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Ein beschattetes Buschwindröschen über einem Bach, in dem das einfallende Sonnenlicht glitzert.

In Coronazeiten ist das Reisen in ferne Länder nicht mehr angesagt. Die Lust auf das Zuhause, die Nähe, treibt Fotografen diesen Frühling ganz besonders um. Eine ­An­­leitung für die Entdeckung des Paradieses vor der Haustür.

Fotoreisen sind für Amateurfotografen eine Kombination von guten Aufnahmen und gemeinsamen Erlebnissen. Das Corona­virus hat wohl einen Strich durch einige Reisepläne gemacht. Vielleicht ist es an der Zeit, die Augen für all das zu öffnen, was «zu Hause» anzubieten hat. Draussen in der Natur warten Schätze auf dich. Nicht nur die grossartigen Hügelzüge, auch Seen und Wälder machen im Frühling unser Zuhause so lebenswert. Wir sollten nur Augen und Herzen dafür öffnen. Erholung und Spass sind nicht von Reisekilometern in ferne Länder abhängig.

Die Natur keimt und reckt sich, zartes Grün setzt sich langsam, aber sicher durch, die ersten Blümchen im Wald künden vom Wechsel der kargen Jahreszeit. Wer noch genauer hinschaut, kann im Makrokosmos der Frühlingsboten Poesie pur erkennen. Oder auch eine Metapher für diese schwierige Zeit. Da stehen die Blümchenwinzlinge in Gruppen (von weit mehr als fünf) oder stecken einzeln ihre Köpfchen hoch. Die verwischten Hintergründe sind ein Symbol für die Unsicherheit und die Gefahr, die Zartheit der Blüten deutet auf Verletzlichkeit und Vergänglichkeit.

Magisches Waldveilchen. Die Unschärfe erzeugt ein weiteres Veilchen direkt vor der Kamera.

Was braucht es für die Makrofotografie?
Die Günstiglösung besteht aus Zwischenringen, oder Vorsatzlinsen, die es ermöglichen, den Abbildungsmassstab 1:1 oder grösser einzufangen. Wer ernsthaft einsteigen will, kommt um ein Makroobjektiv nicht herum. Die gibt es mit verschiedenen Brennweiten: Mit einer Normalbrennweite um 50 mm kann man ganz nah ans Objekt heran, bei Insekten keine so gute Idee. Mit einem 100er-, 150er- oder 200er-Makroobjektiv gibt es eine Minimaldistanz, die es verunmöglicht, ganz von unten her zu fotografieren. Makroobjektive können auch als Normalobjektive, nicht nur über die Nahdistanz eingesetzt werden.

Meine bevorzugten Blendenöffnungen in der Makrofotografie liegen wegen der Schärfentiefe zwischen 3 und 8, die angegebene Lichtstärke sollte also in jedem Fall genügen. Als weiteres Zubehör sollte der Anfänger über einen Bohnensack verfügen, allenfalls über ein Stativ, welches erlaubt, die Kamera in Bodennähe auszurichten. Sogenannte Gorillastative eignen sich gut dafür.

Scharbockskraut an einem Bachlauf, von steil oben besonnt. Die offene Blende ergibt ein weiches Bokeh.
Das Motiv A wird fokussiert und durch Blende/Linsen auf den Sensor geworfen. Es gibt nur eine Ebene, die vollkommen scharf abgebildet wird.
Teile, die sich ausserhalb des Fokuspunktes befinden (C), werden auf dem Sensor als Lichtkreise abgebildet. Dies äussert sich als eine allgemeine Unschärfe.
Die Schärfentiefe umfasst hier die Blütemitte des Leberblümchens mit den Härchen am Stiel.

Sieben Tipps

  1. Der Kontrast zwischen Schärfe und Unschärfe macht die Aufnahmen erst attraktiv. Bei einer offenen Blende von etwa f3 ist die scharf wahrgenommene Ebene sehr klein, vielleicht zwei Millimeter oder je nach Objektiv auch unter einem Millimeter. Das automatische Fokussieren der Kamera ist in diesen feinen Bereichen nicht mehr möglich, deswegen fotografiere ich stets mit der manuellen Fokussierung (Stellung M am Objektiv).
  2. Waldblümchen sind in der Regel winzig. Am schönsten präsentieren sie sich, wenn sie «auf Augenhöhe» fotografiert werden. Das heisst: auf den Boden mit der Kamera. Da unten ist ein Blick durch den Sucher nicht mehr möglich, mit anderen Worten, ich fotografiere oft mit aufgeklapptem Display und Live-View-Funktion. Im Live-Vew-Modus siehst du die Unschärfe und kannst die Änderung an der Blende jederzeit sehen. Du brauchst also eine Kamera mit drehbarem (am besten auch mit schwenkbarem) Display und Touchscreen-Funktion zum Auslösen.
  3. Die Sonne bringt willkommene Helligkeit und Kontrast in den Wald. Die Verschlusszeit kann so generell etwas kürzer gewählt werden. Bei vom Wind verwackelten Blümchen ist eine kurze Verschlusszeit wichtig. Du hast bei Sonne immer noch die Möglichkeit, die Motive abzuschatten.
  4. Benütze eine feste Unterlage. Ein Bohnensack ist dafür die erste Wahl, weil er schnell und unkompliziert funktioniert. Die Suche nach dem richtigen Bildausschnitt ist mit einem Bohnensack viel schneller und einfacher, als wenn man dafür jedes Mal das Stativ aufstellen muss. Um den richtigen Ausschnitt zu finden, wird das Motiv von allen Seiten in den Sucher genommen.
  5. Der Hintergrund ist ebenso wichtig wie der Vordergrund. Halte zuerst nach einem passenden Hintergrund Ausschau und spähe dann ein Motiv aus. Blümchen, die sich in Hanglage befinden, bieten dafür bessere Voraussetzungen als solche in der flachen Wiese.
  6. Suche Lichtpunkte im Hintergrund. Lichtpunkte sind nichts anderes als kontrastreiche kleine Flecken: das Glitzern auf Wasser, aber auch helle Stellen des Himmels, der durch den Wald dringt, weisse Blüten oder helles Laub. Lichtpunkte werden in der Unschärfe als Unschärfekreise abgebildet, die sehr attraktiv wirken.
  7. Am Morgen früh sind manche Blüten noch geschlossen und deswegen nicht attraktiv. Sie öffnen sich erst während des Tages und wenden sich oft der Sonne zu. Sie gleichzeitig im Gegenlicht und von vorn zu fotografieren, wird schwierig sein. Form und Farbe der Blüten beeinflussen die Kameraposition und die Bildkomposition. Mit Abschattungs- und Aufhellvorrichtungen (Alufolie oder weisses Papier) kann die Lichtsituation verbessert werden.
Die Schärfe wird im aufgeklappten Display ­mit der Lupenfunktion präzise eingestellt.

Bokeh und Unschärfekreise
Bokeh kommt aus dem Japanischen und bedeutet «verschwommen, unscharf». Mit Bokeh wird also der unscharfe Teil eines Bildes bezeichnet, der durch die Sensorgrösse, das Objektiv und die Bauweise der Blende hervorgerufen wird. Die unscharfen Kreise, die aus entfernten Lichtpunkten entstehen, heissen Unschärfekreise oder Zerstreuungskreise. Je offener die Blende, desto grösser werden diese Kreise. Je kontrastreicher die Blendenflecken, desto härter werden sie.

Mit der Unschärfe wird das Motiv erst aus seiner Umgebung hervorgehoben und betont. Die Unschärfe kann als verwischter Fleck vor dem Motiv liegen oder dann wird sie als Unschärfekreis in Hintergrund sichtbar. Für deutliche Unschärfekreise ist ein möglichst grosser Kontrast zwischen Lichtpunkten und Umgebung notwendig. Eine grüne Wiese ergibt keine Unschärfekreise, weisse Blüten von Märzenglöckchen darauf hingegen schon. 

Wo und wie fotografieren?

Waldblümchen sind winzig und oft unscheinbar. Nicht immer wachsen sie als Blumenmeer. Die ­Makrofotografie verlangt nach allein stehenden Blümchen mit Hintergrund.

Die Suche nach den Motiven ist nicht so einfach, wie es scheint. Wir sehen die Motive von oben herab und nicht aus der Bodenperspektive. Deshalb ist die Augenschulung bezüglich geeigneter Motive anspruchsvoll. In einem Blind Dating würde es wohl heissen: Suche Single mit Hintergrund …

Zuerst jedoch muss man wissen, wo und wann die entsprechenden Blümchen gedeihen. Buschwindröschen oder Schlüsselblümchen findet man überall. Waldveilchen sind schon seltener, Leberblümchen oder Sumpfdotterblumen wachsen nur an von ihnen bevorzugten Standorten. Im Mail blüht der Bärlauch, später der Frauenschuh, noch später der Türkenbund oder Orchideen. Mit einem schweren Fotorucksack am Rücken will man schliesslich nicht stundenweise herumsuchen, so ist auch die Zugänglichkeit wichtig.

Erst nach einiger Recherche, dem Rekognoszieren und etwas Erfahrung gelingt es, eine vielversprechende Topografie mit den Motiven auszuloten. Am Nachhaltigsten gleich in deiner unmittelbaren Umgebung.

Der Waldsauerklee wächst auf bemoosten Bäumen an schattigen Lagen. Bei freihändigen Aufnahmen mit dem Sucher kann das Bokeh nicht angesehen werden. Ein Vorteil, wenn mit Live-View und Display gearbeitet wird.
Unschärfekreise sind sichtbar.
Das Fotografieren durch Blumen hindurch bringt eine interessante Unschärfe.
Distanz für Bokeh: Wenige Zentimeter bis unendlich
Eine erhöhte Kameraposition erlaubt auf Wiesen Unschärfekreise.
Bokeh im Vordergrund.
Hanglagen bieten gute Voraussetzungen für den Hintergrund.

Hier du ein interaktives PDF mit einem Workshop über Waldblumenfoto­grafie von Ralf Turtschi ­herunterladen: Workshop

  • Autor Ralf Turtschi
    Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
    tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet.
  • Rubrik Fotografie
  • Dossier: Publisher 2-2020
  • Thema Fotografie, Bokeh, Natur, Makrofotografie

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