Wohl durchdacht ins Unternehmertum

Endlich unabhängig sein und mit einer künstlerischen ­Tätigkeit, die einen vollends erfüllt, seinen Lebensunterhalt bestreiten können: Der Schritt in die Selbständigkeit ist einer der grössten Wünsche vieler Kreativschaffender. In «Frei & kreativ» zeigt Ines Maria Eckermann, wie das Unterfangen gelingen kann – und man den Spagat zwischen organisatorischen Aufgaben und schöpferischer Arbeit bewältigt. Ein Auszug aus dem Buch.

Das Motto «Work hard, play hard» funktioniert nur für kurze Zeit. Auf Dauer braucht gute Arbeit mehr Gelassenheit.

Deep Work – Mach weniger, aber mach es besser!
Hier pingt es, da schiebt sich eine Notification ins Bild. Und am Bildschirmrand weist eine rote 35 auf einen Stapel ungelesener E-Mails hin. Nebenher klicken wir uns mit einem Daumen durch eine Lektion in der Fremdsprachen-App, und zum Abschluss gibt es noch ein paar Lernvideos von Udemy oder Domestika. Durch die Digitalisierung sind wir so vernetzt wie nie zuvor. Wir arbeiten von Düsseldorf aus für Redaktionen in New York und gewinnen Einblicke und Wissen in schier unbegrenztem Masse. Doch mit dem unbegrenzten Zugang zu globalem Wissen und der ständigen Erreichbarkeit trat auch der Drang, sofort zu reagieren, in unser Leben: Wir stehen im wahrsten Sinne des Wortes unter Strom.

Wenn eine E-Mail reinflattert und wir nur kurz nachsehen, brauchen wir danach etwa 23 Minuten, um wieder völlig auf das fokussiert zu sein, was wir davor gemacht haben.1 Manche Forschende glauben sogar, dass wir bis zu zehn IQ-Punkte einbüssen, wenn wir uns von einer E-Mail oder einer Textnachricht ablenken lassen.2 Doch das ist keineswegs ein Grund, die Digitalisierung für das Werk des Teufels zu halten. Denken wir nur einmal zurück an den Philosophen Platon: Vor über 2 000 Jahren warnte er vor Büchern, weil sie uns lernfaul und dumm machen würden. Das erscheint uns heute ziemlich skurril.

Und egal, ob es das Buch, das Radio oder das Fernsehen war: Mit jedem neuen Medium tauchten immer auch diejenigen auf, die vor lauter Gefahren die Chancen völlig aus dem Blick verloren. Akzeptieren wir also als Erstes, dass das Internet erstmal ein wichtiger Bestandteil unseres Berufslebens bleiben wird. Und statt uns über die medialen Möglichkeiten zu beschweren, können wir ganz bewusst aus dem Hamsterrad aussteigen und Strategien finden, um unser Leben trotz und mithilfe der Digitalisierung besser zu machen.

Dass uns die digitale Welt jede Menge Ablenkungen bietet, ist auch dem Informatik-Professor und Sachbuchautor Cal Newport aufgefallen. Doch statt sich weiter gedankenverloren durch seinen Instagram-Stream zu scrollen, hat er nach einer Lösung für unsere digitale Tüdeligkeit gesucht. Seine Lösung nennt er Deep Work: ein Bündel aus Methoden und Tricks, mit denen wir wieder mehr Konzentration in unser Arbeitsleben locken. Mit Newports Ideen und den Erkenntnissen der Arbeitsforschung nutzen Sie digitale Techniken effizient und fokussiert.

Deep Work 1 | Ziele festlegen und priorisieren
Bevor Sie in den Zug steigen, müssen Sie wissen, wohin es gehen soll. Genauso ist es auch mit Deep Work: Machen Sie sich bewusst, was genau Sie erreichen wollen. Denn nur wenn Sie das Ziel vor Augen haben, können Sie sich wirklich in die Arbeit vertiefen. Dabei können Ihnen die smarten Ziele aus dem ersten Kapitel ebenso helfen wie eine schlichte To-do-Liste. Setzen Sie sich eine Frist für das gesamte Projekt und jeweils für die einzelnen Teilaufgaben, die dafür nötig sind. Und jedes Mal, wenn Sie einen Punkt von Ihrer To-do-Liste streichen, belohnt Sie Ihr Gehirn mit ein paar Glückshormonen.

Deep Work 2 | Routinen und Rituale aufbauen
Deep Work funktioniert am besten, wenn Sie sich um die äusseren Bedingungen möglichst wenig Gedanken machen müssen. So müssen Sie sich keine Gedanken mehr um das Wie machen und können mit voller Konzentration in das Was eintauchen. Klären Sie dafür diese vier W:

  • Wo (Ort): Finden Sie den perfekten Ort für Ihre Deep-Work-Phase. Ob im stillen Kämmerchen, im Strassencafé oder mit geräuschunterdrückenden Kopfhörern im Grossraumbüro: Finden Sie heraus, an welchem Ort Ihre Ideen besonders fokussiert fliessen.
  • Wann (Dauer): Um Parkinsons Gesetz ein Schnippchen zu schlagen, setzen Sie sich vor Ihrer Deep-Work-Phase einen Zeitraum, in dem Sie die anstehende Aufgabe erledigen wollen. Beispielsweise können Sie künftig jeden Morgen 15 Minuten in Ihr Manuskript investieren oder zweimal pro Woche zwischen 10 und 12 Uhr an Ihrem grössten Projekt arbeiten.
  • Wie (Struktur): Wie soll Ihr Deep-Work-Modus aussehen? Sie sind der Boss, Sie geben die Regeln vor. Welche der noch kommenden Deep-Work-Tricks möchten Sie in Ihre Routine integrieren? Dürfen Sie sich während der Deep-Work-Phase einen Kaffee holen oder bleibt der Hintern eisern auf dem Stuhl? Gerade für den Start können Sie sich Ihre Regeln aufschreiben und bei Bedarf modifizieren, wenn andere Regeln Ihnen besser beim Fokussieren helfen.
  • Was (Hilfsmittel): Was brauchen Sie, um gut arbeiten zu können? Frisches Wasser für die Pinsel, einen heissen Kaffee oder entspannte Musik? Bereiten Sie Ihre Playlist und alles andere vor Beginn der Phase vor, so dass Ihre Gedanken ganz bei Ihrer Aufgabe bleiben können.

Deep Work 3 | Zeiten planen
In Abschnitt 9.4 haben Sie sich bereits Gedanken über Ihren Kalender und Ihre Zeitplanung gemacht. Die Terminierung Ihrer Aufgaben ist ein wesentlicher Bestandteil von Deep Work. In diesem Kontext sei also nur nochmal erwähnt, dass ein Plan nur dann etwas bringt, wenn Sie sich auch daran halten. Und letzten Endes ist es das Ziel von Deep Work, dass Sie Ihre Vorsätze und Ziele auch wirklich umsetzen.

Deep Work 4 | Unerreichbar werden
Ein kleiner Schritt in Richtung Konzentration und auch Richtung Zufriedenheit ist es, das E-Mail-Postfach ab und zu einfach auszuschalten. Denn jede Mail ist eine Ablenkung, die uns aus der Konzentration für unsere aktuelle Handlung herausreisst. In der Regel sind Kunden sehr verständnisvoll, wenn Sie Ihre «Öffnungszeiten» transparent machen und erklären, dass Sie zwischen 10 und 12 Uhr telefonisch nicht erreichbar sind und auch für Meetings nicht zur Verfügung stehen. Denn in dieser Zeit machen Sie Deep Work – und das erhöht schliesslich auch die Qualität Ihrer Arbeit.

Deep Work 5 | Notifications abschalten
Immer, wenn wir eine kleine rote Zahl neben einer unserer Apps sehen, schüttet unser Gehirn ein kleines bisschen Dopamin aus. Immer, wenn jemand uns schreibt, etwas likt oder kommentiert hat, frohlockt unser Gehirn für einen kurzen Moment.

Was erstmal nach einem sehr leicht erkauften Spass klingt, kann allerdings zu einer kleinen Sucht werden: Wir wollen die winzigen Kicks immer öfter erleben und gucken deshalb ständig, ob sich irgendwo eine kleine rote Zahl auf unserem Smartphone regt. Psychologen nennen das auch den Dopamine Loop, also die Dopamin-Schlaufe.3 Durch den Loop können wir nie wirklich genug bekommen – von den schönen Bildchen der Social Media und der digitalen Aufmerksamkeit wildfremder Menschen.

Befreien Sie sich von einem Stückchen ­virtuellem Stress und schalten Sie die Notifications, also die kleinen roten Benachrichtigungen, auf Ihrem Smartphone ab. Ebenso können Sie Ihren Sperrbildschirm von den fast durchgehend reinrieselnden Mails, Nachrichten und Benachrichtigungen befreien und so für mehr digitale Ruhe sorgen.

Deep Work 6 | Weniger Multitasking
Wenn wir versuchen, alles gleichzeitig zu machen, führt das nur dazu, dass alles liegen bleibt. Denn: Multitasking ist ein Mythos. Unser Gehirn ist nicht dafür gemacht, sich auf verschiedene Aufgaben gleichzeitig zu konzentrieren. Vor allem nicht, wenn es dabei um komplexe Dinge geht. Verabschieden Sie sich vom Multitasking, und freuen Sie sich auf fokussiertes Arbeiten.

Deep Work 7 | Achtsamkeit und Abschalten
«Wohin du auch gehst, geh mit deinem ganzen Herzen», empfahl der Philosoph Konfuzius. Und über 2 500 Jahre später sollten wir uns darauf zurückbesinnen. Denn was Sie auch tun, tun Sie es mit ganzem Herzen. Das mag etwas kitschig klingen. Doch ist dieser Ansatz der Weg zu erfüllender Arbeit. Denn was Sie unachtsam und halbherzig machen, das begeistert weder Sie noch Ihre Kundschaft – und dann können Sie es fast auch lassen. Machen Sie Deep Work zu der Zeit, in der Sie mit Leidenschaft und Begeisterung arbeiten.

Deep Work 8 | Erfolge messen
Schreiben Sie zumindest am Anfang ein Erfolgstagebuch. So gewinnen Sie einen Überblick darüber, welche Methoden und Routinen gut funktionieren und wo Sie noch nachjustieren können. So stellen Sie auch fest, ob Sie sich ein zu starres Korsett geschneidert haben, in dem Sie viel zu wenig Platz zum kreativen Atmen haben. Genauso erkennen Sie, was Ihnen wirklich beim effizienten Arbeiten hilft. ↑

1 www.ics.uci.edu/~gmark/chi08-mark.pdf
2 hbr.org/2019/12/how-to-overcome-your-checks-email-distraction-habit
3 www.psychologytoday.com/us/blog/brain-wise/201802/the-dopamine-seeking-reward-loop

Frei & kreativ – Die Starthilfe in die Selbständigkeit für kreative Köpfe
Autorin: Dr. Ines Maria Eckermann
Das Buch ist für € 34.90 beim Rheinwerk Verlag erhältlich.

406 Seiten, 2021, broschiert

Rheinwerk Design, ISBN 978-3-8362-8048-8

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