Digitalisierungsanfänger!

An dieser Stelle über Digitalisierung zu schreiben, mag für ­Publisher-­Leserinnen und -Leser Schnee von gestern sein. Ist doch die «Digitalisierung», oder was wir darunter verstehen, scheinbar längst gelebter Alltag. Bei näherer Betrachtung geht es nicht darum, einen Mac oder PC virtuos bedienen zu können, InDesign, Photoshop und andere Programme mit Shortcuts zu beherrschen. Also die Dinge zu tun, die uns in der Lehrzeit beigebracht wurden. Sind wir einmal ehrlich: Die Bedienung von Software wird doch einfach von allen vorausgesetzt. Es ist schon fast so, wie wir sehen oder lesen können. Vor allem im Webdesign sehen wir immer mehr Bedienungskomfort, die Komplexität versteckt sich unter der Oberfläche, die scheinbar einfach per Drag & Drop bedient wird. Ketzerisch nachgedacht: Warum lernen wir dann überhaupt noch InDesign? Das kann heute doch jeder! Ob Fotograf, Vereinspräsident, Musikband oder KMU, das Logo, den Flyer, den Steller, die Autobeschriftung, das Plakat und das Buch gestaltet und produziert man selbst. Da und dort helfen vielleicht Templates mit. An diesem Beispiel möchte ich aufzeigen, dass die Digitalisierungswelle uns Ertrinkende längst überschwappt hat. Wo die lernenswerten grundlegenden Fertigkeiten für die künftige Medienaufbereitung liegen und wie ihre Halbwertszeit ist, scheint unsicher und zweifelhaft. Sicher ist, dass die Digitalisierung und die Bildungsindustrie jedermann ermöglicht, es den Fachleuten gleichzutun. Ein PDF druckfertig aufzubereiten, ist aus meiner Sicht keine lernenswerte Fertigkeit. Wir reden heute von künstlicher Intelligenz – da sollte es Software doch möglich sein, die Datentransformation vom einen zum anderen Format automatisiert zu schaffen. Inzwischen knorzen wir an personalisierten Anreden rum und können «Liebe Ursi», «Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Kehlmann», «Grüezi Frau Malic» und «Hallo Philipp» gerade mal zu «Geschätzter Kunde» zusammenfassen.

Ein Blick über den Gartenzaun. Ein Adliswiler KMU findet: Was die Amerikaner mit Uber können, können wir auch. Der Kopf eines vifen Taxiunternehmens produziert die Taxi-App Taxilive, damit kann einerseits ein Taxi via Handy gebucht werden. Andererseits können selbstständige Taxiunternehmen Standzeiten oder Rückfahrten besser ausnützen, indem sie die gebuchten Eingänge abrufen und übernehmen können. Taxilive ist eine Buchungsplattform, auf der sich Angebot und Nachfrage finden. Der besagte findige Kopf sucht also nicht mehr Kunden für das eigene Taxi und ist nicht mehr örtlich gebunden. Die App kann schweizweit eingesetzt werden. Sie kommt aber nur zum Fliegen, wenn die Abdeckung mit teilnehmenden Taxiunternehmen gross genug ist: die eigentliche Herausforderung. Für solche spricht nichts dagegen, das Risiko des Mitmachens ist gleich null. Für einen Buchungsbeitrag von 120 Franken werden Fahrguthaben von 1000 Franken gutgeschrieben. Das macht 12 % Marge, Uber kassiert 25 %!

Das Beispiel zeigt auf, wie die Digitalisierung in der Publishing- und Druckindustrie (soweit sie denn noch als geschlossene Branche existiert) sich entwickeln könnte. Dealen statt drucken wäre salopp ausgedrückt. Vernetzt dealen und spezialisiert drucken wäre die zu erwartende Entwicklungsstufe. Schauen Sie sich Eurobus an, die sich der deutschen Buchungsplattform Flixbus angeschlossen hat. Es funktioniert.

  • Autor Ralf Turtschi
    Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
    tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet.
  • Rubrik Kolumne
  • Dossier: Publisher 3-2018
  • Thema Kolumne

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