Themen: Kolumne

Stillstand

Ich bin weiss Gott nicht jemand, der an der eigenen Vergangenheit hängt. Mit Sprüchen wie «Früher war alles besser» kann ich wenig anfangen. Kürzlich habe ich in einem alten Fotoalbum geschmökert, mit eingeklebten Fotos und so. Die Farben ausgeblichen, alle Bilder nach heutigen Kriterien ziemlich unscharf, miese Bildausschnitte, ein analoges Fotoarchiv – wie konnte ich damals so etwas machen! Nein, in der Vergangenheit war nicht alles besser. Der «Publisher» vor 25 Jahren wäre in der damaligen Typografie heute undenkbar. In den wilden 90er-Jahren, als die Welt im Desktop-­Publishing- und Digitaldruck-Hype vibrierte, erschütterten uns technologische Neuerungen im Halbjahresrhythmus. Über die ersten 128er-Modems, die in späten Nachtstunden die ersten Internetseiten zuckelnd auf den Bildschirm schrieben, können wir nur milde lächeln. Aufbruchstimmung war im gesamten Haus!

Digitalisierungsanfänger!

An dieser Stelle über Digitalisierung zu schreiben, mag für ­Publisher-­Leserinnen und -Leser Schnee von gestern sein. Ist doch die «Digitalisierung», oder was wir darunter verstehen, scheinbar längst gelebter Alltag. Bei näherer Betrachtung geht es nicht darum, einen Mac oder PC virtuos bedienen zu können, InDesign, Photoshop und andere Programme mit Shortcuts zu beherrschen. Also die Dinge zu tun, die uns in der Lehrzeit beigebracht wurden. Sind wir einmal ehrlich: Die Bedienung von Software wird doch einfach von allen vorausgesetzt. Es ist schon fast so, wie wir sehen oder lesen können. Vor allem im Webdesign sehen wir immer mehr Bedienungskomfort, die Komplexität versteckt sich unter der Oberfläche, die scheinbar einfach per Drag & Drop bedient wird. Ketzerisch nachgedacht: Warum lernen wir dann überhaupt noch InDesign? Das kann heute doch jeder! Ob Fotograf, Vereinspräsident, Musikband oder KMU, das Logo, den Flyer, den Steller, die Autobeschriftung, das Plakat und das Buch gestaltet und produziert man selbst. Da und dort helfen vielleicht Templates mit. An diesem Beispiel möchte ich aufzeigen, dass die Digitalisierungswelle uns Ertrinkende längst überschwappt hat. Wo die lernenswerten grundlegenden Fertigkeiten für die künftige Medienaufbereitung liegen und wie ihre Halbwertszeit ist, scheint unsicher und zweifelhaft. Sicher ist, dass die Digitalisierung und die Bildungsindustrie jedermann ermöglicht, es den Fachleuten gleichzutun. Ein PDF druckfertig aufzubereiten, ist aus meiner Sicht keine lernenswerte Fertigkeit. Wir reden heute von künstlicher Intelligenz – da sollte es Software doch möglich sein, die Datentransformation vom einen zum anderen Format automatisiert zu schaffen. Inzwischen knorzen wir an personalisierten Anreden rum und können «Liebe Ursi», «Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Kehlmann», «Grüezi Frau Malic» und «Hallo Philipp» gerade mal zu «Geschätzter Kunde» zusammenfassen.

Google in die Hände gespuckt

Der Zugang zur beruflichen Grundbildung und Weiterbildung hat sich dank dem Internet sehr vereinfacht. Früher gabs ein paar Gurus, denen hingen die Zuschauer an den Promotionsveranstaltungen an den Lippen. Veranstaltungen waren ein gutes Geschäft, für die Unternehmen als Plattform, die Gurus, die Anwender, die ihre Notizbücher mit Tipps und Tricks füllten. Heute scheinen diese Zeiten vorbei zu sein. Wer heute etwas wissen will, googelt. Es gibt nichts, was Google nicht weiss. Sogar, was ich nicht weiss und deshalb google. Hat der Beruf Fachlehrer Zukunft? Google weiss es doch viel besser, aktuell und schneller! Vielleicht etwas gar provokativ gedacht, denn Google hat keine Vorstellung davon, wie Know-how in Wertschöpfung umgewandelt werden kann. Wissen ist das eine, aber wie Wissen vom Hirn über die Hände auf die Tastatur gelangt, etwas ganz anderes. Noch leben wir alle nicht davon, dass wir einfach supergescheit sind. Unsere Kunden oder Chefs wollen Taten sehen, die Wertschöpfung bedeuten.

Nur Dummheit ist umsonst

Die Vergleichbarkeit von Waren und Dienstleistungen ist mit dem Internet sehr viel einfacher geworden. Ohne grossen Aufwand lässt sich herausfinden, wie viel Pullover da und dort kosten, wie eine Politikerin im letzten Jahr abgestimmt hat oder wer die günstigsten Flüge anbietet. Diese Transparenz ist jedoch eine scheinbare. Langsam merken wir, dass die Vergleichbarkeit nur bedingt taugt, das Internet ist in diesem Sinn noch geduldiger als Papier. Sicher ist, dass Dinge und Dienstleistungen immer weniger kosten. Gerade in der Publishing- und Druckbranche ist das Preisgebaren selbstmörderisch. Die Medien selbst stellen ihre Inhalte gratis zur Verfügung – weshalb überhaupt noch für Informationen bezahlen? Werte werden verschoben.

Überflüssige Schäden

Wie der Verband Auto Schweiz veröffentlichte, waren im Jahr 2017 47,5% aller in der Schweiz verkauften Neuwagen mit Allradantrieb ausgerüstet. Bei den Premiummarken sind es sogar über 70%, die mit 4×4 unterwegs sind. Allradantrieb ist in gefühlten 99,9% aller Fälle ziemlich überflüssig und reiner Luxus. Abgesehen vom äusserst seltenen Fahren auf vereisten Bergpfaden im schweizerischen Hinterland ist Allrad nicht notwendig. Warum dann dieses Kaufverhalten, dem auch ich schon erlegen bin? Wer die Werbung analysiert, stellt fest, dass SUV darin gerne auf verschneiten Strassen abseits jeder Zivilisation dargestellt werden: Wo die Strasse aufhört, bist du in deinem SUV-Land. Bei einem kleineren SUV wie dem Opel Mokka macht der Allradantrieb etwa 90 Kilogramm Gewichtszunahme aus, was zwei zusätzlichen Jugendlichen entspricht, die mitfahren. Bei grösseren SUV entspricht die Gewichtszunahme einer prallen Campingausrüstung, die das Auto bis unters Dach füllt. Wenn wir der Einfachheit halber mal 100 Kilogramm rechnen, die ein 4×4 zusätzlich mit sich herumschleppt, und dafür einen Mehrverbrauch von 0,3 Litern pro 100 km veranschlagen, ergibt sich bei einer Fahrleistung von 15 000 km pro Jahr ein Zusatzverbrauch von 45 Litern/Jahr. Laut Bundesamt für Statistik wurden 2017 in der Schweiz total 315 032 Personenwagen neu eingelöst. Insgesamt sind bei uns 4,57 Mio. Personenwagen unterwegs. 47,5% der Neuwagen, also rund 150 000 Fahrzeuge, fahren mit Allrad. Wenn diese im Schnitt 45 Liter Treibstoff mehr pro Jahr ­benötigen, berechnen wir einen völlig unnötigen Verbrauch von 6,75 Mio. Liter (gleich etwa 225 Tanklastzüge à 30 000 Liter). CO2 und Stickoxide lassen wir einfach unbedacht in die Luft, zum Schaden von Natur und Menschen. Gleiche Überlegungen gelten übrigens generell für Fahrzeuggewichte oder auch für die 200–750 kg schweren Batterien, die hybrid grösstenteils mit herkömmlichem Treibstoff bewegt werden.