Wasserspektakel
Sportfotos sind anspruchsvoll, weil kurze Verschlusszeiten, lange Brennweiten, ein schneller Autofokus mit Reaktionsvermögen zusammenkommen. Der Silvaplanersee ist ein ideales Übungsfeld.
Vom weitem sind die bunten Segel über dem Silvaplanersee sichtbar. Im Kitesurfabschnitt tummeln sich Dutzende Sportlerinnen und Sportler in der Highspeed-Disziplin. Sie düsen mit gut 40 Sachen übers 19 Grad warme Wasser und die Freaks springen gegen 10 Meter hoch.
Die Umgebung ist ideal, die Sonne scheint von schräg oben und strahlt viel Licht auf die Bühne. Der ferne Wald gegenüber, die Berge und der See schillern in allen Grüntönen. Die Surfer starten vor meiner Linse und sind in Sekunden 100 Meter entfernt, sie flitzen hin und her, einmal frontal von mir weg, auf dem Rückweg geradewegs auf mich zu. Wenn ich mich gegen die Sonne wende, brausen sie quer zur Kamerarichtung in der Ferne vorbei.
Ich habe also wechselnde Lichtbedingungen: Gegenlicht, Frontallicht und seitliches Licht. Zudem ist es bewölkt, das Wasser ist mal besonnt, mal beschattet. Die Oberfläche sowie der Hintergrund werden nicht konstant gleich farbig abgebildet. Das Geschehen findet weit draussen statt, der See ist rund 1,4 km breit, die Protagonisten posieren keineswegs vor der Kamera. Es ist ziemlich zufällig, einen Sportler einzeln ablichten zu können, ohne dass rechts, links davor oder dahinter sich ebenfalls etwas tut, was im Bild immer stört. Jeder Shot ist einmalig und kann nie wiederholt werden. Wie ungleich einfacher funktionieren die Studiofotografie, die Makrofotografie, Architektur-, Landschafts- oder Astrofotografie! Da habe ich alle Zeit der Welt, mich einzurichten.
Ich fotografiere mit einer Canon EOS R5, die 45 Megapixel aufzeichnet, sowie dem Objektiv RF 70–200 mm, f 2.8 durchgehend. Die Idee ist, Actionbilder zu erhalten und nicht einfach die Szenerie abzulichten. Aufnahmen sind dann herausfordernd, wenn sich die Motive unterschiedlich schnell bewegen und auch das Licht sich ständig ändert.
Ein kleines Reisestativ sorgt für einen stabileren Halt, ich schraube die Kamera aber nicht fest, sodass ich sie links und rechts schwenken kann. Meine Einstellungen: Bildstabilisator einschalten, 1/2500 Sekunde Verschlusszeit, Blendenautomatik Tv (ergibt Werte zwischen f 3.5–5.6), AF-Bereich erweitert, ISO-Automatik, zwischen 100–800 ISO begrenzt, Serienbildfunktion. Ich lege Wert auf die kurze Verschlusszeit, weil dadurch erst die Wasserspritzer in voller Schärfe festgehalten werden.
Das Zoom RF 70–200 mm reicht nur in der Uferzone bis etwa 150 Meter. Das Vollformat lässt jedoch ein nachträgliches Beschneiden in Lightroom zu, ohne dass deswegen die Bilder schwammig oder unscharf werden. Mit einer APS-C-Kamera wäre ein 400-mm-Objektiv vorteilhafter. Doch es gilt: Je länger die Brennweite, desto schwieriger wird das verwackelungsfreie Nachziehen – die kurze Verschlusszeit wird noch wichtiger. Ein kürzeres Objektiv mit Offenblende 2.8 ist besser als eine lange Brennweite mit Offenblende 4.5.
Ich beobachte die Surfer – es sind eher weniger -innen – und merke mir die Schirme jener, die immer wieder spektakulär in die Höhe schnellen. Wenn einer heranbraust, nehme ich ihn ins Visier und fokussiere mit dem Joystick dauernd nach. Mit dem Nachführmechanismus (Servo) habe ich schlechte Erfahrungen gemacht, weil sich die Surfer wild kreuzen und der Autofokus plötzlich eine andere Figur in den Fokus nimmt. Leider hilft dabei auch die entsprechende Einstellung im Submenü nicht viel weiter. Der Autofokus ist wirklich schnell, und ich habe keine Mühe, den Joystick mit der Kamera am Auge zu führen.
Mit der Zeit weiss ich, wenn es spannend wird und ein Sportler eine scharfe Welle von sich stösst, um sich in die Lüfte abzustossen. Genau dies sind die spritzenden Momente, die mich faszinieren und die ich festhalten möchte. Ich sitze oder knie im Kies, die Kamera ist 50 cm oder vielleicht einen Meter ab Boden und halte wacker auf die Jungs und Mädels in ihren nassglänzenden Outfits. Nach einer halben Stunde bereits stellen sich Nackenschmerzen ein.
Zeit für das Betrachten der Resultate auf dem Display. Eine erste Serie wird vor Ort gelöscht, Hunderte von Fotos genügen meinen Ansprüchen nicht, weil zu wenig aktionsgeladen, zu wenig Spritzer, zu weit weg. Mit der Vollformatkamera will ich Fotos zu machen, die mit dem Handy nicht zu machen sind. Nach dem Betrachten frage ich mich, was ich richtig und was ich falsch gemacht habe. Sind die Fotos an der richtigen Stelle scharf? Sind sie zu hell oder zu dunkel? Innerhalb eines bestimmten Bereiches kann ich sie gut in der Nachbearbeitung richten, den Horizont begradigen.
Der automatische Weissabgleich führt zu einem verblauenden Bildhintergrund, den ich mit dem Schieberegler «Temperatur» in Lightroom etwas ins Grünliche korrigiere. Wald und Wasser mag ich so lieber. Insgesamt fotografiere ich über 1000 Bilder, die meisten davon werden die nächsten zwei Jahre nicht überdauern. Etwa 20 bis 30 Actionfotos sind für meine Ansprüche gut – ein paar wenige haben Wow-Effekt. In der Sportfotografie ist das Bonmot «weniger ist mehr» deplatziert. Wenn nur jeder fünfzigste Shot gelingt, kannst du nicht dreissig Bilder machen, denn dann bringst du gar nichts nach Hause.
-
Autor
Ralf Turtschi
Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet. - Rubrik Imaging
- Dossier: Publisher 5-2022
- Thema Sportfotografie
Kommentieren