Geht das auch nachhaltig?

Was wurde doch viele Jahre experimentiert und auf den Markt gebracht: Lacke mit Glitzer, Lacke mit Struktur, sensitive Lacke, irisierende Lacke. Und nun will alle Welt fast ausschliesslich ökologische Printprodukte, die zwar etwas hermachen, aber zugleich umweltsiegelkompatibel sind. Da hilft es nur, im Gedächtnis zu kramen und die Möglichkeiten des vielseitigen Druckhandwerks neu auszuloten.

Es geht auch vegan, wenn über den Klebstoff der Bindung nachgedacht wird: »Ein guter Plan«, Ein guter Verlag, Produktion: Eberl & Kœsel, eberlkoesel.de
Für die Publikation »Naturmuseum« wurde der Umschlag aus Graupappe vollflächig blindgeprägt. Gestaltung TGG Hafen Senn Stieger, tgg.ch

Eines sollte ich vorwegschicken: Für mich persönlich gibt es kaum eine nachhaltigere Kommunikation als feine, handwerklich perfekte Printprodukte. Als Zeugen dienen meine Regalböden, die sich bereits bedrohlich unter der Last von Leineneinbänden, Papiermustern, edlen Broschüren und veredelten Cover biegen. Nie käme es mir in den Sinn, ein gebundenes Buch wegzuwerfen! Diese überdauern bei mir also mitunter schon Jahrzehnte – ist das nicht wahrhaft nachhaltig?

Trotzdem ist natürlich nicht jede Lackierung, jede Heissfolienprägung (die ein Printprodukt, wie wir alle wissen, ja kein bisschen mit Plastik verseucht) oder UV- Sonderfarbe sinnvoll. Zwar ist mir eine laminierte Speisekarte schon aus hygienischen Gründen lieber, der Sonderangebotsflyer auf nichts sagendem Papier mit Spotlackierung ist allerdings fragwürdig. Intelligent eingesetzte Details, die eine Funktion erfüllen, eine Ästhetik unterstreichen, sind zweifelsohne aber notwendig, um sich vom Printallerlei abzuheben … und das geht auch nachhaltig und darüber hinaus budgetschonend. Werfen wir also einmal einen Blick in das reichhaltige Druck-, Veredelungs- und Weiterverarbeitungsmenü. So manch rein zweckmässige Technik von einst kann heute wieder zum Hingucker und gestalterischen Element werden.



Ganz ohne Chemie
Die Blindprägung fällt in Sachen Nachhaltigkeit natürlich als Erstes ein – auch, weil sie gerade wieder so en vogue ist: Ob Buchcover oder Verpackung, das reizvolle Spiel mit Licht und Schatten, mit fühlbaren Kanten und gestalterisch unendlich vielen Möglichkeiten, liegt im Trend und vermittelt zugleich Umweltbewusstsein. Aber, und das ist wohl dem Kunden kaum bewusst:
Letzteres ist nur der Fall, wenn das Prägewerkzeug auch tatsächlich aus Metall gefertigt wurde und entsprechend langlebig verwendet werden kann. Wird Kunststoff eingesetzt, sinkt zwar der Preis (und zudem die Prägequalität) – für konsequente Umweltfreundlichkeit spricht das aber nicht. Perfekt ist diese Technik natürlich für ein immer wiederkehrendes Prägemotiv, denn Metallstempel sind bekanntlich unverwüstlich.
Eine weitere, umwelt- und budgetfreundliche Technik erfreut sich ebenfalls immer grösserer Beliebtheit. Im Gegensatz zu einer herkömmlichen Stanzung muss beim Laser-cut oder der Lasergravur gar kein Werkzeug gefertigt werden. Das spart Zeit für eine aufwendige Fertigung im Vorfeld, erfordert allerdings bei der Produktion an sich ein wenig Geduld – vor allen Dingen bei grossen Auflagen: Das Papier wird bogenweise in die Maschine gelegt und so kann, je nach Komplexität des Motivs, der Laservorgang bis zu einer Minute in Anspruch nehmen. Aber die Technik schreitet auch hier voran und verkürzt die Produktionszeiten stetig. Darüber hinaus ist es möglich, bei diesem Vorgang auch gleich eine Perforierung oder ähnliches zu realisieren. Mit diesem Vorschlag kann der Drucker mitunter richtig punkten, da so beispielsweise bei der Produktion eines gelaserten Magazincovers gleich eine perforierte Postkarte auf der Rückseite eingeplant werden kann. In puncto Material gibt es zudem wenig, was mit dem Laser nicht bearbeitet werden kann – einzig mit leichten Schmauchspuren ist immer zu rechnen. Je nach Papiersorte und -farbe ist das mehr oder weniger ausgeprägt beziehungsweise störend.
Die bereits angesprochene klassische Stanzung könnte aber ebenso hin und wieder in Betracht gezogen werden, wenn es um kleine Details geht, die für Aufmerksamkeit sorgen sollen. Bei Verpackungen ohnehin gerne eingesetzt, um dem Kunden einen kleinen Einblick ins Innere zu gewähren, ist sie auch im Editorial-Bereich durchaus reizvoll. Ein Cover mit Altarfalz und entsprechend clever ausgestanzten Elementen ist (bei einfachen Formen) relativ günstig und in Sachen Nachhaltigkeit unschlagbar. Auch eine Registerstanzung sieht man nun wieder öfter: Diente diese einst lediglich zur Orientierung, kann sie in Sachen Layout spannende Akzente setzen und unter Umständen das klassische Inhaltsverzeichnis ersetzen.


Digital gedruckt und mit filigranem Lasercut veredelt. Gerade für kleinere Auflagen ist diese Technik spannend, da kein Werkzeug erstellt werden muss. Produktion: Colour Con- nection/printweb.de
Stanzen und Falten – auch mit recht einfa- chen Techniken kann grosse Spannung erzeugt werden. tgm Annual Kit. Gestaltung: Milch+Ho- nig Designkultur, milchundhonig-dk.de

Ganz ohne Werkzeuge kommt der Lasercut aus, der nahezu jedes Material veredelt. Gestaltung: Atelier Himmelbraun. Produktion:
Colour Connection/ printweb.de


Veredeln ohne Veredelung
In der Tat lassen sich spannende Details ganz ohne Veredelung realisieren – das Einbinden verkürzter Seiten ist hier nur ein Beispiel, das inzwischen mehr und mehr Anklang findet. Entsteht auf diese Weise doch Spannung im Layout sowie eine zweite Lese- oder Bildebene. Kommen zudem verschiedene Papiersorten zum Einsatz, ist der visuelle Effekt umso grösser.
Glücklich ist auch, wer einen guten Buch- binder zur Hand hat: So wird aus normalen Broschüren dann doch noch ein Schmuckstück. Ob raffinierte Faden- oder japanische Bindung, ob offener Rücken (vielleicht sogar mit Neonfäden?) oder eine Flatbindung – hiermit gelingen Überraschungen, die obendrein ökologisch nicht zu beanstanden sind. Was naturgemäss nicht in Frage kommt, ist eine Spiralbindung aus Metall oder Kunststoff, denn nichts ist lästiger für den Kunden, als bei der Entsorgung Papier und Spirale voneinander trennen zu müssen. Warum ich das extra erwähne? Bei der Jurysitzung eines Designwettbewerbs kam mir jüngst ein Nachhaltigkeitsbericht unter, der … Sie ahnen es. Meine Stimme bekam er nicht.
Etwas aus der Mode gekommen, obwohl man sich eigentlich immer über sie freut, ist die Banderole. Der Kunde beschäftigt sich auf diese Weise einige Minuten länger mit dem Produkt, sie strahlt Wertigkeit und Wertschätzung aus. Darüber hinaus kann die zusätzliche Fläche gut und gerne für eine aktuelle Mitteilung oder zur Individualisierung dienen.
Fast schon zum Standard geworden, aber nichtsdestotrotz hat er hier seinen Platz: der Farbschnitt. In grauer Vorzeit Bibeln und Kirchengesangsbüchern vorbehalten und dann fast ausschliesslich im klassischen Gold, ist er allemal sein Geld wert. Mir dient er meist zur Orientierung in meinem ungelesenen Bücherstapel, andere schätzen einfach die im wahrsten Sinne rundum stimmige Optik. Und da wir gerade bei Büchern sind, ein dringender Appell an alle Verlage: Für den Einsatz eines Lesebändchens (oder buchbinderisch korrekt benannt «Zeichenband») würde ich immer glatt ein paar Prozent mehr bezahlen – die Bändchen sind unschlagbar praktisch und dem Erfinder gebührt posthum das goldene Buchdruckerverdienstkreuz. Denn anders als bei Lesezeichen bleiben sie an Ort und Stelle, auch auf Transportwegen oder Abstürzen von der Bettkante. Zudem ist ein farblich abgestimmtes oder gar bedrucktes Band schlichtweg ein aufmerksamkeitsstarkes Detail, das bei der Gestaltung gleich mitgedacht werden sollte.



Vergessener Eyecatcher
Einige wiederentdeckte Klassiker haben wir nun schon aus der Schublade geholt, nun fehlt aber noch ein vergessener Eyecatcher. Vor Jahren war ich an einer Coverproduktion mittels Irisdruck beteiligt und konnte es nicht fassen, dass dieser so selten zum Einsatz kommt. Egal ob im Flach-, Hoch- oder Siebdruck angewandt, verzaubert er gerade bei grösseren Auflagen mit dem sich verändernden Farbspiel. Eine grandios einfache Technik, die aber beispielsweise auf Veranstaltungen, bei denen viele Menschen das scheinbar gleiche Programmheft in den Händen halten, das sich dennoch in den Farbschattierungen unterscheidet, für Aufsehen sorgen kann.



Ganz ohne ist auch nicht ohne
Sollte der Kunde ganz und gar kein Budget für Extravaganzen aufbringen können, aber dennoch auf eine besondere Wirkung bestehen, hilft ein Blick in den Papiermusterschrank, der hoffentlich gut befüllt ist: Jedes Jahr kommen unzählige optisch und haptisch reizvolle Sorten auf den Markt und selbstverständlich zerbricht sich die Papierindustrie in puncto Nachhaltigkeit auch den Kopf. So ist inzwischen eine Sorte aus recycelten Coffee-to-go-Bechern ebenso auf dem Markt wie reines Graspapier oder aber ein Material, das Reste aus der Obstverarbeitung enthält. Besonders wird ein Projekt aber auch, wenn etwas zum Einsatz kommt, das eigentlich für etwas anderes vorgesehen war – warum nicht einmal einen Einband aus Wellpappe oder eine Visitenkarte auf Bierdeckelkarton andenken? Wer sich hier ein wenig umsieht, hat nicht nur die richtige Alternative für ein umweltfreundliches Projekt an der Hand, sondern kann darüber hinaus auch eine spannende Geschichte zum Papier erzählen. Dass ein FSC- oder von einer anderen anerkannten Organisation zertifiziertes Material immer vorzuziehen ist, möchte ich nur der Vollständigkeit halber erwähnen … es sollte inzwischen selbstverständlich sein, wenn es um Nachhaltigkeit geht.


Kleines Detail grosse Wirkung: Eine offene Faden- heftung in bunt. Produktion f&w Druck- und Mediencenter

Eine Registerstanzung samt verkürztem Cover gibt Orientierung und ist zugleich ein aufmerk- samkeitsstarkes Gestal- tungselement. »Moholy- Nagy und die Neue Typografie«, Kettler Verlag, verlag-kettler.de



Weniger ist mehr
Meine Einstellung zu nachhaltiger Printproduktion wurde schon zu Beginn des Beitrags deutlich; eines würde ich gerne ergänzen, da sich letztlich doch immer alles um Budgetfragen dreht: Wer ein wenig an irrwitzigen Auflagen spart und dafür gezielter kommuniziert, kann sich auch Ausstattungen leisten, die für echte Langlebigkeit sorgen und Emotionen erzeugen. Wer möglichst günstig in überdimensionierter Stückzahl und damit zu einem grossen Teil für die Tonne produziert, wird selbst seine ernsthaft interessierte Zielgruppe kein bisschen im Herzen berühren. Und dieses Organ ist doch das eigentliche Ziel eines jeden Marketingexperten… 

  • Autor Bettina Schulz
    Bettina Schulz ist freiberufliche Texterin und Journalistin in München. 18 Jahre lang leitete sie als Chefredakteurin das internationale Fachmagazin novum World of Graphic Design und initiierte in dieser Zeit auch die alle zwei Jahre stattfindende Creative Paper Conference in München. Zudem ist sie Jurymitglied verschiedener (internationaler) Designwettbewerbe wie beispielsweise dem Red Dot Communication Design, dem Design Preis München oder dem IIIDaward und hielt bereits zahlreiche Vorträge. Zu ihren Kunden zählen Verlage, Agenturen und Kreative sowie Unternehmen aus der Wirtschaft. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Bereichen Papier, Druck und Veredelung. www.bettina-schulz.de.
  • Rubrik Nachhaltigkeit
  • Dossier: Publisher 5-2020
  • Thema Nachhaltigkeit, Kommentar

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