Von der Texterkennung zum Unternehmensgehirn

ABBYY ermöglicht Unternehmen dank AI-Technologie Einblicke in die meist sehr komplexen Abläufe und Informationen und hilft dadurch im digitalen Zeitalter richtig durchzustarten. Wir sprachen mit Gründer Dr. David Yang über digitale Intelligenz und über ABBYYs Mission, den wahren Inhalt von Daten zum Vorschein zu bringen.

ABBYY kennt man ja bereits von früher, hauptsächlich aus dem Bereich der Texterkennung und der Digitalisierung von Dokumenten. Hat sich im Laufe der Zeit das Produktportfolio verändert?

Es hat sich in den Jahren definitiv viel getan. Früher waren wir in der Tat vor allem im Bereich der Texterkennung unterwegs, haben aber mittlerweile viele Jahre investiert in die sogenannte «Content-Intelligence», also die Technologie, die Inhalte analysieren und die natürliche Sprache verstehen kann.  Sie liefert quasi kognitive Fähigkeiten, wandelt unstrukturierte Daten in strukturierte um, und verleiht somit dem Inhalt das Allerwichtigste, nämlich die Bedeutung. Darüber hinaus bieten wir mit der sogenannten «Process Intelligence» auch die Möglichkeit, Daten aus den verschiedensten Bereichen, sowohl physische als auch digitale, zusammenzuführen und zu analysieren. So kann man Muster erkennen, die sich effizienzsteigernd auf das Unternehmen auswirken und die Kundenzufriedenheit deutlich verbessern. Generell fokussieren wir uns stark auf die digitale Intelligenz, um Unternehmen bei der Transformation ins digitale Zeitalter zu unterstützen.

Bietet ABBYY dafür ein bestimmtes ­Produkt an oder ist es eher eine Dienstleistung?

Wir bieten fertige Produkte an. Unser Vorteil liegt aber auch darin, dass wir quasi Blockbausteine dieser AI-Technologie liefern können, und unsere Kunden sich daraus eigene, spezifische Lösungen erstellen, die komplett an ihre Bedürfnisse angepasst sind. Unsere Lösungen sind also ebenfalls als API-Software nutzbar, was eine extreme Flexibilität zur Folge hat. Wir entwickeln das Gehirn für Unternehmen.

Printmedia scheint ja allgemein rückläufig zu sein. Spürt ihr etwas davon und inwiefern nimmt das Ganze Einfluss auf euch?

Generell sind Daten immer mehr in elektronischer Form vorhanden. Printmedia ist zwar immer noch ein wichtiger Aspekt für uns, aber es macht nur einen Teil unseres Angebots aus.Der Markt wächst jedoch weiter, obwohl schon vor 15 Jahren vom Tod der Printmedien gesprochen wurde. Gerade unsere Texterkennungssoftware FineReader ist immer noch sehr gefragt und wir werden sie auch zukünftig ausbauen. Papier wird weiterhin genutzt werden, ich schätze, da wird sich zumindest in den nächsten 15 Jahren nichts ändern. Die Zukunft liegt aber definitiv darin, die Bedeutung von Texten zu analysieren und zu filtern, und vor allem auch darin, Prozesse richtig verstehen zu können. Wir sind mit unseren modernen Technologien in Sachen AI auf jeden Fall gut für diesen Weg gewappnet.

50 Millionen Nutzer in über 200 Ländern setzen auf ABBYY. Stetiges Wachstum spricht dafür, dass diese Branche den ­Aufwärtstrend beibehalten wird. Was ist der Grund für diesen enormen Erfolg, vor ­allem für ABBYY selbst?

Wir waren schon recht früh dabei. Unsere Anfänge liegen irgendwo zwischen 1997/­1998 mit Fokus auf dem linguistischen Bereich. Damals haben wir uns sehr stark auf den europäischen und asiatischen Markt konzentriert, vor allem was die Technologie angeht, Text auf Papier erkennen und sogar in verschiedenen Sprachen verstehen zu können. Wir sprechen hierbei von normalen Dokumenten wie Rechnungen, Verträge, usw., aber auch von handgeschriebenen Texten. Im Vergleich zu uns mussten sich die Technologien unserer Konkurrenten das Erkennen der jeweiligen Schriftart erst mühsam antrainieren. Unser Verfahren hingegen analysierte die Form der Buchstaben und der Schrift und konnte die Texte so erfassen. Natürlich gibt es noch andere Gründe, die uns so erfolgreich machen, aber das ist wohl der Ursprung dessen, was uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind.

Werden eure Lösungen auch von kleineren Unternehmen in Anspruch genommen oder sind es eher grosse Firmen, die auf euch setzen?

Wir können sämtliche Daten in jeglicher Form nutzen, seien es Videoformate, Audiodateien oder Texte, sowohl in Papierform als auch digital, und vieles mehr. Unsere Technologien sind für jedermann zugänglich, ob es nun auf einem PC, dem Smartphone oder einem Tablet ist, spielt dabei kaum eine Rolle. Gerade in Sachen Smartphones gibt es unzählige Anwendungsmöglichkeiten und es ist extrem nützlich, unsere Technologie immer dabei haben zu können. Man kann auf FineReader, FineScanner, den Reader für Businesskarten und andere Applikationen von überall zugreifen, sodass zum Beispiel selbst der kleine Handelsvertreter Rechnungen oder Angebote direkt digitalisieren kann. Wir sind aber auch bei grösseren Kunden sehr gefragt. Selbst Krankenhäuser verwenden unsere Technologie, um Patientendaten zu digitalisieren, was unter sonstigen Umständen einen enormen Kraftakt darstellen würde. Grössere Unternehmen nutzen ABBYY oft sogar als Ersatz für Berater, die meist sehr kostspielig sind. Denn mit einer ABBYY-Lösung können Unternehmensdaten genauso ausgewertet und analysiert werden und den Firmen bei der Entscheidungsfindungen helfen.

Ihr arbeitet auch mit Hardware-Firmen in eurer Branche zusammen, solche Kooperationen bieten sich ja förmlich an.

Definitiv! Wir arbeiten schon seit vielen Jahren mit Partnern wie Fujitsu und Panasonic zusammen, um hier nur zwei zu nennen. Es handelt sich dabei um mehr als nur eine blosse Kooperation. Es ist vielmehr eine Partnerschaft. Die Hardware-Hersteller wollen ihren Kunden das Komplettpaket anbieten können, also brauchen sie Software für die Scanner, die die Texte dann auch erkennen und sie so z. B. in digitaler Form und nicht nur als Image abspeichern können. Deshalb lizenzieren sie unsere Technologien, wobei es ihnen nicht nur um den optischen Aspekt (Scannen, usw.) geht, sondern um die komplette Verarbeitung von Dokumenten. Eine unserer Lösungen, die bei Xerox im Einsatz ist, kann Dokumente scannen, erkennen, in ein digitales Format umwandeln und danach sogar noch in verschiedene Sprachen übersetzen, wobei das Format der Ursprungssprache beibehalten wird. Man stelle sich beispielsweise Wahlen in einem Entwicklungsland vor. Wenn dort mehrere Sprachen gesprochen werden, ist es doch wichtig, jeden Bürger zu erreichen. Man nimmt dann den Flyer oder ein beliebiges anderes Dokument, scannt es, und lässt es direkt übersetzen. Diese Technologie hat so unglaublich viele Anwendungsmöglichkeiten und macht darüber hinaus einen wirklichen Unterschied in Sachen Kommunikation aus.

Wie würdest du selbst die Vision von ­ABBYY beschreiben?

Wenn du eine kurze Antwort möchtest: ­ABBYY ist das Gehirn der Unternehmen.
Für die längere Antwort muss ich etwas weiter in der Geschichte der Menschheit ausholen. Zur Zeit der industriellen Revolution haben Menschen nach einer Alternative für menschliche Arbeitskraft gesucht. Es war also ein blosser physischer Aspekt. Dafür wurden Maschinen entwickelt, die teilweise hunderte von Arbeitern ersetzen konnten und das wirtschaftliche Geschehen für ­immer verändert haben. Die heutige Herausforderung liegt aber nicht mehr in der physischen Arbeitskraft, sondern darin, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dieser Prozess ist von fundamentaler Wichtigkeit für jeden von uns, vor allem aber für das langfristige Bestehen von Unternehmen. Wir befinden uns quasi in einer neuen, wirtschaftlichen Revolution, in der uns AI-Technologien unterstützen werden. Wir wollen ein Teil dessen sein, was diese Revolution an positiven Aspekten mit sich bringt.

Neben dem Fokus auf Daten und deren Analyse und Auswertung legst du auch viel Wert auf zwischenmenschliche Aspekte und hast eine künstliche Intelligenz geschaffen, die vor allem Mitarbeitern zu einem glücklicheren, produktiveren Arbeitsplatz ­verhelfen soll. Könntest du kurz erklären, worum es sich bei Yva.ai handelt?

In der Regel führen Unternehmen, wenn überhaupt, eine Umfrage pro Jahr durch, um zu erfahren, wie es um das Betriebsklima gestellt ist. Die Antworten auf diese Fragen sind meist subjektiv und deren Nutzen ist eher limitiert. Wir wollten deshalb etwas entwickeln, das  vor allem grossen Unternehmen dabei hilft, einen besseren Arbeitsplatz für ihre Mitarbeitenden zu schaffen. Ich selbst kannte die Problematik nur zu gut und hatte bei meinen über 1300 Mitarbeitern oft das Gefühl, dass ich gar nicht weiss, wie es meinen Angestellten wirklich geht. Im Gegensatz zu unseren anderen Technologien stehen bei Yva Emotionen im Vordergrund. Yva sammelt, natürlich immer mit Einverständnis der Mitarbeitenden, passive und aktive Daten. Passive Daten beinhalten sowohl die Kommunikation auf betrieblicher Ebene (Privates wird natürlich hier nicht erfasst und analysiert) als auch auf Plattformen wie GitHub, Slack, Trello, usw. Aktive Daten wiederum liefern ein regelmässiges Feedback meist als Antworten auf kurze Fragen wie z. B. «mit wem man nach der Arbeit lieber einen Kaffee trinken gehen möchte» oder «wem man die Extrakinokarte zum Lieblingsfilm geben würde». Sämtliche Daten werden dabei anonymisiert erfasst und den jeweiligen Mitarbeitern auf einem persönlichen Dashboard dargestellt. So erhalten sie beispielsweise zu ihren Aufstiegschancen ein individuelles Feedback.

Für die Firma allgemein und die Führungskräfte im speziellen hat Yva aber noch weitere grosse Vorteile. Die Analyse der Daten umfasst vor allem vier Bereiche:

  • eine Auswertung, die einem genau sagt, was im Unternehmen los ist und an welchen Stellen Probleme vorhanden sein könnten.
  • eine Diagnose, die bestimmt, was die Ursache für diese Probleme ist.
  • eine Vorausschau, die aufgrund der Daten eine Zukunftsprognose erstellt und aufzeigt, was wahrscheinlich passieren wird.
  • eine Strategie, welche die Probleme effektiv angeht und somit Platz für Verbesserungen schafft.

Heutzutage treten Dinge wie Burnout oder genereller Stress und Unzufriedenheit am Arbeitsplatz immer häufiger auf und Yva identifiziert mögliche Risikofaktoren für diese Problematik. Mitarbeiter, vor allem diejenigen, die eine Führungsposition innehaben, sind für Unternehmen meist nur schwer zu ersetzen. Zudem fällt der Mitarbeiter, beispielsweise im Zuge eines Burnouts, meist für unbestimmte Zeit aus, ­wodurch teilweise enorme Kosten fällig werden. Auf Managementebene kann Yva ­darüber hinaus aufzeigen, über welche ­Fähigkeiten das Führungspersonal verfügt und an welchen Stellen noch gefeilt werden muss.

Fast jedes Unternehmen, selbst die mit weniger als 100 Mitarbeitern, werden in Zukunft auf diese Analyse-Tools zurückgreifen und wir planen, unsere Führungsposition in diesem Bereich weiter auszubauen.

Vielen Dank für das Gespräch! 

  • Autor Laurent Gachnang
    Laurent Gachnang ist seit über 15 Jahren in der Medien- und Unterhaltungsindustrie tätig. Er gilt als Experte für digitales Publizieren und Online Marketing. Zuletzt arbeitete er bei einem Medienunternehmen als Marketingverantwortlicher und war massgeblich an der Lancierung eines Change-Prozesses beteiligt. Als Gastdozent ist er an diversen Fachhochschulen sowie ehrenamtlich als Mentor bei der Startup Academy Basel tätig.
  • Rubrik Publishing
  • Dossier: Publisher 2-2020
  • Thema ABBYY, Dr. David Yang, digitale Intelligenz, Interview, Publishing

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