellt verschiedene Filter zum Entfernen der Abtastzeilen bereit, und es war – zumindest für das Museumsfilmprojekt mit Material aus vielen verschiedenen Quellen – notwendig, die Ausgabequalität in jedem einzelnen Fall zu testen. Dabei hat sich in den meisten Fällen das standardmässig enthaltene Plug-in «DGBob» als das effizienteste erwiesen. Man findet es unter Video > Filter > Interlacing beseitigen.

Um einen oder mehrere Filter auch bei der Konvertierung anzuwenden, muss man im Video-Menü zusätzlich Video anwenden markieren. Falls die Filteroptionen ausgegraut sind, liegt dies meist daran, dass die Kombination von Ausgangsmaterial, Audio- und Video-Codec sowie das gewählte Ausgabeformat keine solche Operation unterstützt. Hier ist Experimentierfreude angebracht.

Farbe & Co.
Avidemux bietet weitere Bearbeitungsmöglichkeiten in seinem Filtermenü. Manche sind für das Museumsprojekt relevant, etwa die Option, Logos aus gemeinfreien Filmen, die in kommerziellen Filmproduktionen verwendet wurden, zu entfernen.

Für andere Zwecke (Farbkorrektur, Schärfung oder Kontrast) greift man besser auf die ausgefeilteren und intuitiver zu bedienenden Werkzeuge der grossen Schnittprogramme zurück. Insbesondere die Werkzeuge zur Farbkorrektur sind wenig hilfreich, weil sie das YUV-Farbmodell verwenden.

Fazit und Ausblick
Für das komplexe Museumsfilmprojekt haben sich VLC und Avidemux als unentbehrliche und extrem leistungsfähige Hilfsprogramme erwiesen. Im nächsten Schritt werden wir den Blick auf die Audioseite der Filmproduktion richten.

avidemux.sourceforge.net
videolan.org/vlc

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