Die Welt der Farben
Fuchsrot, Preussischblau und Smaragdgrün – Das Buch «Die Welt der Farben» versammelt 73 ausgewählte Farben, Schattierungen und Farbnuancen und deren teils atemberaubenden Geschichten zu Herkunft, Einsatz und Wirkung.
Cyan, Magenta, Yellow, Schwarz – das CMYK-Farbmodell ist den Lesenden hier natürlich bestens bekannt. Aber was ist mit Sauterne, Willow Bough oder Tigerlily? Ausgesprochene Kenner und Farbenthusiasten dechiffrieren hier Pantone-Farbnamen. Und ja, wo einige Farben nur Nummern wie 414 haben, trägt die Farbe des Jahres 2022 mit 17-3938 Very Peri einen geradezu zungenbrechenden Namen. Der Trendton des Jahres einer Farbfirma ist übrigens Rosé-Mauve Flamenco 110 – auch nicht schlecht. Im Gegensatz zu den Namen sind Farben natürlich mehr als nur Zierde: Dass ihre Geschichten sehr tief gehen können, zeigt das wunderbare Buch «Die Welt der Farben».
73 Farben und unzählige Geschichten
Das Buch ist bereits vor dem Aufklappen eine farbenfrohe Augenweide (unbedingt die gebundene Ausgabe kaufen!). Verschiedene kleine Farbpunkte tanzen auf dem Einband – mit Tiefdruck auch haptisch erfahrbar – und die Schnittkante des Buchblocks ist farbig, da es im Inneren ein Farbregister hat. Das Vorsatzpapier zeigt einen Farbreigen aus den 73 Farben, Schattierungen und Farbnuancen, die im Buch vorgestellt werden.
Die Farben sind in zehn Kategorien unterteilt und haben jeweils eine kurze Einleitung, bevor es dann von Bleiweiss bis zu Pechschwarz geht. Die Auswahl der Farben ist dem Interesse der Autorin Kassia St Clair geschuldet, die sich über die Recherche zur Damenmode des 18. Jahrhunderts durch Beschreibungen wie «klatschmohnroten Federn» oder «flohfarbenem Satin» Hals über Kopf in die Welt der Farben verliebte. Und daraus entstand die Idee einer Magazin-Kolumne zu Farbtönen, ehe anschliessend dieses wunderbare Buch entstand.
Farben als Signal
Nach einer kurzen wissenschaftlichen und kulturgeschichtlichen Einleitung eröffnet sich ein wahrer Schatz und bunter Reigen an Geschichten. Die Anekdoten lesen sich unterhaltsam und dass sie auch fundiert recherchiert sind, belegt die eindrückliche Anzahl an Fussnoten (16 Seiten). So erfährt man etwa, dass der Schriftsteller Oscar Wilde im April 1895 in London festgenommen wurde, da er ein gelbes Buch unter dem Arm trug.
Er wurde vor Gericht des grob unsittlichen Verhaltens für schuldig befunden, «da seit Mitte des 19. Jahrhunderts sensationslüsterne Literatur auf durchaus unkeusche Weise zwischen leuchtend gelbe Buchdeckel gepresst wurde» und ein gelbes Buch somit als anstössig galt. In China wiederum galt schon gewöhnliches Gelb seit über tausend Jahren als etwas Besonderes und war strengstens und ausschliesslich den Mitgliedern der kaiserlichen Familie vorbehalten (daher auch der Name Kaisergelb).
Farben wirken
Oder nehmen wir «Scheeles Grün» – schon der Name verheisst nichts Gutes. Und tatsächlich wurde in Napoleons Leiche ein hoher Anteil von Arsen nachgewiesen, das sich mit der chemischen Verbindung Kupferarsenit auf der grünlichen Mustertapete seines feuchten kleinen Zimmers auf der Insel St. Helena befand (die Todesursache war es jedoch nicht). Das grüne Pigment, nach seinem Entdecker dem schwedischen Wissenschafter Carl Wilhelm Scheele benannt, war lange äusserst beliebt (1863 wurden aufgrund der boomenden Nachfrage 500-700 Tonnen «Scheeles Grün» hergestellt) und gleichzeitig doch gesundheitsschädlich und gefährlich.
Weniger gefährlich ist es, Kleider, Bücher oder Apps auf dem Handy nach Farben zu sortieren und sehr entscheidend ist es wiederum, die passende Farbe für Logos, Verpackungen, Werbung und Produkte zu finden. Aber Achtung: Farbwahrnehmung ist individuell und kulturell beeinflusst. Und noch etwas: Grau ist die meistverwendete Sekundärfarbe, aber auch hier gibt es eine unendliche Palette. Wer sich die «Pantone 100 Postkarten-Box» kauft, wird die oben erwähnte 414 finden – ein schöner satter Grauton.
Die Welt der Farben
Autorin: Kassia St Clair
Aus dem Englischen
352 Seiten | geb., Hardcover
2017, Tempo | Hoffmann &
Campe Verlag, Hamburg
ISBN 978-3-455-00133-4
Andrea Machura ist seit Kindertagen eine Leseratte und gelernte Buchhändlerin. Heute hilft sie als Texterin Unternehmen dabei, die richtigen Wörter und den passenden Ton zu finden. In Berlin geboren, lebt sie seit 20 Jahren in Basel, wo sie Gastgeberin im Netzwerk CreativeMornings ist. www.alles-gesagt.com
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Autor
Andrea Machura
- Rubrik Publishing
- Dossier: Publisher 5-2022
- Thema Buchtipp
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