Alter Buchdruck, neu erlebt

Druckformenbau, Gutenberg, Zwiebelfische oder Winkelhaken: Die «Schwarze Kunst» von anno dazumal übt heute noch eine ungeheure Faszination aus. Wer der Kunst und dem Zauber des damaligen Buchdrucks erlegen ist, dem sei Bleisatz – ein Werkstattbuch ans Herz gelegt. Das neue Werk von Heike Schnotale und Michael Wörgötter bringt Liebhabern und Interessierten die «Schwarze Kunst» liebevoll detailliert und mit allerhand Anekdoten näher. Ein Auszug.

Brotschriftkasten: Einige Fächer sind leer, je nach Schrift sind dort Akzentbuchstaben oder besondere Ligaturen eingelegt oder werden einfach freigehalten.

Schriften im Bleisatz
Das wichtigste druckende Material sind natürlich die Schriften. Bleischrift wird in zwei verschiedenen Typen von Kästen verwahrt, sie liegen in sogenannten Brotschriftkästen oder stehen in Steckschriftkästen.

Brotschriften
Alle kleinen Schriftgrade bis zum 14-Punkt-Grad liegen in den Kästen. Ein Brotschriftkasten hat ganze, halbe und Viertelfächer, je nach der Menge der Buchstaben, die gebraucht werden. Die grösseren Fächer, mit zahlenmässig grösserem Inhalt, liegen in Griffweite, selten benötigte Buchstaben weiter entfernt – die Anordnung orientiert sich an der Arbeitsökonomie.

Die Masse der Kästen sind meistens: grosser Schriftkasten 96 × 61 cm, kleiner Schriftkasten 66 × 61 cm. Die Einteilung des Schriftkastens ist genormt (DIN 16502), Antiquakästen haben mehr belegte Fächer und sind etwas anders eingeteilt als Frakturkästen. Das hat mit der grösseren Zahl Akzentbuchstaben im Antiquasatz zu tun. In den Kästen mit Gebrochenen Schriften werden daher einige Fächer leer gelassen bzw. mit Reservebuchstaben und weiteren, nur in Frakturen vorkommenden Ligaturen belegt.

In den Brotschriftkästen befinden sich ausserdem zur Schriftgrösse passender Ausschluss und Quadraten, denn für Satz in kleinen Graden sollte das Material schnell griffbereit sein. Je nach Schriftgrösse unterscheidet sich die Belegung mit Ausschluss. Für eine 10-Punkt-Textschriftgrösse sind das z. B.: 1 p, 1 1/2 p, 2 p, 3 p, 4 p, 5 p (= Halbgeviert), 10 p (= Geviert). Dazu kommen Quadraten: 2 cic, 3 cic, 4 cic in 10 p Stärke in einem Fach, ganz rechts aussen.

Steckschriftkasten: Tatsächlich variiert die Anordnung der Buchstaben von Werkstatt zu Werkstatt ein wenig. Ob der Kasten mit den Kleinbuchstaben oder Grossbuchstaben beginnt, wo Akzente und Sonderzeichen eingestellt werden und wo Ziffern. Immer gleich bleibt aber, dass alle Buchstaben auf dem Kopf stehen, Signatur immer oben.

Steckschriften
In den etwa halb so breiten Kästen, auch Titelschriftkästen genannt, steht die Schrift, und sie ist, anders als bei liegenden Schriften, alphabetisch geordnet. Es handelt sich um grössere Grade, die für Überschriften, Auszeichnungen bzw. Akzidenzen ­gebraucht werden und von denen nur kleinere ­Mengen nötig sind.

Das Ordnungssystem zeigt links unten die Kleinbuchstaben, gefolgt von den Interpunktionen und Akzentzeichen, den Grossbuchstaben, Ziffern und Sonderzeichen. Ein Schriftschnitt füllt dann entweder einen Kasten, in einem Grad, oder er ist auf zwei Kästen verteilt. Man findet auch immer wieder z. B. eine 20 p- und eine 24 p-Schrift zusammen in ­einem Kasten, einfach aus Gründen der Platzersparnis.

Steckschriftkästen enthalten keinen Ausschluss; der wird, da es sich ja um grössere Schriftgrade handelt, aus den Aufbauten der Satzregale dazugeholt. Die Kästen haben ein Mass von ca. 27 × 61 cm. Im Kasten links sieht man am Kopf eine Spannleiste, sie dient der Befestigung. Getrennt werden die Buchstabenreihen durch Trennleisten, sie sind aus Holz oder Kunststoff. Das dient einerseits dazu, dass die Schriften nicht umfallen, aber auch dazu, dass man die Buchstaben leichter greifen kann.

Plakatschriften
Ab einer gewissen Grösse sind die Lettern nicht mehr aus Blei, sondern Holz gefertigt. Der Grund ist zum einen das Gewicht, aber vor allem die Materialersparnis, denn Blei ist ein – im Vergleich zu Holz – relativ teurer Werkstoff.

Die Geschichte der Holzletternherstellung für den Buchdruck ist im Vergleich zur Produktion von Bleisatzschriften relativ kurz. Sie geht einher mit dem Beginn des Drucks grafischer Plakate in Auflage ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts, dem Beginn von Werbung und Anzeigen. Für den Aushang im öffentlichen Raum wurden grössere Schriften benötigt, als im Bleisatz verfügbar waren. Die Erfindung der Holzletternfräse durch William Leavenworth im Jahr 1834 in den USA machte die industrielle Herstellung von Holzbuchstaben dann erstmals möglich.

Die Grenze zwischen Blei und Holz verläuft üblicherweise bei 96 p, selten trifft man auf Bleischriften in dieser Grösse. In Holz wurde aber auch bis zu etwa 6 cic kleinen Graden ­gefertigt. Holzschriften hatten praktisch alle grösseren Schriftgiessereien im Programm wie Berthold, die Stempel AG, Schelter & Giesecke, Ludwig & Meyer, die Haas’sche Giesserei. Sie wurden aber auch von unabhängigen Unternehmen produziert und von den Giessereien vertrieben.

Aufbewahrt werden sie entweder in extra dafür gefertigten Holzschriftschränken oder flachen Regalen ohne Trennfächer, Bleikästen eignen sich dafür nicht. Eine Holzschrift hat – je nach Ausbau – etwa 200 Zeichen, da kommt also einiges zusammen, eine vollständige Grösse ist dann auf zwei oder mehr Kästen verteilt.

Holzschriften sind insofern ein besonderes Thema, als man sehr oft Schriften zu Gesicht bekommt, die schon 100 Jahre alt sind, ihre Höhen stimmen nicht mehr exakt, sie haben Kratzer und Abquetschungen. Oft fehlt ein Buchstabe ganz, mit diesen Plakatschriften kommt man also ums Impro­visieren nicht herum.

Plakadur
Plakadurschriften stellen eine Sonderform dar. Das sind Schriften aus Kunstharz, das als Alternative zu Holz eingesetzt wurde. Plakadur war ein Markenname der H. Berthold AG, das Material ist im Vergleich zu Holz etwas härter und formstabiler, da es nicht auf Feuchtigkeit, Lösungsmittel und Ähnliches reagiert. Allerdings wurden diese Schriften oft mit der Zeit porös, zeigten Haarrisse und brachen unter dem Druck der Pressen. Sie sind also eher mit Bedacht zu be­nutzen. Wenn man eine ergattert, hat man etwas ganz Besonderes in der Werkstatt.

Schrift im Detail
Unser über gut 150 Jahre gebräuchliches typografisches System geht auf den französischen Schriftgiesser Firmin Didot zurück, er definierte 1780 als kleinste typografische Einheit den Didot-Punkt in seiner heutigen Breite.
Sein Mass beruhte auf dem französischen Längenmass Fuss, das genau 12 Zoll und 72 Punkt entspricht. Auch die Anlehnung an das metrische Mass ergab sich in der Folge, denn ein Meter entspricht exakt 2660 Punkt. Alle Giessereien übernahmen Ende des 19. Jahrhunderts dieses Mass als Norm, nur im englisch-amerikanischen Kontext hielt sich ein abweichendes Pica-System.

Die deutsche Normalhöhe von Schriften (62 2/3 Punkt = 23,56 mm) unterscheidet sich also auch von der amerikanischen oder englischen (62 Punkt) – sollte man Schriften von dort besitzen, müssen die Druckmaschinen umgestellt ­werden, oder man behilft sich mit einer Erhöhung von unten. 

Bleisatz – ein Werkstattbuch
Autoren: Heike Schnotale, Michael Wörgötter

Das Buch ist für EUR 39.90 beim Rheinwerk Verlag erhältlich.

319 Seiten, 2022, gebunden, in Farbe
Rheinwerk Design,
ISBN 978-3-8362-8770-8

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