Die bunten Hippie-Schriften

Während sich die 68er gerne mit Blumen schmückten, sorgen ein halbes Jahrhundert später neue Schriften für Flowerpower. Color Fonts beeindrucken und bieten erweiterte gestalterische Möglichkeiten.

Da staunt heutzutage manch einer nicht schlecht: Direkt mit verzierten und mit farbigen Ornamenten bestückte Schriften tippen, das geht tatsächlich. Es ist, als ob Jimi Hendrix, Janis Jopplin, Frank Zappa und Timothy Leary gemeinsam einen Gruss senden.

Dahinter steckt OpenType-SVG, ein Schriftartenformat, mit dem Buchstaben in Form von skalierbaren Vektorgrafiken (SVG) dargestellt werden. Dadurch wird die Anzeige mehrerer Farben in einem Buchstaben möglich. Die Verwendung von Farbschriften hat jedoch eine viel längere Tradition.

Chromatische Effekte, Emojis, SVG

Farbschriftarten sind nicht neu. Farbige Schriften konnten realisiert werden, indem zwei oder mehr entsprechende Schriftarten in verschiedenen Farben übereinander gedruckt wurden. Jede Schrift hat Bereiche weggeschnitten, um die Farbe der darunter liegenden Schrift zu zeigen oder zu überlappen.

Bereits die Gutenberg-Bibel verwendete chromatische Effekte für Farbschriften und Verzierungen. Gutenberg hat für diese Bibel insgesamt 290 verschiedene Figuren gegossen. Im 18. Jahrhundert erschienen dann erste Produktionstypen. Und 1874 veröffentlichte beispielsweise William H. Page aus Greeneville, Connecticut, seine 100-seitigen Specimens of Chromatic Type & Borders. Ausschlaggebend war die grössere kreative Freiheit sowie die Effizienz beim Druck .

Der Gebrauch von so genannten chromatischen Effekten ging im 20. Jahrhundert aufgrund technischer Reformen und wechselnder Moden zurück. Seit der Einführung von OpenType-Schriften hat sich die Typografie nicht wesentlich verändert. Klar, es kamen neue Schriftarten, Glyphen und Schnitte hinzu. Doch Schrift konnte bloss in einer Farbe gesetzt werden – mit nachträglicher Änderung der Farbe einzelner Zeichen. Die technologischen Fortschritte der letzten Jahre haben eine leichtere Produktion und eine breitere Unterstützung für chromatische Schriften ermöglicht.

Farbschriften stellen in der Typografie nun vieles auf den Kopf. Sie bieten reichhaltige Grafikfunktionen in einer Schriftdatei. Farbschriften können mehrere Farben, Schattierungen, Texturen, Mischungen und Transparenz enthalten. Künftig soll es sogar möglich sein, Animationen für interaktive Anwendungen der OpenType-SVG-Schriftart hinzuzufügen.

Solche vektorbasierten Schrifteffekte wurden bis anhin in einem Grafikprogramm wie Adobe Illustrator erstellt. Mit einem Color Font tippt man nun ganz einfach einen solchen Effekt. Die klassischen Einsatzgebiete werden sich jedoch auf Titelschriften und dergleichen beschränken.

Der Ursprung solcher Schriften geht vermutlich auf das Jahr 2010 zurück, als Apple farbenfrohe Emoji hinzufügte. Diese werden seither auf dem Handy gerne verwendet. Die eingeführte Fähigkeit, mehrfarbige Vektorelemente in einer einzigen Glyphe zu platzieren, ist somit wohl den weit verbreiteten Emoji-Zeichen zu verdanken.

Color Fonts basieren auf neuen Formaten wie Apple SBIX und Google CBDT. Beide sind proprietäre Formate und auf Bitmap (PNG) aufgebaut. Ferner unterstützt Microsoft mit dem auf OpenType basierenden Vektorformat COLR die Farbschriften für verschiedene eigene Lösungen wie DirectWrite oder Direct 2D. Der neue Font wird als OpenType-SVG (W3C SVG, OpenType 3) angeboten. Dieses Format beinhaltet sowohl eine Vektor- als auch eine Bitmapdarstellung.

Bereit für die Schriftrevolution? OpenType-SVG-Schriftarten mit grafischen Verzierungen als editierbarer Text.

Unterstützung von Color Fonts

Volle Unterstützung bieten zurzeit Illustrator und Photoshop CC 2018 sowie das ab Mai erhältliche QuarkXPress 2018. Photoshop CC 2017 war die erste Anwendung, die Bitmap-Farbschriften unterstützte, mit Photoshop CC 2018 werden nun auch Vektor-Farbschriften unterstützt. QuarkXPress 2018 ist die erste Layoutsoftware, die Farbschriftarten, Bitmap und Vektor, vollständig unterstützt.

Zwar unterstützt InDesign CC 2018 Color Fonts, jedoch bloss auf Basis einer «experimentellen Farbschriftunterstützung». Adobe nennt das eine Technologievorschaufunktion. Diese Funktionen sind laut Adobe möglicherweise noch nicht komplett produktionsbereit, es soll zuzeit noch Probleme bei der Ausgabe geben.

Affinity Foto und Affinity Designer unterstützen in den aktuellen Versionen keine Color Fonts.

Bezugsquellen

Mit CC 2018 wird nebst der Emoji-Schrift die Trajan Color installiert. Das ist ein vollwertiger Color Font, der wie die normale Trajan auf Grossbuchstaben beruht. Beim Umwandeln in Illustrator CC 2018 in Zeichenwege erkennt man gut die Methode im SVG-Schriftformat. Feinste Details werden korrekt als Vektoren für die entsprechenden Füllungen und Verläufe dargestellt.

Color Fonts werden unter anderem bei Creative Market angeboten (creativemarket.com). Mit Fontself (fontself.com), einem Plug-in für Illustrator und Photoshop (CC 2018), lassen sich eigene Color Fonts erstellen.

Fazit

Sobald die Design-Anwendungen die Color Fonts vollumfänglich unterstützen, wird man wohl des Öfteren diese ausgeflippten Schriften sehen. Durch die leichte Zugänglichkeit und die breite Verwendung wird mit Farbschriften zwangsläufig auch übertrieben und es wird zu Ermüdungserscheinungen kommen, etwa bei den Emoji-Symbolen. Doch das wird sich einpendeln. Zurück bleibt dann eine spannende, nützliche und sinnvolle Methode für eine erweiterte Ausdrucksweise in der Typografie.

In diesem Screencast zeigt Andreas Burkard die Arbeit mit den neuen Color Fonts anhand pratkischer Beispiele.

Andreas Burkard

Andreas Burkard erstellt als Grafikdesigner Konzepte für Print, PDF und interaktive Medien. Seit vielen Jahren ist er in der Publishing-Ausbildung und deren Workflow engagiert. Er unterstützt Firmen in Konzeption und Schulung beim Aufbau ihrer eigenen Projekte.
BurkardPublishing.ch

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