Barrierefreie PDFs aus InDesign 1/3

Einfach und leicht zugängliche Dokumente sind für alle erstrebenswert. Für Personen mit Sehbehinderung, für Blinde oder Personen mit motorischen Einschränkungen ermöglichen barrierefreie Dokumente den uneingeschränkten Zugang zu Informationen.

Die Erstellung barrierefreier PDF-Dokumente stellt einen zusammenhängenden Prozess dar. Dieser beginnt mit grundlegenden Gedanken zu einer übersichtlichen, klar strukturierten Gestaltung. In diesen Prozess muss die Redaktion von Anfang an einbezogen werden. Es geht – noch mehr als sonst – darum, Texte logisch zu strukturieren und Inhalte mit genügend Zwischentiteln zu gliedern. Dass ein solchermassen konzipiertes Dokument die Übersichtlichkeit für alle Leserinnen und Leser verbessert, ist offensichtlich. Das Grundprinzip Weniger ist mehr kann dabei voll umgesetzt werden!

Grundsätzliche Überlegungen zu Gestaltung und Dokumentaufbau
Die Basis bildet der Text: Dieser muss klar strukturiert sein. Dies gilt sowohl für die Lesereihenfolge als auch für die konsequente Titelhierarchie. Eigentlich hat man das alles schon mal gelernt: Die Titel sollen sofort ersichtlich sein; sie sollen sich in der Grösse so unterscheiden, dass auf den ersten Blick klar ist, ob es sich um einen Haupttitel, einen Untertitel oder um einen kleinen Zwischentitel handelt.

Bei der Konzipierung barrierefreier PDF- Dateien gehen wir zusätzlich davon aus, dass es Anwender gibt, welche auf Lesehilfen am Computer angewiesen sind. Glücklicherweise gibt es einige sehr effiziente Hilfs- mittel, welche die Lesbarkeit von Dokumenten für Personen mit eingeschränkter Sehfähigkeit merklich verbessern. So bieten die Bedienungshilfen in den Systemeinstellungen des MacOS respektive in der Systemsteuerung eines Windows-PCs weitgehende Möglichkeiten, um den Kontrast zu steigern und/oder die Schrift extrem zu vergrössern.

Dazu kommt die Sprachausgabe, welche dank hoch entwickelter Screenreader heute in der Lage ist, einen Text in der jeweiligen Sprache praktisch fehlerfrei vorzulesen. Personen, die darauf angewiesen sind, können ihre Computer mit weiteren sprachbezogenen Stimmen, mit Joystick-Bedienung zur Navigation und weiteren Hilfsmitteln ausrüsten.

Diese technischen Hilfsmittel sind einerseits erstaunlich «intelligent» – andererseits ist deren Nutzen aber voll und ganz von einem «funktionierenden» Dokument abhängig. Beispiel: Wird ein zweispaltiger Text in horizontaler Richtung analysiert, beginnt der Screenreader mit der erste Zeile der ersten Spalte, liest dann aber die erste Zeile der zweiten Spalte vor der zweiten Zeile der ersten Spalte. Die Folge: ein völliges Durcheinander, eine unverständliche Zumutung für alle, die auf eine korrekte Lesereihenfolge angewiesen sind! Selbstverständlich ist mehrspaltiger Text dennoch erlaubt, wenn bei der Aufbereitung auf die korrekte Lesereihenfolge geachtet wird (Details dazu in der nächsten PUBLISHER-Ausgabe).

Text gross zoomen zu können, kann eine wirkliche Hilfe sein. Was aber, wenn der Kontrast zum Hintergrund so schwach ist, dass die Lesbarkeit beeinträchtigt ist? Beachten Sie noch mehr als Sie das jetzt schon tun die optimale Lesbarkeit des gesamten Textes in Ihren Dokumenten!



Anforderungen an die Ausgangsdateien für barrierefreie PDFs
Zuerst die gute Nachricht für geübte InDesign-Anwender: Das was Sie in puncto Gestaltung und vor allem auch in Bezug auf technisch sauber aufgebaute InDesign-Dokumente gelernt haben und täglich anwenden, erhält beim Thema Barrierefreie PDF-Dokumente zusätzliche Bedeutung. Nachfolgend die wichtigsten Kriterien:

• Klare, möglichst einfach und logisch aufgebaute Struktur.

• Text muss maschinenlesbar sein – deshalb Text in Pixelbildern vermeiden oder mit OCR lesbar machen (Acrobat DC weist eine entsprechende Funktion auf ).

• Die Texte des gesamten Dokuments müssen konsequent mit Absatz-, und Zeichenformaten formatiert sein. Den einzelnen Textformaten werden einmalig die Tags (Strukturinformationen) für den Export zugewiesen. Aufgrund der Tags wird der Text im PDF-Dokument hierarchisch strukturiert.

Der PDF/UA-Standard
Der PDF/UA-Standard definiert technische Anforderungen an barrierefreie PDF-Dokumente, indem er eine Reihe von relevanten PDF-Funktionsbereichen – zum Beispiel Textinhalte, Bilder, Formularfelder, Kommentare, Lesezeichen oder Metadaten – auf der Grundlage von ISO 32000-1 (PDF 1.7) identifiziert und die Art ihrer Verwendung in PDF/UA- konformen Dokumenten spezifiziert.
Aus PDF/UA-kompakt von Olaf Drümmer und Bettina Chang

• Tabellen müssen korrekt mit der Tabellenfunktion von InDesign erstellt werden. Tabellenkopfzeilen müssen als solche definiert sein. «Intelligente» Screenreader sind in der Lage, eine sauber strukturierte Tabelle für den Benutzer «logisch» vorzulesen. 

• Aufzählungen (Listen) mit den generierten Aufzählungszeichen, welche in den Absatzformaten zur Verfügung stehen, formatieren. Ob Sie dabei Punkte, Striche oder ein anderes Aufzählungszeichen verwenden, ist egal – wichtig ist die Struktur, also das nicht händisch Aufzählungszeichen hereingebastelt wurden.

• Mehrseitige Dokumente (am besten schon ab vier Seiten) sollen mit einem generierten, einigermassen detaillierten Inhaltsverzeichnis ausgestattet werden. Dieses soll also nicht nur die Haupttitel, sondern auch die Zwischentitel aufführen, um auf die einzelnen Textabschnitte möglichst direkt zugreifen zu können. Aus einem korrekt aufgebauten Inhaltsverzeichnis werden dann automatisch Lesezeichen für die PDF- Datei generiert. Sowohl in InDesign als auch in Acrobat DC lassen sich die Lesezeichen bei Bedarf weiter verfeinern.

• Nach Möglichkeit alle Rahmen eines Textartikels verketten. Dies vereinfacht die Definition der Lesereihenfolge enorm.

• Mitlaufende Texte in Kästen und Rahmen: Wenn sich diese nicht vermeiden lassen, verwenden sie dazu in InDesign mit Vorteil die Funktionen Absatzschattierung respektive Absatzrahmen. Damit laufen diese Elemente im Textrahmen mit und benötigen ihrerseits nicht nochmals eigene Rahmen.


• Alle Bilder müssen mit einem Alternativtext versehen sein. Je nach redaktionellem Konzept entspricht dieser nicht unbedingt der Bildlegende. Das Ziel ist, kurz und bündig zu schildern, was auf dem Bild zu sehen ist. Bei Bildern, welche inhaltlich nichts zur Aussage eines Artikels beitragen, kann der Alternativtext weggelassen werden. Solche Bilder werden dann als Artefakt (=Hintergrundelement) definiert und damit für die Strukturierung gegenstandslos.

Achtung: Die Erstellung und Zuweisung von Alternativtexten zu Bildern (und eventuell Grafiken) ist nicht nur eine technische, sondern vor allem eine redaktionelle Aufgabe! Klären Sie ab, wer diese redaktionell verantwortet; denken Sie auch bei Übersetzungen an die Alternativtexte!

• Verankern Sie nach Möglichkeit Bilder und Illustrationen, welche bestimmten Text- stellen zugeordnet sind, im Text. Damit werden Alternativtexte vom Screenreader an der passenden Stelle vorgelesen.

• Füllen Sie den Dialog mit den Dateiinformationen aus. Bei PDF-Dokumenten zum Download sind diese Informationen elementar: Wer ist der Autor? Wer zeichnet als Verfasser? Wie lauten die Copyright-Informationen? Zudem sind zehn bis zwölf treffende Stichwörter sehr hilfreich, denn diese werden bei PDF-Dateien auf einer Website ebenfalls für die Suche mit Google & Co. indexiert. Weiter muss zwingend die Dokumentsprache angegeben werden, damit Screenreader zum Vorlesen eine passende Stimme in der jeweiligen Sprache verwenden.

Knacknüsse

Wenn Ihnen all die genannten Argumente und Vorgehensweisen einleuchten, sind Sie auf einem guten Weg, um erfolgreich barrierefreie PDF-Dokumente zu erstellen. Zudem werden Sie – spätestens nach den Detailinformationen zum Vorgehen im zweiten und dritten Teil dieser Artikelserie – in der Lage sein, dies technisch umzusetzen.

Im Einzelfall tauchen in der Praxis trotzdem immer wieder Situationen auf, die auf kreative Art gemeistert werden wollen.
• Fall 1: Mehrsprachigkeit. Besonders betroffen ist die Schweiz, insbesondere der Tourismus und die Exportindustrie. In diesen Bereichen sind mehrsprachige Dokumente der Normalfall. Streng nach den Kriterien für optimale Barrierefreiheit argumentiert, geht dies gar nicht. Es wird empfohlen, sprachgetrennte Dokumente zu erstellen. Nun kann die Diskussion darüber recht heftig werden: Muss denn alles dem Kriterium «barrierefrei» untergeordnet werden? Braucht es aus diesem Grund plötzlich viel mehr Prospektständer an Bahnhöfen und Infopoints, um all diese sprachgetrennten gedruckten Prospekte anzubieten? Müssen einem Produkt plötzlich fünf bis sechs Bedienungsanleitungen beigegeben werden statt nur eine einzige, mehrsprachige? Müssen die Dokumente für den Druck und diejenigen zur Verbreitung als PDF separat und unterschiedlich erstellt werden?

Zum Glück gibt es auch in diesem Fall einen Ausweg (respektive «Workaround»): Das Dokument wie üblich mehrsprachig gestalten und umsetzen; für Print wie gewohnt eine einzige PDF-Datei erstellen. Zum Download vom gleichen Ursprungsdokument je eine (noch identische) PDF- Datei pro Sprache exportieren. Diese nun sprachbezogen aufarbeiten: Alle Elemente aus den anderen Sprachen als Artefakte (Hintergrundelemente) definieren. Die Alternativtexte für Bilder und Grafiken in der gewünschten Sprache hinterlegen. Die Dokumentsprache in den Dateiinformationen entsprechend definieren. Diese PDF- Dateien sprachgetrennt zum Download bereitstellen.

Resultat: Das Dokument präsentiert sich optisch wie die gedruckte Ausgabe; vorgelesen werden aber nur die Texte in der gewünschten Sprache.

• Fall 2: Fahrpläne. Da diese kaum in einer interpretierbaren Form vorgelesen werden, bieten sich zwei Lösungen an:

– Fahrplan als Bild einbauen und mit einem detaillierten Alternativtext versehen.

– Hyperlink zur Fahrplanfunktion der Bahn-Website einbauen. Dort liest mittlerweilen eine angenehme mp3-Stimme die gewünschten Verbindungen tadellos vor!

Vorschau auf die Teile 2 und 3

Im Teil 2 in der nächsten Ausgabe geht es um das Vorgehen Step by Step in InDesign bis zum korrekten Export der PDF-Datei.

Im Teil 3 in der Ausgabe 6-2020 gehen wir die Schritte zur Kontrolle, Aufbereitung und Prüfung in Acrobat DC durch und wenden das eine oder andere spezialisierte Tool an.

Ressourcen zum Thema «Barrierefreie PDFs»
• Buch: Barrierefreie PDF-Dokumente erstellen von Klaas Posselt, Dirk Fröhlich, dpunkt.verlag
https://access-for-all.ch WebsitedesKompetenzzentrums Zugang für alle
•Online-KursvonLinkedInLearning BarrierefreiePDFsmitInDesign: https://www.linkedin.com/learning/

• Eidg. Departement des Innern: https://www.edi.admin.ch/edi/de/home.html Suche nach barrierefreie pdf
• Anleitung von Adobe zur Erstellung von barrierefreien PDF-Dokumenten:
https://helpx.adobe.com/ch_de/acrobat/using/creating-accessible-pdfs.html
• PDF/UA kompakt: https://www.pdfa.org/wp-content/uploads/2013/08/PDFUA-kompakt-PDFUA.pdf

Gesetzliche Grundlagen:
– Schweizerisches Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG) vom 13. Dezember 2002 (Stand 1. Juli 2020)
– Deutschland: Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) soll eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen beseitigen bzw. verhindern sowie die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung ermöglichen.

Beat Kipfer PubliCollege, 3400 Burgdorf; Ausbilder FA. Kurse, Lehrgänge, Schulung und Support für Print und WebPublishing; Kurs- und Lehrgangsleiter an mehreren Schulen.
beat.kipfer@publicollege.ch

  • Autor Beat Kipfer
    Ausbilder FA, PubliCollege GmbH, 3400 Burgdorf.
    Kurse, Lehrgänge, Firmenschulungen und Support für Print und WebPublishing; Fachlehrer an der Schule für Gestaltung Aargau, Kursleiter an mehreren Schulen in der Deutschschweiz.
  • Rubrik Publishing
  • Dossier: Publisher 4-2020
  • Thema InDesign, Barrierefreie PDFs, 1/3

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