Automatisierte Bildbearbeitung – Das ungenutzte Potenzial?!
Das Potenzial von automatisierten Prozessen in der professionellen Bildbearbeitung wird von Fachleuten in der grafischen Branche und der Fotografie nicht nur unterschätzt, sondern in der Regel als nicht brauchbar abgetan. Zu Recht? Cheryl Richli ging mit ihrer Diplomarbeit an der Höheren Fachschule für Medientechnik (Schule für Gestaltung Zürich) den Chancen und Grenzen automatisierter Bildbearbeitungen auf den Grund.
Ausgangslage
In der Medienproduktion laufen bereits seit Jahren verschiedene Bereiche automatisiert ab, wie zum Beispiel der Ausgabeworkflow für den Druckbereich, mikrotypografische Satzkorrekturen usw.
Obschon es inzwischen seit einigen Jahren Softwarelösungen für die automatische Bildbearbeitung auf dem Markt gibt, werden diese aber, entweder aus Kostengründen oder einem gewissen Misstrauen bezüglich der Qualität, bisher nur in sehr wenigen Betrieben eingesetzt.
In der Bildbearbeitung wird aktuell vieles noch manuell bearbeitet. Bei vorhandenem Know-how intern oder aus Kostengründen extern, oft in Billiglohn-Ländern.
Ziel
Automatisierte Verarbeitungsprozesse sollen Freiräume für kreative, nicht automatisierbare Aufgaben schaffen und generell eine kostengünstigere Produktion ermöglichen.
Die Diplomarbeit von Cheryl Richli untersuchte die Möglichkeiten, Chancen und Grenzen sowie die Wirtschaftlichkeit von Softwarelösungen für eine (voll)automatisierte Bildbearbeitung.
Der Schwerpunkt der Arbeit liegt im Bereich der Normalisierung bzw. RAW-Entwicklung. Weitere untersuchte Bereiche sind:
- Freistellungen/Auswahlen
- Looks & Styles
- Retusche-Arbeiten
Bedarfsanalyse
Im Kern der Stakeholder liegen die sogenannten Bild-User, welche Bilddaten für alle Arten der Kommunikation verwenden und für verschiedene Ausgabekanäle (Web, App, Print) aufbereiten müssen. Sie sind die Hauptanspruchspersonen, welche von der Untersuchung profitieren sollen, da sie häufig Bilder aufbereiten und bearbeiten.
Die zweite Gruppe sind die Bild-Producer, z. B. aus den Bereichen Fotografie oder Bildkreation, welche sehr hohe Ansprüche an die Bildqualität haben.
Interessensbereiche der Anspruchsgruppen
Das Interesse an automatisierten Prozessen in den Bereichen Portraitretusche, Freistellen und Looks/Styles ist grundsätzlich sehr gross. Für Bild-Producer hat die Aufbereitung von RAW-Bildern einen grossen Stellenwert. Hingegen ist das Interesse im Bereich TIFF/JPEG-Aufbereitung für die Bild-User deutlich grösser, weil für diese Gruppe RAW-Dateien seltener zum Einsatz kommen.
Der vorliegende Artikel beschränkt sich auf die beiden Bereiche Normalisierung und Freistellung. Wer sich für die komplette Diplomarbeit interessiert, kann sich bei Urs Bernet, Prorektor und Leiter HF an der Schule für Gestaltung Zürich melden.
Normalisierung
Bevor ein Bild kreativ bearbeitet oder den Bedürfnissen der Kunden angepasst wird, muss es in einem ersten Arbeitsschritt «Normalisiert» werden. Dabei werden folgende Mängel behoben bzw. Korrekturen vorgenommen:
- Optimierung der Belichtung, des Kontrastes und der Gradation
- Reduktion des Bildrauschens und von Artefakten
- Ausgleich von HDR-Situationen, d.h. ein extrem grosser Lichtumfang bei der Aufnahme, welcher der Sensor nicht abbilden kann
- Korrektur von Abbildungsmängeln, welche durch die Kameraoptik verursacht werden: chromatische Aberration, Vignettierung und Distorsionen.
Getestet wurden drei Softwarelösungen mit Bildern aus unterschiedlichen Kategorien: Verschiedene Dateiformate, Überbelichtungen, Unterbelichtungen, Gegenlicht, HDR, spezielle Stimmung, Rauschen, Rote-Augen und Farbstich.
Qualität
Die Fachjury war bei der Auswertung der Ergebnisse sehr positiv überrascht vom Programm Fast Photo Optimizer, FPO, von PQF Imaging.
Generell wurden die Bilder am originalgetreusten bearbeitet. Am besten gefiel, dass die Farben erhalten bleiben (Echtheit) und die Details hervorgehoben werden konnten. Überzeugend sind die Ergebnisse bei den Kategorien Überbelichtungen, Unterbelichtungen, Gegenlicht und HDR.
Ausserdem hebt sich das Programm von den Mitbewerbern ab, weil es Objektivfehler, Verzerrungen und Vignettierungen korrigieren kann und mit allen Dateiformaten klarkommt. Nur in wenigen speziellen Situationen stösst auch dieses Programm an seine Grenzen. Zusätzlich erfolgt die Aufbereitung «nicht destruktiv», was nachträgliche Feinkorrekturen massiv vereinfacht.
Wirtschaftlichkeit
Bei allen getesteten Softwarelösungen zur Normalisierung von Bildern ist das Zeiteinsparungspotenzial ≥ 96 %.
Freistellung
Für die Freistellung wurden Produktaufnahmen, Portraits und Gruppenbilder mit einfachen und komplexeren Formen/Konturen verwendet. In der Praxis sind Freistellungen oft sehr zeitaufwendig und verlangen von Fachleuten ein konzentriertes Arbeiten.
Qualität
Bei der Beurteilung der Qualität von Freistellungen, nach den Kriterien Genauigkeit, Kantenschärfe und -übergänge, bewertete die Fachjury Removebg als Testsieger.
Das Programm erstellt Kantenlinien mehrheitlich sauber und genau. Erstaunlicherweise sind die Ergebnisse auch dann gut, wenn zwischen Objekt und Hintergrund wenig Kontrast vorhanden ist.
Bei komplexeren Objekte und Freistellungen von Haaren müssen die lasierenden Bereiche und Farbübergänge teilweise manuell nachgebessert werden. Trotzdem ist die Zeiteinsparung von bis zu 98 % enorm.
Fazit
Das Potenzial von automatisierten Prozessen in der Bildbearbeitung ist heute schon sehr gross und wird sich in Zukunft enorm weiter entwickeln. Trotzdem ist die Bereitschaft für Rationalisierungen in der Branche relativ bescheiden. Viele Fachleute tun sich schwer mit der Anpassung der gewohnten Arbeitsabläufe. Sie misstrauen grundsätzlich der Qualität von automatisierten Bildbearbeitungen – zu Unrecht – wie die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen.
Schade um die verpasste Gelegenheit, mehr Zeit für alle kreativen und nicht automatisierbaren Bereiche zu generieren und gleichzeitig massiv Kosten einzusparen.
Fritz Maurer ist gelernter Reproduktionsfotograf, seit vielen Jahren Bildbearbeiter und in der Aus- und Weiterbildung von Fachleuten in der grafischen Industrie tätig.
Er arbeitet als unabhängiger Experte für Schulungen, Colormanagement und Bildbearbeitung.
f.maurer@maurerbilden.ch
Bezugsquellen
Diplomarbeit der höheren Fachschule für Medientechnik an der Schule für Gestaltung Zürich von Cheryl Richli: Urs Bernet, urs.bernet@sfgz.ch
Bildaufbereitung: FastPhotoOptimizer, www.pqf-imaging.com
Freistellung: removebg, www.remove.bg/de
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Autor
Fritz Maurer
Fritz Maurer ist gelernter Reproduktionsfotograf und seit vielen Jahren in der Bildbearbeitung tätig sowie in der Aus- und Weiterbildung von Fachleuten in der grafischen Industrie. Er arbeitet als unabhängiger Experte für Schulungen, Colormanagement und Bildbearbeitung. - Rubrik Imaging
- Dossier: Publisher 6-2022
- Thema Bildbearbeitung
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