Von der Schwarzen Kunst zu Printed Electronics

«Printed Electronics» – das klingt gut in den Ohren eines Druckers. In der Tat: Jedes Druckverfahren – vom Flexodruck über Tief-, Offset- und Siebdruck bis hin zum Inkjet – eignet sich dafür. Doch kommt Printed Electronics auch als Vision für die Zukunft der Schweizer Druckindustrie in Frage? Gerhard Märtterer hält hier ein leidenschaftliches Plädoyer für die neue Technologie und überzeugt zudem mit einem kühnen Vorschlag.

Die «Schwarze Kunst», wie das Drucken einmal hiess, ist schon lange keine Kunst mehr. Gutenbergs Jünger schieben heute Schichten in einer Industrie, die auf höchste Effizienz getrimmt ist. Wem nichts anderes einfällt als Standard-Drucksachen anzubieten, der muss seine Prozesse und Kosten schon extrem gut im Griff haben. Sonst verliert er im Preiswettkampf um die Commodities und es bleibt ihm zuletzt nur noch, den Kantönligeist oder «Printed in Switzerland» zu beschwören. Doch solche Labels verfangen allenfalls bei eingeschworenen Eidgenossen. Die Schweiz aber lebt vom Export. Und «Printed Electronics made in Switzerland» hätten das Zeug zum Exportschlager für Druckereien, Druckmaschinenhersteller und Verpackungshersteller zu werden. Das jedoch nur, sofern es einer Interessensvereinigung – nennen wir sie die «Schweiz RFID-AG» (RFID = Radio-Frequency Identification) – gelingt, einen Flywheel-Effekt (Kasten 1) in Gang zu setzen, der weltweit Massstäbe setzen kann.

Fängt der frühe Vogel tatsächlich den Wurm?
Electronic Printing (Kasten 2) befindet sich derzeit im Stadium des Übergangs aus der Grundlagenforschung zum Praxisbetrieb. So schwierig wie die Anfangsjahre im Digitaldruck waren, so schwer tun sich derzeit die Pioniere der Printed Electronics.

Trotzdem wird dieser neuen Technologie in manchen Druckfachzeitschriften bereits ein Hype angedichtet, als stünde sie kurz vor dem Abheben zum senkrechten Steigflug. Da wird das Prinzip «Der frühe Vogel fängt den Wurm» gepredigt und Druckern, Vorstufenprofis und Werbestrategen empfohlen, sich mit diesem Thema schleunigst zu befassen. Denn darin liege die Zukunft. Wohl wahr. Allerdings sprechen wir hier nicht von der nahen Zukunft. Das Graphische Gewerbe aber muss heute Geld verdienen, nicht übermorgen. Beim Digitaldruck waren die ersten Pioniere auch nicht die frühen Vögel, die den Wurm fanden. Sondern eher die armen Würmer, die der Kuckuck holte. Die KMU-geprägte Graphische Welt hat einfach nicht den langen, oft subventionierten Atem von Forschungsinstituten, die exzellente Grundlagen, aber selten Patentrezepte hervorbringen, um damit unverzüglich Geld zu verdienen.

Die Konzentration auf erfolgversprechende Anwendungen
Die Einsatzgebiete von Printed Electronics sind gross (Kasten 3). Manche davon sind nette Gimmicks, die über ein Nischendasein nicht hinauskommen werden. Andere haben das Zeug zum Dauerbrenner in Milliardenauflagen.

Besonders wachstumsstark dürfte die RFID-Technik sein. Per Radio-Frequency Identification können Sender-Empfänger-Systeme alle Arten von Objekten und Lebewesen automatisch und berührungslos identifizieren. Dazu werden Funketiketten (Transponder), die einen kennzeichnenden Code enthalten, an Gegenständen oder Lebewesen befestigt. Lesegeräte können diese Kennung auslesen. RFID-Transponder, die oft kleiner als ein Reiskorn sind, können in Haustiere implantiert oder in Textilien eingenäht werden. Die Kosten dafür betragen wenige Cent. Doch das ist schon zuviel für den Markt der Fast Moving Consumer Goods (FMCG). Diese schnelllebigen Verbrauchsgüter des täglichen Bedarfs haben so niedrige Preise und geringe Handelsspannen, dass klassische Transponder zu teuer sind. Hier eröffnen sich Chancen für Printed Electronics, wodurch RFID-Funketiketten besonders günstig auf Verpackungen und Labels gedruckt werden können.

Der Flywheel-Effekt bei Printed Electronics
Wie schon im Publisher 20-2 beschrieben, setzt ein Schwungrad-Effekt immer dann ein, wenn alles zusammenkommt, was es zum Durchbruch neuer Möglichkeiten braucht. Nehmen wir die Technologie der Printed RFID. Diese ist ausgereift und marktfähig. Zur erfolgreichen Einführung im FMCG-Markt für schnelllebige Konsumgüter aber braucht es mehr. Erst wenn alle Teilkomponenten funktionieren und alle beteiligten Stakeholder überzeugt sind, hat solch ein Gesamtsystem Chancen auf Erfolg. Das schafft keine Druckerei, kein Maschinenbauer, keine Handelskette alleine. Dazu braucht es einen Zusammenschluss im Sinne einer «Schweiz RFID-AG».

Von Amazon GO zu Swiss FMCG-RFID.

Die Europäischen Artikelnummern (EAN-Codes), die als Strichcode auf Warenpackungen gedruckt sind, haben das Ver- und Einkaufen stark erleichtert. Preise müssen an der Supermarktkasse nicht mehr eingetippt werden. Es genügt, das Produkt über den Scanner zu ziehen, um es zu identifizieren.

Eins jedoch ersparen die EAN-Codes nicht: Das Raus und Rein vom Warenkorb aufs Förderband und wieder retour. Denn die optischen Strichcodes müssen nun einmal optisch erfasst werden. Amazon Go verspricht Abhilfe. Kunden können den GO-Supermarkt mit vollem Warenkorb verlassen ohne Stopp an der Ladenkasse. Die ausgewählten Waren werden durch Sensoren und Überwachungskameras bereits beim Herausholen aus den Regalen erfasst und nach dem Verlassen des Ladens automatisch dem Kundenkonto belastet. Doch das System ist störanfällig, sobald mehr als 20 Personen im Laden sind. Ausserdem: Welcher Europäer will sich während des Einkaufens schon aus allen Winkeln überwachen lassen?

Vom Graphischen Drucken zu Printed Electronics
Beim Graphischen Drucken wirken die Farben wie Filter: Sie lassen nur ganz bestimmte Wellenlängen des Lichts passieren. So entsteht zusammen mit dem reflektierenden Weiss des Trägermaterials die subtraktive Farbmischung der CMYK-Skala. Das Aufrastern nach dem Prinzip der Autotypie erlaubt das Drucken von beliebig gesättigten Halbtönen. Drei Grundfarben zusammen mit Schwarz, um dem Bild Tiefe zugeben, genügen im Zusammenspiel mit dem Aufrastern, wodurch auf unserer menschlichen Netzhaut ein Bild entsteht, das unser Gehirn als echt wahrnimmt. Der Massstab allen Graphischen Druckens ist das menschliche Auge, das Strukturgrössen unter 20 μm nicht mehr auseinanderhalten kann. Folglich muss das Graphische Drucken auch nicht feiner darstellen können.


Beim Electronic Printing geht es nicht um die Filterung von Lichtwellen, sondern um die Bereitstellung elektronischer Funktionalitäten. Dazu werden, statt Farben aufzutragen, organische und anorganische Substanzen schichtweise so übereinander gedruckt, dass sie wie Halbleiter, Leiter oder Widerstände reagieren oder auch photovoltaische oder elektroluminiszente Eigenschaften aufweisen. Was ganz früher elektrische Röhren konnten, später dann Transistoren und schliesslich Integrierte Schaltkreise (ICs), kann in zunehmendem Masse auch durch das Electronic Printing geleistet werden – zwar lange nicht so leistungsstark und hochverdichtet wie die konventionelle Elektronik, dafür aber wesentlich günstiger.

Die Grundidee aber ist richtig: Warteschlangen an der Kasse nerven die Verbraucher und kosten den Kaufmann viel Geld. Echte Abhilfe verschafft RFID. Denn Radiowellen brauchen keine Scannerkassen. Sie können sogar im Pulk aller Waren im Vorübergehen erfasst werden. Es genügt, den Warenkorb durch die Ausgangsschleuse zu schieben. Schneller und bequemer geht es nicht.

Die deutsche Volksbanken-Raiffeisen-Gruppe hat im Februar 2020 auf der Messe Euroshop zusammen mit dem aus der Uni Duisburg-Essen hervorgegangenen Startup ID4us das System VR Payment vorgestellt, das mit RFID-Stickern arbeitet. Fehlt also nur noch der Schritt zum integrierten Printed-RFID-Transponder auf der Verpackung. Was bereits in Bibliotheken und in der Logistik eingesetzt wird, das wird auch im FMCG-Markt kommen. Doch die OE-A, die Organic + Printed Electronics Association hat als Arbeitsgruppe im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) nicht die Power, so etwas durchzusetzen. Zu viele Stakeholder müssen eingebunden werden: Hersteller, Händler, Logistiker, Maschinenbauer, Normierungsinstitutionen, Politik. Hier könnte die «Schweiz RFID-AG» die Vorreiterrolle übernehmen. So wie WHO, Rotes Kreuz, FIFA und IOK von der Schweiz aus agieren, könnte die RFID-AG die Entwicklung der Printed Electronics, speziell der RFID für FMCG-Verpackungen ausgehend von der Schweiz nach vorne bringen. Natürlich nicht allein wegen der Convenience an der Supermarktkasse. Sondern insbesondere auch wegen des Fälschungs- und Kopierschutzes, den die Schweizer Luxuswarenindustrie in einer Pilotanwendung einführen könnte.

Die Schweiz ist gesegnet mit Weltmarktführern aus der Lebensmittel-, Pharma-, Verpackungsmaschinen- und der Post-press-Maschinenindustrie. Zudem hat die Schweiz mit der Migros einen grossen genossenschaftlich organisierten Detailhändler, der anderen Global Playern im FMCG-Segment nicht in die Quere kommt. Damit bietet sich die Schweiz als idealer Entwicklungshotspot mit angegliedertem nationalen Testmarkt an. Sie verfügt über herausragende Lehr- und Schulungsmöglichkeiten sowie eine exzellente Forschung. Und es ist nicht allzu weit zum kooperationswilligen Institut für Print und Media Technologie an der TU Chemnitz, wo Prof. Dr.-Ing. Arved C. Hübler seit 1997 über Printed Electronics forscht.

Einsatzgebiete für Printed Electronics
Organic Photovoltaic zur Stromerzeugung
Flexible Displays für Preisschilder, e-Reader, e-Poster, elektronische Tapeten, aufrollbare OLED-TV-Bildschirme
OLED* für Lampen, dekorative Elemente, Architekturbeleuchtung, flexible Lichtelemente
Printed RFID im Fälschungsschutz, für e-Ticketing, Logistik-Automatisierung, Identifikation von Personen und Produkten
Printed Memory zur High End Brand Protection, Identifikation, für Games, Electronics, Multimedia
Organic Sensor für Fotodioden, Messung von Temperatur, Druck, chemische Prozesse über intelligente Sensoren
Flexible Battery zur direkten Integration in Packungen und Systeme
Smart Objects wie Grusskarten, Animierte Logos, Intelligente Tickets, Smart Packaging
Smart Textiles mit Leuchteffekten, für integrierte Keypads, Displays, Photovoltaik, Brennstoffzellen, integrierte Sensoren
*Spannend sind die Entwicklungen bei den Organischen Leuchtdioden (OLED = Organic Light Emitting Diode). Diese Dünnschicht-Bauelemente aus organischen halbleitenden Materialien werden kostengünstig als Printed Electronics hergestellt und leisten gute Dienste als Bildschirme für Smartphones und Tablets, wie auch in der grossflächigen Raumbeleuchtung. Allerdings entstehen sie in speziellen Druckereien unter Reinraumbedingungen – dafür braucht es Investitionen, die keine normale Druckerei stemmen kann. Die simplen OLEDs hingegen, die sporadisch für leuchtende Werbeverpackungen eingesetzt werden, können auch von kleineren Druckereien hergestellt werden. Doch das wird wohl ein Nischenmarkt für wenige bleiben.

Visionen werden Wirklichkeit dank Coopetition
Langfristig: Wem diese Vision des kooperativen Vorgehens einer «Schweiz RFID-AG» allzu optimistisch klingt, der bedenke, was aus den bescheidenen Anfängen einer einstmals kleinen Hausmesse in Luzern wurde. Sie avancierte zur weltweit führenden Messe in ihrem Sektor. Der Grund: Der Hausherr öffnete seine Pforten auch für Marktbegleiter und kooperiert heute mit ihnen. Aus Competition und Cooperation wurde Coopetition – im Laufe von 25 Jahren.

Mittelfristig: Coopetition kann schrittweise eingeübt werden. Auf dem Weg zur weltumspannenden RFID-Lösung im FMCG-Markt bieten sich zum Einstieg überschaubarere Projekte mit weniger Stakeholdern an. Auch hier kann die Schweiz mit ihren traditionellen Stärken punkten. So stehen die Eidgenossen für höchste Sicherheit. Gedruckte RFID-Tags in Ausweisen, Kundenkarten, Tickets und Geldscheinen erhöhen die Fälschungssicherheit signifikant – ein weiteres lukratives Entwicklungsgebiet für die «Schweiz RFID-AG». Dazu ein Beispiel: Bereits 2003 verhandelte die Europäische Zentralbank mit Hitachi über eine Integration von konventionellen RFID-Transpondern in Euro-Banknoten zur Fälschungssicherung. Das Projekt scheiterte damals an den Kosten. Printed RFID-Tags sind heute die kostengünstigere Alternative.

Kurzfristig: Insellösungen werden bereits heute realisiert. So inszeniert der Verpackungsspezialist Karl Knauer aus dem Schwarzwald dank Smart LEDs magische Lichteffekte auf Produkten aus Papier, Karton und Wellpappe, wie jüngst beim exklusiven Kundenmagazin zum Porsche 918.

Magische Lichteffekte auf Produkten aus Papier, dank Smart LEDs.

Fazit

Die Welt der Printed Electronics ist weit und tief: Was mit Kleinstauflagen in einer Druckmanufaktur für eine handverlesene Kundschaft beginnt, wird sich zu einem Milliardenmarkt für Produkte des täglichen Bedarfs entwickeln. Der Schweizer Vorteil: hier gibt es sowohl die Tüftler fürs Kleine und Feine als auch die Visionäre für den Weltmarkt.

Gerhard Märtterer

Gerhard Märtterer studierte Marketing und IT in Stuttgart. Gründete 2003 AlphaPicture, entwickelt seit 2005 mit Verlagen, Druckmaschinenherstellern und Softwarepartnern Prototypen für personalisiertes Direktmarketing, Zeitschriften, Kataloge und Transpromo. Er transformierte die Eversfrank Gruppe vom reinen Rollenoffsetdrucker zum integrierten Hybriddrucker und ist als «The ONE for One-to-One» weltweit beratend sowie lehrend tätig.

  • Autor Gerhard Märtterer
    Gerhard Märtterer studierte Marketing und IT in Stuttgart. Gründete 2003 AlphaPicture, entwickelt seit 2005 mit Verlagen, Druckmaschinenherstellern und Softwarepartnern Prototypen
    für personalisiertes Direktmarketing, Zeitschriften, Kataloge und Transpromo. Er transformierte die
    Eversfrank Gruppe vom reinen Rollenoffsetdrucker zum integrierten Hybriddrucker und ist als «The ONE for One- to-One» weltweit beratend sowie lehrend tätig.
  • Rubrik Print
  • Dossier: Publisher 3-2020
  • Thema Printed Electronics

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