Das ABC des Grafikdesigns: Grafik und Gestaltung visuell erklärt

Auf den nächsten zweit Seiten erhältst du einen Einblick in das neueste Buch von Markus Wäger mit dem Titel «Das ABC des Grafikdesigns: Grafik und Gestaltung visuell erklärt», welches voraussichtlich im September 2020 erscheint.


Visuelle Sprache
Kommunikationsdesign basiert auf visueller Sprache. Wenn Sie ein Gedicht schreiben, werden Sie andere Formulierungen wählen als für einen Roman; Berichte bedienen sich einer wiederum anderen Sprache. Es ist nicht nur von Bedeutung, was man sagt, sondern auch, wie man es sagt. Der Ton macht die Musik!
Markus Caspers skizziert in «Zeichen der Zeit – eine Einführung in die Semiotik» das Beispiel einer Schulklasse, die die Aufgabe erhält, ein Cover für ein beliebiges Musikalbum zu gestalten. Von dieser Aufgabenstellung ausgehend ist zu erwarten, dass die Entwürfe so vielfältig ausfallen, wie die Klasse Schüler hat. Lautet die Aufgabe hingegen, ein Cover im Stil des Cool Jazz der 1960er zu entwerfen, sollten eigentlich Resultate in derselben visuelle Sprache entstehen. Voraussetzung ist aber, dass die Schüler mit der grafischen Sprache des Genres der Zeit vertraut sind.
Als visuelle Wesen werden wir von Geburt an von visuellen Codes geprägt, die wir intuitiv bestimmten Bedeutungen zuordnen. So werden Sie wahrscheinlich Schirm und Melone als typisch englisch empfinden, Baskenmütze und Baguette mit Frankreich assoziieren oder einen Cowboyhut mit den USA. Typisch für Irland ist die Farbe Grün, wo Niederländer in Massen auftauchen, dominiert oft Orange.

Wer wie ich in den 1970ern aufgewachsen ist, für den sind bestimmte Muster in Orange, Braun und Grün untrennbar mit der Zeit verbunden – Neon und Schwarz verbinde ich mit den 80ern. Später Geborene werden vielleicht einen mit Blumen bemalten Bus den Hippies der 70er zuordnen oder einen sogenannten Ghettoblaster mit dem Hip-Hop der 80er. Doch abgesehen von absolut stereotypischen Symbolen fällt es schwer, visuelle Codes mit etwas zu assoziieren, wenn sie in unserer Lebenserfahrung nie präsent waren. Deshalb ist die Gestaltung eines Covers im Cool-Jazz-Stil der 60er auch eine kaum lösbare Aufgabe, wenn man diese Zeit nicht erlebt hat und/oder kein Cool-Jazz-Fan ist. Wo die Erfahrung fehlt, muss die Lücke via Recherche geschlossen werden. Ohne gezieltes Studium werden Sie kaum in der Lage sein, ein antikes Möbelstück einer historischen Epoche zuzuordnen oder zu bestimmen, ob ein fernöstlich anmutendes Kleid aus China, Japan oder Korea stammt. Epochen und Regionen unterscheiden sich nicht nur in den gesprochenen, sondern auch in den visuellen Sprachen. Als Kommunikationsdesigner muss ich visuelle Sprache nicht nur verstehen, ich muss mich auch in ihr ausdrücken können. Das mag leicht klingen, ist es aber nicht. Ungeübte Gestalter scheitern oft schon an der Aufgabe, einen Entwurf in einem zeitgemäss modernen Look zu kreieren. Während die Wahl einer trendigen Farbe und dem Zeitgeschmack entsprechender Bilder meist noch vergleichsweise leichtfällt, wird bei der Schriftwahl häufig danebengegriffen.

Schriftformen sind nicht zeitlos. Schriftarten, die vor Jahren besonders heiss und trendy waren, können gegenwärtig völlig out sein. Grafischer Stil ist nicht minder Moden unterworfen wie Bekleidung, auch wenn die Trends nicht gerade im Halbjahresrhythmus wechseln (was ja in der Mode auch nur am Laufsteg der Fall ist). Greift der Gestalter für einen Entwurf zu einer Schrift-form, deren Formensprache einer vergangenen Dekade entspricht, wirken die Resultate im besten Fall ungewollt retro, meist aber eher verstaubt und missglückt.

Visuelle Sprache ist dabei nicht nur vom historischen, regionalen und subkulturellen Kontext abhängig, sondern ebenso vom individuellen Stil des Designers. Jeder Gestalter hat eine mehr oder weniger eigene Handschrift. Deren Stil wird nicht zuletzt davon abhängen, wo und bei wem man studiert hat. Beauftragen wir Studenten am Anfang ihres Studiums, ein Cover zu gestalten, werden wir so vielfältige Entwürfe erhalten, wie die Klasse Individuen hat. Am Ende hingegen ist zu erwarten, dass die Resultate bei gleichen Vorgaben sehr viel ähnlicher ausfallen. Die grafische Sprache der Studenten wird durch die Gestaltungsphilosophie und den Ansatz des Lehrkörpers geprägt sein. Zwangsläufig wird also, ganz abgesehen vom individuell unterschiedlichen Ausdruck jeder Persönlichkeit, auch jede Schule ihren eigenen visuellen Dialekt fördern. So wie beispielsweise das Bauhaus und in Nachfolge die Hochschule für Gestaltung Ulm ihren Absolventen ihren Stempel aufdrückten.


Visuelle Codes
Visuelle Sprache arbeitet mit visuellen Codes. Diese Codes vermitteln Bedeutung. So transportiert die Darstellung eines Totenschädels die Bedeutung Tod. Dabei können visuelle Codes noch mehrdeutiger und vielschichtiger sein als verbaler Ausdruck. Ohne Kontext wissen wir nicht, ob das Wort «Himmel» gerade für Firmament oder Paradies steht. Ebenso kann der Totenkopf einmal Identifikationssymbol von Piraten sein, ein andermal als Piktogramm auf einen giftigen Inhalt hinweisen. Hier kann die Farbe Aufschluss über den Kontext geben.

Viele Codes stehen für unterschiedliche Bedeutungen, vielleicht sogar die meisten. Wer sich der Codes bedient, ohne sich möglichst aller Bedeutungen bewusst zu sein, läuft Gefahr, missverstanden zu werden. Das kann ähnlich enden wie in einem Sketch von Monty Python, in dem John Cleese als ungarischer Tourist mit einem Phrasenbuch in einen Tabakladen kommt. Bedauerlicherweise sind die Übersetzungen nicht korrekt. So wird «können Sie mir den Weg zum Bahnhof weisen» mit «bitte streicheln Sie meinen Popo» übersetzt. Der Sketch endet mit einer Prügelei.

Wenn Sie gelegentlich in einer Sprache kommunizieren, die Sie nur rudimentär beherrschen, kennen Sie vielleicht die Situation, dass durch eine falsch verstanden Bedeutung oder eine falsche Aussprache Missverständnisse entstehen können. Ich erinnere mich an einen Urlaub auf den Kanaren, als wir uns in unserem Stammrestaurant wunderten, weshalb sich auf den Salaten an diesem Tag keine Avocado befand. Wir versuchten uns auf Englisch zu erkundigen, woraufhin der Kellner fragte, was wir mit einem Lawyer (Anwalt) wollten – Anwalt heisst auf Spanisch «Abogado», was er wohl statt Avocado verstanden hatte (Avocado heisst auf Spanisch «Aguacate»).

Zu den Bilder oben, von links oben nach rechts unten:

  1. Das Zeichen der Piraten
  2. Dasselbe Zeichen in anderen Farben weist auf giftige Substanzen und gefährliche Zonen hin.
  3. Der Irokesenschnitt signalisiert üblicherweise die Zugehörigkeit zur Punk-Szene.
  4. Violett steht in der katholischen Liturgie für Übergang und Verwandlung und wird u. a. vor Ostern und Weihnachten getragen.
  5. Der Kreis gilt ebenso als Symbol der Unendlichkeit wie der Zusammengehörigkeit. Im Ehering treffen sich beide Bedeutungen.
  6. Der Regenbogen ist zur visuellen Marke der LGBTQ-Bewegung geworden.
  7. Guy-Fawkes-Masken werden gerne von Aktivisten getragen, die sich dem Anonymous-Kollektiv zugehörig fühlen.
  8. Der Fuchs steht für Schlauheit und List.
  9. Die Mondsichel ist zwar kein offizielles Symbol des Islam, wie das Kreuz im Christentum, dient aber dennoch oft der Identifikation.
  10. Eine rote Lampe ist oft Hinweis auf Dienst- leistungen eines sehr alten Gewerbes.
  11. Wegmarkierungen halten einen auf Wegen, die nicht mehr als solche zu erkennen sind.
  12. Stereotypisch englisch: Schirm und Melone – fehlt nur der Tee.

Das ABC des Grafikdesigns – Theorie und Praxis der grafischen Gestaltung
von Markus Wäger
Das Buch ist für ca. 39.90 Euro beim Rheinwerk Verlag vorbestellbar und ist ab dem 25. September 2020 lieferbar.
400 Seiten, gebunden, in Farbe
Rheinwerk Design, ISBN 978-3-8362-7496-8 rheinwerk-verlag.de

  • Autor Markus Wäger
    Er ist Grafikdesigner, Autor und Referent für Fotografie und Gestaltung. Er lebt und arbeitet in Schwarzach in Vorarlberg und hat Bücher über Photoshop, InDesign, Grafik und Gestaltung, Farbenlehre, Fotografie sowie Affinity Photo geschrieben. Unter www.mar- kuswaeger.com betreibt er einen Blog und auf YouTube einen Kanal mit mittlerweile über 280 Workshops und Tutorials zum Thema Fotografie und Gestal- tung. Die Illustrationen zu seinen Büchern erstellt er überwiegend in Adobe Illustrator.
  • Rubrik Design & Praxis
  • Dossier: Publisher 4-2020
  • Thema Buchvorstellung

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