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Ursache und Nebenwirkungen

Leben mit dem Risiko

Jedes Leben endet mit dem Tod. Bis heute gilt dieses Axiom für alles und jedes: Menschen, Tiere, Pflanzen, Berge. Selbst die Erde wird in drei Milliarden Jahren in der Sonne verglühen, wenn den Astronomen geglaubt werden kann. Die Regenerationsfähigkeit der Natur oder das Entstehen des Lebens setzt ja geradezu das Sterben voraus. Ohne Tod ist kein Leben möglich. Der Tod ist garantiert – dazu gibt es keine Wahrscheinlichkeitsrechnung und kein Risiko. Der natürliche Todeszeitpunkt ist nicht absehbar. Die einen sehen ihn als Schicksal, die andern als göttliche Vorbestimmung. Und es gibt keine Garantie für ein glückliches, gesundes und langes Leben mit dem sanften Einschlafen am Schluss.

Das Leben nach dem Tod ist gleichbedeutend mit
der uralten Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Im Grunde überhöht sie das Menschsein zu etwas ausserordentliches Wichtigem. Letztlich ist die Vorstellung vom ewigen Leben (Himmel, Hölle, Paradies, Nirwana usw.) nichts anderes als das Eingeständnis, sich nicht mit der eigenen Endlichkeit abfinden, das Nichts schlechts akzeptieren zu können, Angst vor der völligen Absenz und Bedeutungslosigkeit zu haben. Für viele ist das Leben nach dem Tod ein tröstlicher Begleiter – und für Religiöse die Motivation, im Hier Bonuspunkte für das Jenseits zu sammeln.

Wir alle tragen ein Risiko, frühzeitig zu Tode zu kommen. «Frühzeitig» ist jedoch ein falscher Begriff wider die Naturgesetze. Wir leben nun einmal nicht alle gleich lange. Die Natur hält für jede und jeden einen eigenen Zeitpunkt parat. Das Risiko bemisst sich an der mittleren Lebenserwartung einer Bevölkerungsgruppe. Das alles geht uns als Individuum offensichtlich aber wenig an: Wir haben gelernt, sorglos mit Risiken umzugehen. Das Risiko, schwer zu erkranken oder einen Unfall zu erleiden, wird durch gedankenloses Verhalten in Kauf genommen. Wer mit Kopfhörern im Ohr und dem Blick aufs Handy über die Strasse hetzt, setzt sich einer Gefahr aus. Alkohol, Drogen, Medikamente, Zucker, Salz – der masslose Konsum kann unser Leben um Jahre verkürzen. Trotzdem haben wir gelernt, mit Risiken umzugehen. Und immer mehr Risiken werden von einer Versicherung übernommen, von der Krankenkasse bezahlt. Gut fürs Gefühl, schlechts fürs Portemonnaie aller.

Jedes wirtschaftliche Unternehmen birgt Risiken. Unternehmerinnen und Unternehmer stecken oft ihr ganzes Geld in ihre Firma und schaffen Arbeits- und Ausbildungsplätze. Es liegt in der Natur der Sache, dass
in sich schnell ändernden Zeiten Unternehmen sterben und neue entstehen. Die Gas- und die Ölindustrie müssen erst in den Köpfen sterben, um erneuerbare Energien wachsen zu lassen. Es gibt keine Garantie für Unsterblichkeit.

Dass Risiken zunehmend vom Staat «versichert» werden, gibt mir zu denken. Er subventioniert Branchen, nennt es wohlmeinend Lenkungs- abgaben oder Förderbeiträge, hat Wohlfahrt im Sinn. Die Land- und die Bauwirtschaft haben nun einmal ein Schlechtwetterrisiko! Gründer von Kleinbetrieben sind oft von der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen, ihr Risiko! Der Tourismus hat ein Wetter- und ein Pandemierisiko! Der Export trägt das Risiko unsicherer nationalstaatlicher Rahmenbedingungen! Die Medien leiden unter einem Rückgang des Werbeumsatzes – ein absehbares Risiko. Und tritt ein Schaden ein, wird dann schnell nach dem grossen Helfer gesucht – als Versicherungslösung bietet sich der Staat an, der die am lautesten blökenden Schäfchen am schnellsten vor dem Untergang «rettet». Die aktuelle Pandemie zeigt, wie es läuft. In der Wirtschaft ist es aber nicht wie im menschlichen Leben: Es gibt ein Leben nach dem Tod. Neues kann nur entstehen, wenn Altes zu Tode kommt.

  • Autor Ralf Turtschi
    Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
    tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet.
  • Rubrik Kolumne
  • Dossier: Publisher 5-2020
  • Thema Ultimo

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