Gott grüss die Kunst
«Die Schultern der Väter tragen gut», so formulierte
es einmal der Typograf und Grafikdesigner Kurt Weidemann. Und in der Tat ist es lohnenswert, sich gelegentlich auf die Wurzeln des eigenen Berufsstands zu besinnen und daraus ein Gespür für die heutigen Anforderungen des Handwerks zu entwickeln. Die Gestalterin Jana Madle-Elmerhaus ging hierfür sogar einen Schritt weiter und begab sich auf eine so spannende wie bemerkenswerte TypoWalz.
Es mag bedauernswert sein, ist zugleich jedoch unvermeidlich: Viele Handwerksberufe sind vom Aussterben bedroht oder bereits ganz von der Bildfläche verschwunden. Was jedoch in diesem Zusammenhang unverzeihlich wäre, ist das gänzliche Vergessen des kulturellen Erbes sowie der grundlegenden Techniken, die jede Zunft mit sich brachte. Denn wenn wir vom Verschwinden reden, meinen wir ja oft nur den Wandel – die scheinbar nicht mehr benötigten Fertigkeiten bilden nicht selten den Grundstock für die moderne Arbeitswelt.
Deutlich wird das auch in der Druckbranche, die natürlich vor High-Tech nur so strotzt, aber dennoch von Erfahrungswerten und vom Gespür «alter Hasen» profitieren kann. Eine Zeitreise zu hölzernen Setzkästen, zu Kolumnenschnur und Bleilettern, zu Rechenspielen in Cicero und Konkordanz oder kurz gesagt, zur echten schwarzen Kunst samt schmutzigen Händen unternimmt seit 2019 Jana Madle-Elmerhaus. Die bislang durchlaufenen acht Stationen machen Lust darauf, wieder einmal Platz auf den Schultern der Väter zu nehmen.
Wie alles begann
Jana Madle-Elmerhaus arbeitet bereits seit 1993 als freiberufliche Gestalterin und führt ihre erfolgreiche Agentur pix & pinsel seit 2003 mit zwei Büros in Hamburg und Lübeck. Im Gepäck immer die Lust darauf, das eigene Know-how zu erweitern und Neues zu lernen, absolvierte sie bei der Typografischen Gesellschaft München noch ein typografisches Studium bei Rudolf Paulus Gorbach, das sie 2017 mit ihrer Arbeit «Hamburger Schrift. Eine typografische Reise» abschloss. Derart fasziniert von den Weiten der typografischen Welt und ihrer Historie reifte der Entschluss, noch eine berufsbegleitende Ausbildung zur Schriftsetzerin im Hamburger Museum der Arbeit zu durchlaufen. «Ich wollte einfach Schrift im wahrsten Sinne des Wortes Buchstabe für Buchstabe begreifen. Und damit auch ein Handwerk erlernen, welches heute nicht mehr gelehrt wird.»
Den Initialfunken, sich ganz praxisnah mit dem neu erworbenen Wissen auseinanderzusetzen, lieferte der Verein für die Schwarze Kunst mit der Ausschreibung eines Stipendiums für eine Walz für Handsatz und Buchdruck. Zwar kam Jana Madle- Elmerhaus hierfür aus verschiedenen Gründen nicht in Frage, doch die Idee, das Handwerk auf diese ganz traditionelle Weise auszuüben, faszinierte sie. Eigenfinanziert geht es seit letztem Sommer auf Typografie-Reise, um in traditionellen Setzereien, Druckereien und Fachmuseen vor Ort zu lernen und Erfahrungen zu vertiefen.
Das Handwerk ergründen und bewahren
Der traditionelle «Insidergruss» der Buchdrucker, Lithografen und Schriftsetzer «Gott grüss die Kunst» sollte fortan der Türöffner für die Kreative werden, als sie bei diversen Wirkungsstätten anklopfte, um dort für einige Tage arbeiten zu dürfen. «Viele waren sehr erfreut, dass eine Frau mit Berufs- und Facherfahrung das Handwerk noch lernen will, um es zu bewahren», erzählt Jana Madle-Elmerhaus. So startete sie ihre Reise am anderen Ende der Republik in Dachau in der Manufaktur Willi Beck für Bleisatz und Buchdruck, mit dem sie ein neues Faltblatt für den Verein für die Schwarze Kunst gestaltete und letztlich in der Garamond setzte. Im Korrekturabzug wurde schnell klar, dass der Setzkasten verfischt war und sich beispielsweise ins «d»-Fach doch ein «b» hin- eingemogelt hatte. Von Zwiebelfischen, also dem zwar richtigen Buchstaben im richtigen Fach, jedoch leider in der falschen Schrift, blieb sie verschont.
Auf der nächsten Station in Bruchsal empfing sie Hans Dubronner, der als Schriftsetzermeister auch viele Jahre Mediengestalter/innen an der Berufsschule in Karlsruhe ausgebildet hatte. Dort konnte sich Jana Madle-Elmerhaus unter anderem alte Prüfungsaufgaben ab 1960 und deren Ergebnisse ansehen: «Das Skizzieren von Schrift und Satz war damals selbstverständlich und ich war fasziniert von der Tatsache, dass der Zimmermannsbleistift früher auf Punktgrösse geschnitten wurde. Damit konnte eine Textzeile normaler Schrift durch einen geraden Strich und eine Textzeile kursiver Schrift durch einen angeschrägten Strich imitiert werden.»
Ein Blick in die Historie
Die Grafikwerkstatt Dresden liess das Gestalterherz von Jana Madle-Elmerhaus höher schlagen: Hier stehen Arbeitsplätze für Radierung, Steindruck, Algrafie, Hochdruck, Handsatz, Layout, Fotografie, Buchbindung sowie ein Ätzraum zur Verfügung – so können verschiedene Techniken kombiniert werden. Und Buchdrucker Udo Haufe klärte auch über die Besonderheiten der «Ost- Schriften» auf. Manch klassische Schrift wurde nämlich vor dem Mauerfall schlichtweg nachgebaut, so wie beispielsweise die sogenannte Ost-Garamond.
Auf ihrer nächsten Station in Volkach bei Conny Hügelschäffer stand die nächste Herausforderung an: Die Satzformen, die in Dachau bereits entstanden sind, sollten mit Fotos ergänzt werden: Aus den gerasterten Bildern wurden Folien erstellt, die schliesslich zu Nylon-Klischees für den Duplexdruck umgewandelt wurden – die digitale Technik findet so Einzug ins traditionelle Handwerk des Buchdrucks. Auf einem unverwüstlichen Heidelberger Tiegel wurde anschliessend so lange getüftelt, bis das Ergebnis zufriedenstellend war – beim Andruck störten beispielsweise zu viele Rasterpunkte, die das Weiss «wegbrechen liessen».
München war das nächste Ziel der inspirierenden und produktiven Reise – die Handsatzwerkstatt Fliegenkopf ist eine Institution für alle Druckaficonados. Und wer es nicht weiss: Als Fliegenkopf wurde (und wird bisweilen noch) eine kopfüber gesetzte Letter bezeichnet, deren Fuss beim Drucken ein oder zwei kleine Rechtecke ablegt. In einem Mix aus Holz- und Bleilettern sowie aus verschiedenen Schriften realisierte Jana Madle-Elmer- haus dort ein Plakat begleitet von zahlreichen Tipps sowie einem grossen Lob von Christa Schwarztrauber: «Saubere Arbeit!»
In Mosbach wartete wiederum Karl Kretschmer, der mit seinem Verein Druckwerkstatt Mosbach eine eigene Abteilung für Druckgeschichte einrichten konnte. Bleisatz- und Giessmaschinen sowie alte Hand- und Schnellpressen können dort besichtigt werden. In seiner Werkstatt sollte ein weiteres Plakat, diesmal zum Thema «&» entstehen: Das Setzschiffchen zur Vorbereitung füllte sich schnell mit unterschiedlichsten Formen, Figuren und Zierlettern des eher selten benötigten kaufmännischen Und-Zeichens – enge, schmale, normale, breite, schräge, geschwungene, halbfette, fette, extrafette.
Bei Gutenberg herrscht Ordnung
Fast schon selbstverständlich, dass Mainz, die Stadt des Buchdrucks schlechthin auf einer TypoWalz nicht fehlen darf. In der Werkstatt des Gutenbergmuseums finden regelmässig Kurse und Exkursionen für Schulklassen statt und auch Jana Madle- Elmerhaus konnte hier ihr Druckobjekt, eine Typografik zu Ehren des Buchdruckerfinders, verwirklichen. Eine der Tugenden eines jeden Schriftsetzers, die die Kreative schon auf den vorherigen Stationen verinnerlichte, kam ihr nach getaner Arbeit entgegen: Je genauer man Schriftenzettel für die verwendeten Bleilettern anlegt, um so rascher ist die Rücksortierung im Anschluss erledigt.
Coronabedingt ein wenig später wurde in Stralsund schliesslich ein weiteres Projekt angegangen: Bei Christian Klette in der Spielkartenfabrik drehte sich alles um die Geschichte und Drucktechnik von Spielkarten. Die Wichtigkeit von runden Ecken sowie die Farbsymbole in allen vier Ecken für links- und rechtshändige Nutzung wird schnell klar und für einen Gestalter haben natürlich vor allen Dingen die Rückseiten als Ausdrucksfläche ihren besonderen Reiz. Welches Thema die Spielkarten von Jana Madle-Elmerhaus schliesslich hatten? Natürlich wurde es eine typografische Edition, bei der die Bildmotive durch Buchstaben ersetzt wurden.
Auf zu neuen Ufern!
Zwar ist diese TypoWalz noch nicht zu Ende, aber eines kann schon jetzt resümiert werden: Auch bei laufendem Agenturbetrieb ist es möglich, Neues zu entdecken und dabei sogar Altes zu bewahren. Für Jana Madle-Elmerhaus war diese Reise bislang jedenfalls mehr als bereichernd: «Damit ermögliche ich mir selbst neue Perspektiven und entwickle mich weiter. Mein Umgang mit Schrift und Schriftgrössen hat sich verändert, ich arbeite viel mehr in Rastern, verstehe den Sinn von Leer-und Weissräumen, kann den Kunden klare Antworten auf typografische Fragen geben und den Aufwand für einen Entwurf besser vermitteln. Wenn man weiss, wie viel Zeit der Handsatz und der Buchdruck braucht, wird man etwas behutsamer im Umgang mit Massenproduktionen und zugleich entspannter im sonst üblichen Perfektionismus. Vielleicht macht es sogar demütiger im Umgang mit Gestaltung: Es zählt nicht mehr das Schnell-Schnell, sondern vielmehr die Qualität.»
So hat der Blick in die Vergangenheit durchaus auch Auswirkung auf die Zukunft, denn die Schultern der Väter tragen nicht nur gut, sondern bieten manches Mal auch einen hilfreichen Weitblick.
Alle Stationen hat die Kreative Jana Madle-Elmer- haus in einem kurzweiligen Blog zusammengefasst: typowalz.de
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Autor
Bettina Schulz
Bettina Schulz ist freiberufliche Texterin und Journalistin in München. 18 Jahre lang leitete sie als Chefredakteurin das internationale Fachmagazin novum World of Graphic Design und initiierte in dieser Zeit auch die alle zwei Jahre stattfindende Creative Paper Conference in München. Zudem ist sie Jurymitglied verschiedener (internationaler) Designwettbewerbe wie beispielsweise dem Red Dot Communication Design, dem Design Preis München oder dem IIIDaward und hielt bereits zahlreiche Vorträge. Zu ihren Kunden zählen Verlage, Agenturen und Kreative sowie Unternehmen aus der Wirtschaft. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Bereichen Papier, Druck und Veredelung. www.bettina-schulz.de. - Rubrik Design & Praxis
- Dossier: Publisher 4-2020
- Thema TypoWalz
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