Mit Kopfhörern auf Triumphzug

Das Format «Podcast» ist derzeit in aller Munde und hat in puncto Beliebtheit und Nachfrage gerade in der Pandemie nochmals einen substanziellen Satz nach vorne gemacht. Höchste Zeit also, aufzudröseln, wie dieses «Phänomen» in die Welt getragen wurde – und warum es derzeit so populär ist.

Beim Einkaufen ist man auf den Spuren eines mysteriösen Mordes, auf dem Nachhauseweg werden News gehört, und vor dem Einschlafen folgt man der regen Diskussion zweier Politiker: Die Schweizer bekommen ordentlich was auf die Ohren. Rund 29 % der helvetischen Bevölkerung (ca. zwei Millionen Personen) lassen sich inzwischen zumindest hin und wieder mithilfe von Podcasts beschallen.

Die Auswahl an Formaten ist dabei inzwischen ungemein vielfältig und deckt jedes noch so nischenartige oder bizarr wirkende Themenfeld ab. Gemäss podcastinsights.com tummeln sich weltweit inzwischen über zwei Millionen Formate, die über 48 Millionen Episoden (Stand: April 2021) zutage gefördert haben. Der grössten Beliebtheit erfreuen sich derzeit allerdings Sendungen, die Dauerbrenner-Themen zum Gegenstand haben, so z. B. Comedy-Podcasts, Nachrichten-Formate oder Sport-Beiträge.

Mikrofon, Kopfhörer, Mischpult (oder sogar weniger) reichen an Equipment für einen eigenen Podcast aus. (Photo by Harry Cunningham on Unsplash)

Viele Wege, viele Pioniere
Den eigentlichen Erfinder des Podcasts – also per Definition von einer Serie meist abonnierbarer Audiodateien (Audio oder Video) im Internet – zu finden, ist gar nicht so einfach. Schon in den 90er-Jahren wurden einige Anstrengungen unternommen und Tools entwickelt, die als Vorläufer oder Frühform dieses Mediums gelten könnten.

Erwähnenswert ist beispielsweise die «Internet Talk Radio Show» von Carl Malamud, die bereits 1993 ins Leben gerufen und als erste Computer-Radio-Talk-Show – also konzeptionell eine Radiosendung im Internet – bekannt wurde. Weiter gab es im etwa gleichen Zeitraum Webseiten, die den Download der eigenen Audio-Shows über AOL.com anboten – so etwa praktiziert von der Comedy-Sendung «The Dan & Scott Show» im Jahre 1996. Ebenfalls betrachtenswert ist «Napster»: Der Online-Musikdienst für die Verteilung von MP3-Musikdaten ging 1999 ans Netz, wurde 2001 allerdings aufgrund von zahlreichen Klagen und Vorwürfen der Raubkopie-Erleichterung eingestellt.

Die Weichen für die Podcasting-Technologie wurden aber an anderen Orten gestellt: Der US-amerikanische Entwickler Dave Winer werkelte im Jahre 2000 an einem RSS-Standard, durch welchen Audio-Inhalte in Blogbeiträge eingebunden werden konnten. Winer, selbst passionierter Blogger, versuchte zudem, seinen Kollegen und Ex-Radiomoderatoren Christopher Lydon von diesem Medium zu überzeugen. Als einer der bisher bestbezahltesten Moderatoren hing Lydon zunächst zu sehr an seiner Stimme – liess sich schliesslich und endlich aber auf einen Kompromiss ein: Aus Radio und (Web-)Blogging entstand der erste «Audioblog» mit dem Titel «Open Source».

Im Juli 2003 war Dave Winer dann der erste Gast in Lydons Show, die dank dem RSS-Feed nun episodenweise heruntergeladen werden konnte, und wurde mit den ­Worten «I feel like a new immigrant in this bloggerworld where you are a kind of founding father – walk me around! / Ich fühle mich wie ein Neueinwanderer in dieser Bloggerwelt, in der du eine Art Gründungsvater bist – führ’ mich herum!» begrüsst. Wer hat’s nun erfunden?

Es ist strittig, ob Lydons «Open Source» der erste Podcast gewesen ist. Der Moderator selbst betitelte sein Format als «Audioblog» – und tatsächlich ist «Open Source» eingangs dem Blog näher als dem Podcast. Lydon stellte lediglich Audiodaten von Gesprächen mit Blogging-Kollegen auf seine Webpage.

Als Spiritus Rector des Podcast in der heutigen Form wird darum oft Adam Curry angeführt. Der US-amerikanische MTV- und Radio-Moderator mit niederländischen Wurzeln schrieb nur einige Monate nach Lydons erster «Open Source»-Folge das Programm «iPodder» – notabene gemeinsam mit Dave Winer – das den automatischen Download von Audio-Inhalten auf seinen iPod ermöglichte. Wenig überraschend wird das handliche Apple-Gerät später dann der Namensgeber für die downloadbare Sendungen.

Auch ideologisch hat Curry das Format nachhaltig verändert. 2019 blickte der «Podfather» in einer Episode seines eigenen Podcasts «No Agenda» auf seine Vision für die Radiobranche zurück: «Die Idee, die ich propagiert habe, war, dass man auf diese Weise «anderes» Radio machen kann. Die Show kommt zu dir – und das auf Abruf!»

Nebenbei hatte Adam Curry in den Pionierjahren des Podcasts damit angefangen, Sendungen zu kuratieren – und unter Podcastindex.org eine Database aufgebaut, die mittlerweile über vier Millionen downloadbare Formate enthält.

Aus dem Rampenlicht
Trotz verheissungsvoller neuer Technologien, aufregender Business-Ideen und schlauer Köpfe stockte jedoch die Verbreitung und die Popularität der Podcasts. Obschon das Medium kontinuierlich mehr Leute anlockte und auch binnen kurzer Zeit bei grösseren TV-Sendern und Radiostationen ausgewählte Formate in Podcast-Form bereitgestellt wurden, blieb der ganz grosse Boom zunächst aus.

Zuzuschreiben ist das vor allem der Tatsache, dass im etwa gleichen Zeitraum – einer Periode, die in Sachen Netzwerk und Internet ohnehin vor Erfindergeist und Entwicklerdrang nur so strotzte – ein anderes Phänomen die Welt für sich gewann: Bereits 2003 in der Form von MySpace in der Internetlandschaft präsent und spätestens seit den 2010er-Jahren in aller Munde liessen die «Social Medias» – man denke an Instagram (2010), Snapchat (2011) oder TikTok (2016) – Podcasts ein wenig in Vergessenheit geraten.

Unterhaltung, Nervenkitzel oder Information – ganz ortsunabhängig: Das Handy ist noch immer das beliebteste Abspielgerät für Podcasts. (Photo by Eddie Pipocas on Unsplash)

Ein fast barrierefreies Vergnügen
Schliesslich und endlich sind Podcasts aber dennoch, wenn auch verspätet, zu ihrem Erfolg gekommen. Der Studie «Infinite Dial 2020» zufolge sind inzwischen beispielsweise 75 % der US-Bevölkerung mit dem Begriff «Podcast» vertraut. Aus demselben Papier geht hervor, dass 55 % der Amerikaner und damit rund 155 Millionen Personen bereits einen Podcast gehört haben.

Dass die Audio-Inhalte inzwischen so beliebt sind, ist zu Teilen sicherlich der Pandemie zuzuschreiben. Mit den verhängten Kontaktbeschränkungen und den Verordnungen, Zuhause zu bleiben oder im Home-Office zu arbeiten, hat sich nicht nur das Einkaufsverhalten vieler in Richtung «Online» verschoben, sondern haben sich auch die Konsum- und Unterhaltungsgewohnheiten verändert. Wer Knall auf Fall einen grossen Teil seiner Zeit in den eigenen vier Wänden verbringt und gar von dort aus arbeitet, tendiert eher dazu, mehr Online-Inhalte zu konsumieren.

Ein anderer Grund für den Fortschritt des Mediums in den letzten Jahren liegt wohl in dessen einfachem Zugriff, welcher wiederum auf den technischen Fortschritt zurückzuführen ist. Dank kontinuierlichen Verbesserungen auf allen Ebenen sind Podcasts schneller und einfacher herunterzuladen und können auf Smartphones, Smart Speakern, Tablets oder dem PC wiedergegeben werden, wobei über das Mobiltelefon deutlich am meisten Sendungen abgespielt werden.

Letzteres hat durch seine Kompaktheit und Vielseitigkeit auch dafür gesorgt, dass man sich mit Podcasts nicht nur Zuhause, sondern auch während der Autofahrt, auf dem Nachhauseweg oder im Fitnessstudio beschallen lassen kann.

Und: Ein weiterer Pluspunkt des Podcasts auf Konsumentenseite ist, dass für den Genuss von Audio-Formaten praktisch keine Einstiegsbarrieren vorhanden sind. Wer über ein funktionierendes Gehör und ein passendes Abspielgerät verfügt, dem stehen die Tore zur Podcast-Welt weit offen.

Podcasting als Business
Auch für die andere Seite, die Podcast-Ersteller resp. -Produzenten, ist es ein leichtes, die eigene Botschaft in die Welt hinauszutragen. Den Internetzugang vorausgesetzt, beschränkt sich das Equipment für einen professionell wirkenden Podcast etwa auf Mikrofone, Kopfhörer, Computer, eine Mixing-Software sowie ein Mischpult. Und wer bereit ist, hinsichtlich Ton- und Aufnahmequalität Abstriche zu machen, kommt gut auch mit weniger Ausrüstung zurecht.

Während die Ausgaben also übersichtlich bleiben, können auf der Einnahmenseite im Idealfall (und mit der entsprechenden Reichweite) Gewinne locken. Dies auch, weil die Audio-Sendungen die ideale Plattform für Werbung darstellen. Denn: Podcast-Werbung, die oftmals in Form von «AdReads» – vom Moderator vorgelesene Werbebotschaften – daherkommt, erhält gerade durch eine dem Zuhörer vertraute Stimme eine gewissen Authentizität. Zudem wird die Hörerschaft eines Formates grundsätzlich als sehr treue Schar beschrieben, der bewusst ist, dass sich ihr Podcast-Produzent durch Werbung finanziert – entsprechend wird die Werbung seltener übersprungen.

Dass Podcasting ein florierendes Business sein kann, lässt sich auch mithilfe von nackten Zahlen darlegen: Der Audio-Streaming-Dienst Spotify hat beispielsweise alleine zwischen Februar 2019 und Februar 2020 600 Millionen US-Dollar für Podcast-bezogene Akquisen ausgegeben (Quelle: statista.com). Der schwedische Streaming-Service war es auch, welcher den wohl grössten Coup in der jüngeren Geschichte gelandet und im Herbst 2020 «The Joe Rogan Experience» (JRE) von der YouTube-Plattform losgeeist hat. Die Sendung von UFC-Kommentator und Standup-Comedian Joseph (Joe) Rogan ist einer der erfolgreichsten Podcasts weltweit – jede Folge erreicht rund 11 Millionen Zuhörer – und läuft seit September 2020 exklusiv über Spotify. Kostenpunkt des Deals: ca. 100 Millionen US-Dollar.

Der Audio-Streaming-Dienst Spotify hat in den letzten Jahren massiv in Podcasts investiert. (Photo by Heidi Fin on Unsplash)

Die Trumpfkarte Authentizität
Das «JRE»-Format von Joe Rogan schlüsselt auch perfekt einen weiteren gewichtigen Grund auf, warum man dem Medium Podcast eine rosige Zukunft prophezeien darf. Podcast kann – trotz Business und Summen, die den vorzeitigen Ruhestand bedeuten – immer noch eine sehr «echte» und persönliche Angelegenheit sein: Rogan beispielsweise bleibt sich bei seiner Show, trotz all der Bekanntheit und der riesigen Audienz, selbst treu. So lädt er für gewöhnlich nur Gesprächspartner ein, die sich mit seinen Interessen decken und gönnt sich mit seinem Gegenüber auch mal ein Bier, eine Zigarre oder einen Joint. Der Vorbildrolle, sofern man als Podcaster dieser Grössenordnung eine innehat, mag das nicht allzu zuträglich sein. Aber: Es ist ungeschnitten, authentisch, roh, einfach echt – und damit beliebt.

Apropos Gesprächspartner: Mit vielen wechselnden Gästen aus unterschiedlichsten Branchen – wie das bei JRE und generell bei den meisten Podcasts praktiziert wird – kann sich der Zuhörer eines Podcasts einen bunten und interessanten Strauss an Gesprächen und Meinungen in die eigenen vier Wände (oder das Fitnessstudio oder Home-Office …) holen. Damit trägt das Medium zum einen dem Bedürfnis der Zuhörerschaft nach Abwechslung Rechnung, eröffnet – wenn man sich darauf einlässt – aber auch andere Blickwinkel und bietet den idealen Nährboden für neue Ideen.

Dabei, ohne dabei zu sein
Es könnte aber auch so viel banaler sein, warum Podcasts derzeit populär sind: Den Diskussionen, Erzählungen, Plaudereien oder witzigen Anekdoten der Podcast-Hosts und Gästen zu lauschen (und im Idealfall dabei auch noch etwas zu lernen), während man die Fensterscheiben wienert oder die eigenen Beisserchen schrubbt, erlaubt der Zuhörerschaft eine kleine Auszeit vom Alltagsleben. Es erlaubt ein Ab- und Eintauchen in eine andere, sorgenfreie Welt und vermittelt gleichzeitig – unabhängig vom Standort des Podcast-Konsumenten – ein echtes Gemeinschaftsgefühl. Und das ist ein Mix, der schwer zu toppen ist. 

Podcast – Entstehung der Bezeichnung
Wie der Gründer der Podcasts ist auch der Urheber der Bezeichnung «Podcast» nicht unumstritten. Zusammengesetzt ist das Wort aus den englischen Begriffen Pod (Apples iPod) und Broadcast, also Sendung. Den meisten Quellen zufolge wird der Begriff Ben Hammersley zugeschrieben. Der Journalist, 2004 in Diensten der britischen Zeitschrift «The Guardian», schrieb eine Kolumne über das neue Phänomen der Internet Radio-Blogs und hatte nur noch einen weiteren Satz, um die Seite zu füllen. Er beendet seinen Bericht mit «etwas Grossspurigem»: «Und wie sollen wir dieses neue Phänomen nennen – Audioblogs? Wie wäre es mit Podcasts?»

Wenn man Adam Curry fragt, ist die Erfindung allerdings Software-Entwickler Dannie Gregoire zuzuschreiben, der den Begriff in seiner ursprünglichen Bedeutung geprägt haben soll.

Meist aufgerufene ­Podcasts in der Schweiz:
Apple/iTunes:
1. Echo der Zeit (SRF)
2. NZZ Akzent (NZZ)
3. Verbrechen (Zeit Online)
4. Beziehungskosmos (Sabine Meyer & Felizitas Ambauen)
5. Focus (SRF)

Spotify:
1. Podcasts – Der Podcast (Marti Fischer, Katjana Gerz, Nagmeh Alaei, Charlotte Hübsch, Sara Kelly-Husain, Christian Schiffer, Tommi Schmitt, Maximilian Schmitt und Jan van Weyde)
2. Gemischtes Hack (Felix Lobrecht & Tommi Schmitt)
3. Wirecard – 1,9 Milliarden Lügen (Spotify & Süddeutsche Zeitung)
4. Dick & Doof (laserluca)
5. Beziehungskosmos (Sabine Meyer & Felizitas Ambauen)
Quelle: chartable.com

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