Es werde Licht

Das Fotostudio ist das kontrollierte Revier eines jeden Fotografen. Kinder und Familien fühlen sich in der fremden Umgebung aber nicht wohl. Draussen lassen sich die besseren Familienbilder machen.

Es ist ein warmer Spätsommertag, das Ausflugsziel ist der Parkplatz Nummer fünf beim Crestasee, Trin-Mulin. Ich treffe mich da mit einer Kleinfamilie, wo wir Familienfotos machen wollen. Die Sonne steht um 13 Uhr noch hoch, keine idealen Lichtbedingungen, würde man meinen. Im Wald ist jedoch helles Licht besser als spärliches Abendlicht, bei welchem man den ISO-Wert hochschrauben muss, um mit vernünftiger Verschlusszeit arbeiten zu können. Auf eine vorgängige Rekognoszierung habe ich verzichtet, weil ich die Örtlichkeiten kenne. Trotzdem gehe ich vor dem Shooting einmal um den See herum, einfach um den besten Platz zu erkunden, und den Lichteinfall abschätzen zu können. Und auch, um beim Arbeiten die Badegäste so wenig wie möglich zu stören. Inmitten fremder Personen in Ruhe ein Kind zu fotografieren, wird nie funktionieren. Da ich die Familie gut kenne, ist ein Warm-up in Form eines Gesprächs nicht nötig. Zwischen Kindern und Fotograf sollte immer eine Vertrauensbasis geschaffen werden, da sie sonst nicht den Anweisungen folgen oder ihre Mimik verkrampft wirkt. Ich lasse Kinder mit der Kamera spielen, sie dürfen damit die Erwachsenen fotografieren. So haben sie Spass und verstehen, was passieren wird. Kinder sind sich heute gewohnt, fotografiert zu werden, und ganz selbstverständlich swipen und zoomen sie auf dem Kameradisplay.

Die fünfjährige Alia wird oft wegen ihrer goldenen Löckchen geherzt, was sie zunehmend stört. Die Bekleidung unterstreicht die innerliche Identitätsfindung, denn eigentlich möchte Alia nicht nur tüllumschlungener Engel sein, sondern auch zu den «bösen Buben» gehören.


Ich wähle das Westufer, weil es da weniger sumpfig ist und sich offene Uferplätze mit Wurzeln und Felsbrocken befinden. Mittlerweile ist es halb drei, als ich die ersten Fotos schiesse. Zuerst probiere ich aus, wie es mit dem Aufsteckblitz zur Aufhellung der Schatten funktioniert. Die Lichtquelle schlägt harte Schatten in die Gesichter, und einen Diffusor habe ich nicht dabei. Also werde ich ohne zusätzliche Lichtquelle auskommen müssen. Ich suche Plätze aus, die grundsätzlich im Schatten liegen – gegenüber leuchtet der Wald über dem grünen See um die Wette. Ein Bilderbuchwetter! Das schattige Licht ist eigentliches Streulicht, für zarte Hauteffekte perfekt. Dazwischen funkeln ein paar Lichtspritzer durch den Blätterwald. Dieses Licht will ich auf den Gesichtern einfangen.

Ich wähle in der Kamera die Spotmessung, welche auf die beschatteten Personen die Belichtung einstellt, korrigiere aber mit Plus-Minus-Korrektur, so dass die Gesichter genügend hell sind. Die Bilder werde ich eher «gegen rechts belichten» (Histogramm), das heisst, der Hintergrund wird etwas zu hell, damit ich die beschatteten Motive gut herausarbeiten kann.

Direktes Sonnenlicht erzeugt harte Schattenpartien auf Gesicht und Körper. Dieses Bild wirkt zudem insgesamt zu dunkel.
Das Blitzlicht erkennt man an den harten Schatten auf Nase oder Hals. Stefanie, Rico und Alia sind nicht eingemittet positioniert.

Ich arbeite mit Festbrennweiten, weil die Schärfe besser ist als bei Zoomobjektiven und sie über eine grössere Lichtstärke verfügen. Das 35-mm-Objektiv ist für Gruppen und wegen der etwas engen Platzverhältnisse das Objektiv meiner Wahl. So bin ich etwa unaufdringliche fünf Meter von meinen Sujets entfernt. Da das Stativ oft zu wenig Flexibilität zulässt, arbeite ich lieber ohne. Ich bewege mich gerne während des Fotografierens, um andere Perspektiven einzufangen oder etwas mehr Umgebungsraum zu gestalten. Eine schnelle Reaktion ist auch wegen der wechselnden Mimik enorm wichtig. Ich stelle meine Kamera in den manuellen Modus M, achte darauf, dass ich über 1/250 Sekunde bleibe, um keine Verwackelungen zu riskieren. Die Blendenöffnung liegt zwischen f 3.2 und f 5.6. Wir arbeiten an verschiedenen Plätzen mit unterschiedlichem Licht. Bei wenig Licht drehe ich den ISO-Wert nach oben bis 800, bei mehr Licht arbeite ich mit 100 ISO.

Ich muss mich gestalterisch entscheiden, ob meine Position stehend oder kniend sein soll. Bei einer Distanz von fünf Metern zu den Motiven ist eine stehende Arbeitsweise gut, die Personen schauen ganz leicht von unten in die Kamera. Zudem wird der Kopf dann vom Wasser umspielt, ohne dass die Wasserlinie mit der Uferzone als Kante das Bild durchzieht. Der Autofokus ist auf den kleinsten Messpunkt eingestellt, der jeweils auf die Augen gerichtet wird, um scharf zu stellen.

Ich habe Glück. Ein wunderbares Lichtspiel bricht durchs dichte Geäst der Bäume und spielt auf den Gesichtern. Es passt zu dem engelsgleichen Gesicht von Alia. Je nach Kopfhaltung spielt das Licht mit den Locken, die Schatten werfen. Eine solche Lichtsituation lässt sich kaum planen, es gilt einfach, viele Fotos zu machen. In zehn Minuten steht die Sonne ganz anders und der Liebreiz ist vorbei.

Mit Kindern zu arbeiten bedeutet, am Anfang viele Bilder zu schiessen, eventuell sogar mit der Serienbildfunktion. Kinder ermüden rasch beim Posing, und wenn sie trötzeln, ist an schöne Fotos nicht mehr zu denken. Alia hat einen eigenen Willen, und wenn sie zum Posieren gezwungen wird, zeigt sie es auch. Kinder sollten Spass am Shooting haben und dafür auch gelobt werden. Meine Ausbeute beträgt 500 Bilder, die in der Nachbearbeitung in Lightroom auf 200 Fotos reduziert werden. Nach der Sichtung durch die Familie bleiben etwa 90 Bilder. In der Nachbearbeitung nehme ich den Weissabgleich vor und regle Farbtöne in ihrer Helligkeit und der Sättigung. Ich achte dabei auf die Wiedergabe von Gesicht und Körper, weniger auf den Hintergrund. Die Wasserlinie begradige ich ebenfalls in Lightroom.

Einfallende Lichtsprengsel bringen ein schönes Lichtspiel aufs Gesicht. Kinder sollen nicht aufgefordert werden zu lächeln. Ihr Charakter kommt in der ernsthaften Natürlichkeit fast besser zur Geltung.
Nähe und Körperkontakt zeigen Zuneigung und Verbundenheit. Hier habe ich die Köpfe mit einem T-Shirt abgeschattet, welches mit dem Stativ hochgehalten wurde.

Outdoor-Familienfotografie lässt sich nie ganz durchplanen, weil vieles schieflaufen kann. Als Fotograf sollte man halt flexibel und situativ reagieren können. Entgegen einer gängigen Lehrmeinung kann man zu jeder Tageszeit oder bei jedem Wetter schöne Bilder machen, nicht nur im Abendlicht. Die Bekleidung halte ich für ganz wichtig, die sollte auch variiert werden. Es darf zudem kein zeitlicher Druck vorhanden sein, entspanntes Arbeiten sieht man den Resultaten an.

Am Crestasee finden sich viele romantische Plätzchen für ein Familienfoto. Man sollte sich dafür aber eine Zeit ohne allzu viele Badegäste aussuchen, die im Bild stören könnten. Bei diesem Bild wird die Familie gestalterisch in die Umgebung eingebettet.

Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG, visuelle Kommunikation, 8800 Thalwil. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürich- seeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden, tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet.

Kontakt: agenturtschi.ch, turtschi@agenturtschi.ch,
Telefon +41 43 388 50 00.

  • Autor Ralf Turtschi
    Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
    tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet.
  • Rubrik Design & Praxis
  • Dossier: Publisher 5-2020
  • Thema Fotografie, Outdoor, Familien, Kinder

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