Hochleistungsmotor für elegantes DTP

Unter diesem Slogan preist Serif die Layoutsoftware Affinity Publisher auf ihrer Website an. Was verbirgt sich dahinter? Was dürfen wir von einem Programm, das einmalig 48 CHF kostet, wirklich erwarten? Taugt das Programm gar als InDesign-Ersatz? 

Zur Geschichte des Desktop Publishing
Ein kurzer Rückblick: Als Ende der 1980er-Jahre die Geschichte des Desktop Publishing begann, gab es eine grosse Begeisterung für PageMaker. Uneingeschränkt? Wer war wirklich begeistert? Dies waren weniger Fachleute, welche PageMaker mit ihren teuren Satzsystemen verglichen, als vielmehr branchenfremde Anwender, welche vom Mac und seinen Möglichkeiten schwärmten.

Die Situation änderte sich ziemlich rasch mit dem Erscheinen von Quark XPress. Diese Software erlaubte erstmalig die Erstellung professioneller Publikationen unter Einhaltung aller typografischen und produktionstechnischen Anforderungen. Damit verlagerten auch die Profis ihre Satzproduktion und die Umsetzung von gestalteten Printprodukten mehr und mehr auf den Mac. Zusammen mit Illustrator und Photoshop war es in kurzer Zeit möglich, die Publikationen viel einfacher und günstiger herzustellen als vorher.

Quasi-Monopol InDesign
Als dann um die Jahrtausendwende InDesign auf den Markt kam, war die Skepsis anfänglich wieder gross, da dieses neue Programm von Adobe noch sehr fehleranfällig war. Durch intensive Entwicklung hat Adobe mit seiner Power als einer der grössten Programmhersteller jedoch rasch den Turnaround geschafft und InDesign durch grossen Programmier- und Marketingaufwand als Quasi-Monopol-Layoutsoftware positionieren können. Die Einbindung des Programms in die Creative Suite und später in die Creative Cloud half dabei sicher mit.

Wiederholt sich nun – gute zwanzig Jahre später – die Geschichte? Bringt Affinity Publisher so viel frischen Wind in die Layoutszene, dass InDesign mit seiner mittlerweile etwas trägen Weiterentwicklung ernsthaft in Bedrängnis kommen könnte?

Aller Voraussicht nach wird dies nicht geschehen. Es ist jedoch gut denkbar, dass Adobe einen gewissen Marktanteil an Serif verlieren wird. Schauen wir uns die Situation im Folgenden etwas genauer an.

Mit Affinity Publisher können professionelle Layouts aller Art erstellt werden, die jedem Vergleich standhalten.

Abomodell als Ausstiegsgrund?
Als unsympathisch kam für etliche Anwender herüber, dass InDesign nur noch im Abo erhältlich ist und nicht mehr gekauft werden kann. Hat man sich mittlerweile an dieses Modell gewöhnt? Wer stört sich heute eigentlich noch daran?

Für Publishing-Professionals in der Druckvorstufe oder Agentur ist das Abomodell kein Nachteil. Im Gegenteil sieht man es in dieser Szene als grossen Vorteil, dass in der Regel alle an einem Auftrag Beteiligten die aktuelle Version von InDesign einsetzen und die Kompatibilität beim Datenaustausch dadurch gewährleistet ist. Die Kosten des Abos wirken sich nicht entscheidend auf den Stundensatz aus, wenn die Programme in Vollzeit verwendet werden.

Desktop Publishing auf breiter Front
Die Möglichkeit, Publikationen auf Mac und PC zu erstellen hat bekanntlich dazu geführt, dass diese Tätigkeiten schon lange nicht mehr nur von Polygrafen und Grafikern ausgeführt wird. InDesign hat sich unter anderem dadurch so rasant verbreitet, dass es auch bei vielen Anwendern im Einsatz ist, bei denen das Layouten nur einen kleinen Teil ihres Jobs ausmacht. Typische Beispiele dafür sind Personen aus dem Marketing­bereich, aus dem Corporate Publishing in Firmen und Organisationen, in Schulen etc.

Aus Mangel an Alternativen – und um mit der Druckerei oder dem Grafiker kompatibel zu sein – wendet man überall dort ebenfalls die Programme der Creative Cloud an. Wird das Programm nur einige wenige Stunden pro Monat angewendet, schlagen die Abokosten deutlicher auf den Stundensatz durch als beim Vollblut-Anwender. Viele dieser User sind zudem von der Fülle an Funktionen und den komplexen Arbeits­abläufen oft überfordert. Sie layouten trotzdem selber, weil sie – bezogen auf ihre Publikationen – meistens inhaltlich kompetent sind. Die Kommunikation mit dem Profi für jede Überarbeitung und Korrektur wäre zu schwerfällig und zu teuer.

Wir wollen hier nicht diskutieren, wie viel solche Anwender unter dem Strich tatsächlich sparen, indem sie die Publikationen selber pflegen. Je nach Umfeld kann die Ersparnis erheblich sein. Es gibt aber auch die anderen Fälle, wo das Nachrechnen des effektiven Aufwands lohnend sein könnte …

Für den genannten Anwenderkreis lohnt sich der Wechsel auf Affinity Publisher in den meisten Fällen. Viele haben dies erkannt und diesen Schritt bereits vollzogen: Sie bereuen es ganz und gar nicht.

Konvertierung von InDesign-Dateien
Bestehende InDesign-Dokumente werden übernommen, indem man sie als .idml speichert und dann in Publisher öffnet. Dies funktioniert einwandfrei, in der neuesten Version 1.10 nochmals rascher als vorher.

Wie nach jeder Konvertierung müssen solche Dateien geprüft und das eine oder andere Detail angepasst werden. Spannend ist wirklich, wie gut Absatz- und Zeichenformate übernommen werden. Die Erfahrung zeigt, dass der Text nach einer Laufweitenkorrektur von –5 ‰ sehr ähnlich (aber nicht identisch!) läuft wie vorher im InDesign-Dokument. Absatzlinien werden in «Verzierungen» umgewandelt, welche auf gleiche Weise wie in InDesign funktionieren.

Bei der Silbentrennung gibt es Unterschiede, denn das deutsche (oder deutsch-schweizerische) Wörterbuch von Publisher basiert nicht auf dem Duden. Trotzdem sind Trennfehler eher selten – der gesamte Text muss aber unbedingt kontrolliert werden!

Ebenfalls korrekt konvertiert wird die Anwendung der Musterseiten und der Ebenen. Die Farbfelder des konvertierten Dokuments erscheinen in einer separaten Liste, welche nach Bedarf als Dokument- oder Programmpalette gespeichert werden kann. Der Textumfluss wird 1:1 übernommen – dies gilt auch für komplexe Formen.

Vorsicht ist geboten bei mehrspaltigen Textrahmen, in welchen in InDesign die Spaltenspanne-Funktion angewendet wurde. Diese gibt es in Publisher (noch) nicht. Resultat nach der Konvertierung: Solche Titel befinden sich in der ersten Spalte; von dort müssen sie ausgeschnitten und manuell in einen separaten Textrahmen gestellt werden. Dies ist etwa der gröbste Fehler, welcher bei der Konvertierung passiert.

Hierzu ist Affinity Publisher geeignet

Affinity Publisher kann also mit gutem Gewissen für alle jene empfohlen werden, welche «klassisches» DTP gemäss folgendem Arbeitsablauf betreiben:

  • Layoutdatei mit Musterseiten, Ebenen, Absatz- und Zeichenstilen erstellen;
  • Text platzieren oder einfügen mit Copy & Paste;
  • Textumbruch mithilfe ein- oder mehrspaltiger Rahmen vornehmen;
  • Bilder und Grafiken in allen gängigen Datenformaten platzieren, Grösse und Ausschnitt definieren, Auflösung prüfen;
  • Text mittels Absatz- und Zeichenstilen oder manuell formatieren;
  • CMYK- oder Pantonefarben anlegen und anwenden;
  • Typografische Aufbereitung (typogra­fische Leerräume, Kerning, korrektes Hoch- und Tiefstellen, OpenType-Optionen für Ziffern, manuelle Trennungen mit weichem Trennstrich einfügen usw.);
  • Datei auf Übersatz, fehlende Schriften oder Glyphen prüfen;
  • Lowres-PDF zur Ansicht, PDF/X-4-Dateien für den professionellen Druck exportieren.

InDesign für die automatisierte Satzproduktion
Eine Stärke von InDesign ist zweifellos, dass es sich in komplexe Gesamtsysteme einbinden lässt. So arbeiten die Redaktionssysteme, welche heute bei Zeitungen oder Zeitschriften im Einsatz sind, fast ausschliesslich mit InDesign. Dasselbe gilt für das automatisierte, datenbankgesteuerte Publizieren, welches meistens mit JavaScript gesteuert wird. Für diese Bereiche bleibt InDesign erste (und oft einzige) Wahl, in diesem Umfeld spielt es seine Stärken aus.

Ist der Hochleistungsmotor ein Argument?
Kommen wir zurück zum Slogan von Serif. Es steht mir nicht zu, der Herstellerfirma der Affinity-Programme Empfehlungen zur Vermarktung des Produkts abzugeben. Eines stimmt: Affinity Publisher ist wirklich ein Hochleistungsprogramm, wenn man es von der Performance her anschaut. Allerdings ist dies für den grössten Teil des Zielpublikums sekundär. Viel mehr zählt der Umstand, dass mit diesem Programm einwandfreie und typografisch hochstehende Layouts erstellt werden können und dass Affinity Publisher dabei vom Funktionsumfang her übersichtlich geblieben ist. Aus diesen Gründen ist der Lernaufwand insgesamt kleiner, was den Einstieg erleichtert. Nicht-Vollblut-Satzprofis kommen rascher zum Ziel als mit einer so komplexen Anwendung wie ­InDesign.

Es ist etwa wie bei der Wahl des passenden Autos: Ein guter Motor ist selbstverständlich und – ausser bei Rennfahrern – selten das Argument für den Kaufentscheid. Viel mehr zählen Komfort und Ausstattung. In diesem Vergleich steht Affinity Publisher für gute Mittelklasse, aber ohne überflüssige Extra-Ausstattung. Beim günstigen Preis hinkt dieser Vergleich: Für so wenig Geld gibt es nicht so viel Auto. Affinity Publisher ist konkurrenzlos günstig – aber definitiv kein Billigprodukt! Das Programm wird zudem Schritt für Schritt mit jedem Update besser. 

Erstaunlich vielseitiger Affinity Publisher
Aus den im Artikel erwähnten Gründen geht es nicht um eine Features-Schlacht zwischen Adobe InDesign und Affinity Publisher. Dennoch müssen etliche Funktionen und Qualitäten vorhanden sein, um von einem pro­fessionell einsetzbaren Layoutprogramm sprechen zu können. Der Kaufpreis des Programms ist sensationell günstig – dies zählt aber nur, wenn die Ziele durch den Einsatz dieser Software ohne Kompromisse erreicht werden können.

Einige wichtige Pluspunkte

  • Aufgeräumtes, übersichtliches User Interface;
  • Äusserst gute Performance – diese wurde in der Version 1.10 nochmals erheblich verbessert;
  • Gelungenes Zusammenspiel mit Affinity Photo und Designer zur Integration von Bildern und Grafiken;
  • Mikrotypografie gut umsetzbar: Feines Kerning, OpenType-Unterstützung, ­komfortable Optionen in den Absatz- und Zeichenstilen, Grundlinienraster;
  • Komfortable Tabellenfunktion mit Tabellenformaten, inkl. xlsx-Import;
  • IDML-Dateien aus InDesign können geöffnet werden; die Dateien werden gut konvertiert (inkl. Absatz- und Zeichenformaten, Farbfeldern etc.). Der Text kann anders laufen, muss daher kontrolliert werden;
  • Musterseiten, Ebenen, aut. Paginierung, komfortable Inhaltsverzeichnis-­Funktion;
  • Farbmanagement mit ICC-Profilen implementiert;
  • Arbeitsoberfläche kann mit eigenen Studiovorgaben personalisiert werden;
  • Editierbare Tastenkürzel für vereinfachte Bedienung;
  • Stock-Funktion mit Direktzugriff auf Unsplash, Pexels und Pixabay;
  • Datenexport in alle gängigen Dateiformate inkl. PDF/X
  • Datenzusammenführung, Dateien verpacken;
  • Skalierbare Checkliste zur Vermeidung aller wichtigen Fehlerquellen wie Bilder mit zu wenig Auflösung, Übersatz und vieles mehr.

Das gefällt uns noch weniger

  • Bedienung in einigen Bereichen noch etwas holprig (z. B. Assets = Bibliotheken: Kategorie anlegen, Kategorie umbenennen alles übers Menu – Objekte aufnehmen aus Auswahl und nicht per Drag & Drop);
  • Wörterbücher für die deutsche Schweiz zur Silbentrennung und Rechtschreibprüfung müssen (können) nachgerüstet werden;
  • Keine Spaltenspanne-Funktion: Titel über mehrere Spalten müssen sich in ­separaten Rahmen befinden;
  • Grep noch sehr rudimentär implementiert;
  • Objektstile lassen sich nachträglich nicht editieren;
  • Kein Importfilter zur Spezifizierung der Textübernahme aus Microsoft Word;
  • Keine Buchfunktion für umfangreiche Dokumente.

Beat Kipfer, PubliCollege, 3400 Burgdorf; Ausbilder FA. Kurse, Lehrgänge, Schulung und Support für Print und WebPublishing; ­Kurs- und Lehrgangsleiter an mehreren Schulen. beat.kipfer@publicollege.ch



  • Autor Beat Kipfer
    Ausbilder FA, PubliCollege GmbH, 3400 Burgdorf.
    Kurse, Lehrgänge, Firmenschulungen und Support für Print und WebPublishing; Fachlehrer an der Schule für Gestaltung Aargau, Kursleiter an mehreren Schulen in der Deutschschweiz.
  • Rubrik Publishing
  • Dossier: Publisher 4-2021
  • Thema Affinity

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Kommentare

Raimund Hesse, 10. Januar 2022, 17:46

Hallo Beat Kipfer,  Ihrem Beitrag vom 25.10.2021 “Hochleistungsmotor für elegantes DTP” kann ich nur zupflichten. Als ehemaliger User von Aldus über Pagemaker hin bis zu InDesign bin ich nun ohne Reue auf Affinity Publisher umgestiegen … und bin mehr als zufrieden. Auch wenn das Tool ein wenig Einarbeitungszeit benötigt, kann AP locker mithalten. In einigen Bereichen ist AP – meines Erachtens – sogar anwenderfreundlicher als andere Editoren.
Mal sehen, wie die Weiterentwicklung von AP ausschaut … bestimmt wird man überrascht sein.

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