Desktop Publishing ganz ohne Cloud
Seit August 2018 ist die Betaversion von Affinity Publisher verfügbar. Zusammen mit Designer und Photo kann Affinity damit eine Gesamtlösung für das klassische Desktop Publishing anbieten. Wir geben hier einen ersten Einblick.
Das Softwareunternehmen Serif mit Sitz im britischen Nottingham entwickelte bereits das Bildbearbeitungsprogramm Affinity Photo als preiswerte Alternative zu Adobe Photoshop und ein Jahr zuvor das vektorbasierte Grafik- und Zeichenprogramm Affinity Designer als Alternative zu Adobe Illustrator und Corel Draw. Ende 2018 soll das Trio mit Affinity Publisher komplett sein. Seit August diesen Jahres ist die Betaversion des Layoutprogramms öffentlich verfügbar.
Die Betaversion ist vielversprechend. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass eine neue professionelle Software das Desktop Publishing bereichern wird.
Kaufen statt mieten
Das von Adobe eingeführte Zwangsabo der Creative Cloud polarisiert seit der Einführung im Jahre 2013. Es verursacht in der Regel höhere Kosten und eine beklemmende Abhängigkeit zum Hersteller und seinen Diensten, denn es bindet die erstellten Dateien an das Abo. Auch Serif wird mit den Dateiformaten ihre Kunden binden, doch ist das Vorgehen bei einem Kaufprodukt ein anderes. So wendet sich die Softwarereihe von Affinity bewusst an unzufriedene Adobe-Anwender. Wie Affinity Designer und Photo wird auch Affinity Publisher für 48 Franken – zeitlich unbegrenzt – angeboten. Die gesamte abofreie Softwarereihe mit umfassenden Werkzeugen für Grafik-Design kostet somit 144 Franken. Für alle Anwendungen existieren Mehrplatzlizenzen für zehn und mehr Anwender sowie gemischte MacOS-/Windows-Lizenzen.
Geht auch tiefer
Bei der Neuanschaffung einer Software verdienen die Anforderungen an das Betriebssystem besondere Beachtung. So unterstützt die nächste Version der Adobe Creative Cloud MacOS 10.11 (El Capitan) bereits nicht mehr. Unter Windows macht Adobe den Schnitt bei Windows 8.1 und tiefer. Ferner auch bei Windows 10 in Version 1511 und 1607.
Bezüglich der Systemanforderungen gestaltet die Firma Serif die Installation benutzer- bzw. kundenfreundlicher. Affinity Publisher wird MacOS 10.11 unterstützen. Laut Angaben von Serif werden die Anforderungen bis zur Veröffentlichung noch auf MacOS 10.9 gesenkt. Für Windows reicht Windows 7 mit Service Pack 1.
Serif verdeutlicht mit ihrer Affinity-Softwarereihe eindrücklich, dass zeitgemässe Apps eben doch auch auf früheren Versionen der Betriebssysteme ihr Potenzial entfalten können. Dem gegenüber gleicht das Gebaren von Adobe vielmehr dem typischen gegenseitigen Schulterklopfen vieler Tech-Firmen aus dem Silicon Valley. Dies stets unter dem Deckmantel vieler Versprechungen und schöner Worte. Für die meisten Anwender mit eher alltäglichen Arbeitsaufgaben bedeuten solch hohe Hürden an ein Betriebssystem zusätzliche Kosten, zeitraubende Umtriebe und unter Umständen erst mal eine ganz neue Hardware .
Layout auf dem Radar
Affinity Publisher will sich bewusst den elementaren Layoutthemen widmen. Laut Aussage des Herstellers soll die Layoutsoftware nicht mit Funktionen überladen werden. Man verweist auf die Aufgabentrennung zu Affinity Designer und Photo und will über integrierte Icons einen verzahnten Workflow anbieten.
Es scheint, dass diese Kernaufgaben mit der Betaversion von Affinity Publisher erst mal recht gut gelöst sind. Für Typografie gibt es weitreichende Optionen. Für Layout und Gestaltung bietet der Affinity Publisher alle selbstverständlichen Funktionen wie verknüpfte Textrahmen, Musterseiten, Layouts mit gegenüberliegenden Seiten, dynamische Fotorahmen, Tabellen, Grundlinienraster, Textumfluss, verknüpfte und eingebettete Inhalte, Ebenen mit Unterebenen, Transparenz, Effekte, einen kompletten CMYK-Workflow und auch Farbeinstellungen. Alles, was das Herz begehrt, das Auge glücklich macht und den Geldbeutel schont.
Benutzerführung
InDesign- oder XPress-Anwender müssen sich in Affinity Publisher bis zur flüssigen Bedienung erst mal in Geduld üben. Neueinsteiger ohne Vergleichsmöglichkeiten haben es diesbezüglich wohl eher leichter. Vermisst wird vor allem ein übersichtliches Steuerungsbedienfeld mit allen relevanten Funktionen und Informationen über das ausgewählte Objekt. Zwar bietet auch Affinity Publisher in einer fest verankerten Infoleiste oberhalb des Dokuments den schnellen Zugriff zu gewissen Befehlen. Diese sind standardmässig jedoch nicht sehr weit ausgebaut. Man kann sie aber optional ergänzen. So wird man also in den Menüs von Affinty Publisher vermehrt nach Befehlen suchen und viel mit Bedienfeldern arbeiten müssen. Diese sind so aufgebaut, wie man es von Adobe-Programmen her kennt. Man kann Bedienfelder aus der Verankerung lösen, frei kombinieren und minimieren. Zusätzliche Befehle sind in den Optionen der meisten Bedienfelder aufgeführt.
Die Bedienfelder in Affinity Publisher führen wesentlich mehr Befehle auf, als man dies von InDesign kennt. Mit diesen gut bestückten Bedienfeldern muss man demzufolge erst mal klarkommen. Die Betaversion kennt augenblicklich 25 Bedienfelder, die im Menü Ansicht > Studio untergebracht sind. Dort ist auch der Befehl zu finden, mit dem man die Arbeitsoberfläche auf Standard zurücksetzt. Es besteht jedoch im Moment keine Möglichkeit, individuelle und themenbezogene Arbeitsumgebungen zu erstellen. Auch klar verständliche Einstellungen des Anschnitts sind noch nicht zufriedenstellend gelöst. Auf der anderen Seite hat bereits die Betaversion von Affinity Publisher ein hilfreiches Protokoll-Bedienfeld, um die einzelnen Arbeitsschritte übersichtlich zu verwalten und gegebenenfalls zu widerrufen.
Umgang mit Bildern
Es scheint zumindest aktuell so, dass Affintiy Publisher bei den Bildern einen anderen Weg einschlagen wird, als dies bei InDesign der Fall ist. Es gibt ein Bildwerkzeug und ein Bildrahmenwerkzeug. Das Bildwerkzeug fordert sofort zur Bildauswahl und zu deren Platzierung auf. Ferner gibt es auch den Platzieren-Befehl aus dem entsprechenden Menü. Mit dem Bildrahmenwerkzeug erstellt man zuerst Rahmen in einem Layout und kann diese danach mit Bildern befüllen.
Doch wie ein Bildausschnitt erstellt wird, und wie man überhaupt zum Rahmeninhalt kommt, das muss man erst mal lernen. Dazu gibt es nämlich ein eigenes Beschneiden-Werkzeug. Also nichts mit Einfach-am-Rahmen-ziehen-und-fertig. Die Methode mit dem Beschneiden-Werkzeug hat jedoch auch Positives. Dadurch bleibt der Inhalt besser geschützt.
Platziert man ein Bild in einen ausgewählten Bildrahmen, so kommt eine andere Methode zum Vorschein. Hier kann man mit dem Auswahlwerkzeug einen Doppelklick auf den Rahmen machen und man befindet sich sogleich im Inhalt. Dadurch kann man den Bildausschnitt oder die Bildgrösse bestimmen. Die Grössenskalierung lässt sich ohne zusätzlich gedrückte Taste in den ursprünglichen Proportionen vornehmen.
Bilder sind standardmässig eingebettet. Über den Ressource Manager lässt sich eine Pfadverknüpfung erstellen. Das Einbetten von Bildern vergrössert die Dateigrösse, hat jedoch den Vorteil, dass sich alle Inhalte im Dokument befinden. So lässt sich auch erklären, weshalb Affinity Publisher im Moment nicht über einen Verpacken-Befehl verfügt. Die Firma Serif verweist darauf, dass bei der finalen Version eine Verzahnung zu Affinity Photo und Affinity Designer bestehen soll. Man kann später über bereits bestehende Icons in der Benutzeroberfläche die Inhalte in die erwähnten Programmen überführen und dort bearbeiten.
Platzieren und auch exportieren kann man alle gängigen Formate. Besonders erwähnenswert sind sicherlich die nativen Formate aus Adobe Photoshop und Illustrator. Allerdings kann Affinity Publisher als reines Layoutprogramm keine Video- und Audiodateien platzieren.
Textstile
Auffallend ist, dass Affinity Publisher zwei Textwerkzeuge aufführt. Ein Textrahmenwerkzeug und ein gewöhnliches Textwerkzeug. Mit letzterem kann man auch einfach direkt eine oder mehrere Zeilen schreiben. Bei der Objektauswahl ist danach ein Textrahmen ersichtlich.
In Bezug auf hochwertige Typografieeinstellungen ist auf den ersten Blick wirklich alles drin, was man von einem ausgereiften Layoutprogramm erwartet. Wie gut die Trennungen jedoch letztlich sind, lässt sich anhand der vorliegenden Betaversion nicht beurteilen. Es gibt zwar weitgehende Einstellmöglichkeiten in Bezug auf Trennregeln, allerdings sind ausser Englisch noch kleine weiteren Sprachen hinterlegt. Es scheint, dass Affinitiy Publisher vorerst noch nicht über eine Blocksatzmethode (aus InDesign als Absatzsetzer bekannt) verfügt, mit der über einen gesamten Textabschnitt möglichst harmonische Wortabstände gesetzt werden.
Auffallend sind die Textstile. Ein entsprechendes Bedienfeld für Absatz- und Zeichenformate führt dort, ähnlich wie in Microsoft Word, bereits zahlreiche Stile auf. Vergleicht man dieses Bedienfeld mit den bestehenden Layoutprogrammen, so ist dieses erst einmal ungewohnt. Allerdings hat es auch Vorteile. So stehen ohne Umweg die Formate für Auflistungszeichen, Nummerierungen, Initialen und dergleichen sofort zur Verfügung. Bei der Verwendung einzelner Stile ist ein Inhaltsverzeichnis bereits voreingestellt und wartet bloss noch auf die Ausführung.
Selbstverständlich kann man alle bestehenden Stile bearbeiten, und eigene Textstile anlegen. Hilfreich ist ferner, dass man die lokalen Einstellungen eines formatierten Textes ganz einfach in ein Format übertragen kann. Bestehende Stile lassen sich aus anderen Dokumenten importieren. Hier wurde nichts ausgelassen, das für die tägliche Arbeit wichtig ist. Gewisse Dinge muss man einfach anders angehen als in InDesign oder XPress.
Übernahme
Affinity Publisher kann weder InDesign- noch XPress-Dokumente öffnen. Das ist verständlich. Dass jedoch auch das Öffnen einer IDML-Datei nicht vorgesehen ist, ist schade und wird hoffentlich noch korrigiert. Man kann zur Not von anderen Programmen Inhalte über die Zwischenablage einfügen. Das klappt erstaunlich gut, doch bei der nachträglichen Bearbeitung wird es vor allem bei Text mühsam. So wird ein gesamter Textrahmen ignoriert und es werden bloss Zeilen dargestellt.
Affinity Publisher kennt nebst dem gewohnten Einfügen auch das Einfügen von Text ohne Formatierung. Was im Moment fehlt, ist das standrichtige Einfügen von kopierten Elementen. Dieser elementare Befehl ist dann hoffentlich in der finalen Version im Menü Bearbeiten anzutreffen.
Nachfrage regelt Angebot
Die Betaversion des Affinity Publisher wird allgemein wohlwollend aufgenommen. Bereits macht der Ausdruck «InDesign-Killer» die Runde. Solche Äusserung sind jedoch nicht ernst zu nehmen, sie zeugen nicht von Objektivität und gehen vielleicht knapp als unterhaltsam durch. Zu umfangreich, zu stark verankert ist InDesign und zu mächtig ist der Hersteller Adobe.
Affinity Publisher wird jedoch zusammen mit Photo und Designer seine Nische finden. Es sind einerseits die hartnäckigen Kritiker des Adobe-Zwangsabos, die sehnlichst auf eine Alternative warten. Dann gibt es zahlreiche Firmen, die zunehmend höhere Ansprüche an die Gestaltung ihrer Dokumentationen stellen, denen aber die Adobe-Lösung oft zu teuer und zu umfangreich ist. Für viele kostenbewusste Entscheidungsträger ist bereits der Ausdruck «Cloud» ein No-Go. Diese Firmen bekommen nun eine preiswerte, hochwertige und für ihre Bedürfnisse völlig ausreichende Lösung zur Hand.
Nicht ignorieren sollte man die vielen Menschen, die nicht mehr im Arbeitsleben sind. Sie möchten in der Regel mit «ihren» Programmen verbunden bleiben – jedoch nicht über ein monatliches Zwangsabo à la Creative Cloud. Auf der Gegenseite werden viele junge Menschen die Affinity-Softwarereihe für das Studium und die Ausbildung einsetzen. Diese nicht zu unterschätzende Menschengruppe kann später mithelfen, die Affinity-Produkte bei den zukünftigen Arbeitgebern und Firmen zu verankern. Auch bei den Agenturen und den Vorstufenbetrieben ist Potenzial in der Anwendung vorhanden. Viele Aufgaben in der grafischen Branche benötigen nun einmal weder 3D in Photoshop noch interaktive Funktionen aus InDesign, die keine zufriedenstellende Veröffentlichung bieten. Auch auf Publish Online, dessen Veröffentlichungslink an Adobe gebunden ist, auf redaktionelle Lösungen und sogar auf Grep-Stile können viele verzichten.
Bald werden die ersten von der Kundschaft erstellten Publisher-Dokumente geliefert. Spätestens dann werden einige Agenturen und Vorstufenbetriebe einzelne Arbeitsplätze mit Affinity-Software ausstatten.
Fazit
Man darf den Funktionsumfang von Affinity Publisher nicht mit InDesign vergleichen. Die Layoutsoftware ist jedoch bereits in der vorliegenden Betaversion erstaunlich weit entwickelt. Die Erwartungen für die alltägliche Arbeit ist mit Affinity Publisher erfüllt. Hinter dieser Entwicklung steckt nicht bloss viel Aufwand und spürbare Leidenschaft, sondern auch eine authentische Firmenkommunikation. Ein öffentlich zugängliches Forum hilft, die Betaversion weiter zu verbessern. Künftige Wünsche werden nach Möglichkeit nach und nach integriert.
Im Moment nimmt man die Versprechungen dieser enthusiastischen Firma einfach ab. Dazu gehört auch, Affinity Publisher nicht zu überladen und die gesamte Softwarereihe stets ohne Abogebühren zu einem fairen Preis zu verkaufen. Kostenlose Updates sollen folgen. Doch Neuerungen und Verbesserungen können nicht fortwährend kostenlos geliefert werden. Wie Hersteller Serif künftig vorgehen wird, wird sich weisen.
Die Verbreitung der Produkte und der Verkauf künftiger Versionen sind die Grundpfeiler für den Erfolg. So sollen in noch nicht definierten Intervallen neue Versionen angeboten werden. Es liegt in der freien Entscheidung der Anwender, diese zu beziehen, zuzuwarten oder die gekauften Produkte weiter zu nutzen, so lange ein Betriebssystem es ermöglicht.
Solche Aussagen sind Balsam für die Seelen vieler Anwender. Für zahlreiche sind sie gar eine Grundvoraussetzung für die künftige Verwendung. Endlich zeichnet sich wieder eine greifbare Gesamtlösung ab. Endlich vernimmt man eine Sprache, die sich nicht an Beschönigungen orientiert und nicht mit Worthülsen bestückt ist.
Serif hat nicht im Ansatz das Software-Portfolio von Adobe. Im Gegenzug hat Serif aber auch noch keine funktionierenden Programme eingestellt, so wie Adobe dies jüngst mit dem Webprogramm Muse getan hat. Solche Entscheidungen machen viele Anwender richtiggehend unzufrieden und treiben den einen oder anderen in die offenen Arme eines Mitbewerbers. Die Muse-Entscheidung fühlt sich für viele Anwender wie ein Tritt in den Hintern an – getreten von einem vermeintlichen Freund. So ist man ein paar Monate vor dem Erscheinen der finalen Version von Affinity Publisher erst recht angetan von einer längst verloren geglaubten, vertrauensvollen Kommunikation rund um das vielversprechende Produkt. Doch auch Serif wird nun an seinen Aussagen gemessen. ↑
Sobald die finale Version von Affinity Publisher verfügbar ist, werden wir einzelne Funktionen und Arbeitsweisen der Layoutsoftware im Detail vorstellen.
Andreas Burkard erstellt als Grafikdesigner Konzepte für Print, PDF und interaktive Medien. Seit vielen Jahren ist er in der Publishing-Ausbildung und deren Workflow engagiert. Er unterstützt Firmen in Konzeption und Schulung beim Aufbau ihrer eigenen Projekte. www.BurkardPublishing.ch
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Autor
Andreas Burkard
- Rubrik Publishing
- Dossier: Publisher 5-2018
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