Gender*innen, Userin und User, Typ_innen, Profi:n

Ursache und Nebenwirkungen

Kolumne von Ralf Turtschi

An Schreibern wie Dr. Pingelig geht die voll entbrannte Genderdebatte nicht spurlos vorbei. Losgetreten hat sie die Zürcher Fachstelle für Gleichstellung, die Lehrer*innen Tipps für eine geschlechtergerechte Sprache mit dem Genderstern vor das Klassenzimmer legt. Man könnte das Gefühl bekommen, wer nicht gendert, der werde Bösartigkeit unterstellt.

Die Bundeskanzlei hat dem Papier ein entschiedenes Nein entgegengeworfen. Auf Stufe Bund ist man aus sprachlichen, rechtlichen und sprachpolitischen Gründen der Meinung, dass solche politischen Statements nicht geeignet seien, alle Geschlechter gleichermassen zu adressieren.

Ich erinnere mich an den Kanton St. Gallen, der in Eigenregie erklärte, der Abstand zwischen dem Abkürzungspunkt bei «St.» und «Gallen» sei in amtlichen Dokumenten im kantonalen Gebrauch wegzulassen. Das Durcheinander folgte auf dem Fuss: St.Gallen ohne Abstand und St. Gallen mit Abstand leben seither in einträchtiger Koexistenz. Die Zürcher:innen lehren die Schreibweise: St. Gallen, manche St._Galler_innen schreiben eben St.Gallen. Mit genauso einem Kantönligeistfall haben wir es in der Genderfrage zu tun.

Mir persönlich geht dieser typografische Laienzirkus auf den Keks. Die Gleichstellung von Mann und Frau ist ein Prozess, der auf verschiedenen Ebenen allmählich stattfindet, beim Lohn, bei der AHV, in der Politik, der Familie und auch der Sprache. Die politische Korrektheit beamt*innenhaft in der Kultur per Dekret zu verankern, ist sprachlich bescheuert. Und ob es in den Köpfen zu gleichgestelltem Denken und Handeln führt, darf bezweifelt werden. Weshalb soll die deutsche Sprache mit allerlei Sonderzeichen oder blöden Umschreibungen verhunzt werden? Sie steht auf den Typen – er auf die Typin? Statt Bewohnerinnen und Bewohner heisst es neu Bewohnende, die Einwohner von Basel werden Einwohnende genannt, die Mietenden, die Besitzenden – wo bleibt das Sprachgefühl? Die ausdrucksstarke deutsche Sprache der politischen Korrektheit opfern? Das Binnen-I hat sich zum Glück nicht durchgesetzt (guteR AssistentIn). Dem Genderstern haftet der Makel an, Pronomen, Artikel und Adjektive sprachlich nicht korrekt abzubilden: «deinem Lehrer oder deiner Lehrerin» wird zu «deinem*r Lehrer*in» – nicht jedermanns*fraus Sache. Wie soll das barrierefrei oder gesprochen funktionieren? Die Kantonsräte*innen sind belustigend, Bäuerinnen und Bauern sehe ich nicht als Bauer*innen und auch die zusammengesetzten Wörter wie Fischer*innenboote klingt clown*innen­esk. Die Genderwelle schwappt sogar in die Tierwelt über: Wendungen wie Elefantinnen und Äffinnen machen zum Glück noch keinen Löw*innenanteil aus, darüber brauchen wir keine Krokodils_innentränen zu vergiessen.

Der Gipfel des Übels wird erreicht, wenn englischstämmige Vokabeln gegendert werden. In diesem Sinn gibt es die Managerin, CEOin, Userin, Profin, Developerin, Art Directorin und Influencerin nicht. Lassen wir es doch beim Englischen, wo die Genderfrage weder auf dem Papier, der Zunge noch in den Köpfen existiert.

Ein weiteres Problem stellt sich Dr. Pingelig bei der Silbentrennung: Wie trennt man den Genderstern, den Underscore oder den Doppelpunkt: Raucher_-innen, Raucher-*innen oder Raucher-:innen? Und wie bringt man das alles Word, InDesign, Google-Übersetzer und Co. bei?

  • Autor Ralf Turtschi
    Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
    tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet.
  • Rubrik Kolumne
  • Dossier: Publisher 4-2021
  • Thema Kolumne

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