Die neue Idylle ist: blass und tonig

Die Postkartenidylle hätte vor fünf Jahren so ausgesehen, heute ist Authentizität nicht mehr gefragt.

Postkartenmotive zeichneten sich durch Farbenpracht aus, der Himmel konnte nicht blau genug sein, die Natur quoll über vor Farbe. Das war einmal. Heute sind die meisten Tourismuspublikationen alles andere als farbig.

Vielleicht ist es eine Mode, vielleicht auch ein Spiel – eine der letzten Bastionen der fotografischen Authentizität ist gefallen: die Naturfotografie. Zuerst waren da diese nordischen Krimis, die Zerwürfnis und Düsternis mit stichigen Farben rüberbringen wollten. Auch die Harry-Potter-Filme zeigen, was an atmosphärischer Dichte über die Farbstimmung möglich ist. So, wie es aussieht, ist sich die gesamte Tourismusbranche einig: Die Schweiz ist farbstichig und blass. Die nostalgischen Heile-Welt-Gefühle lassen sich offensichtlich mit verblichenen Farben besser adressieren als mit möglichst naturnahen Farben. Die digitalen Möglichkeiten der Bearbeitung tun ihr Übriges, und vielleicht steckt auch der Drang in Marketingköpfen, die blasse Bildlichkeit irgendwo abzukupfern. Um es nicht zu vergessen, das Papier trägt mit einer natürlichen Haptik ebenfalls zum Look bei.

Heute sind Postkartenbilder farbstichig oder blass.

Die Merkmale solcher Bilder sind schnell auszumachen. Oft fehlt ihnen die Intensität der Farben, sie haben eine reduzierte Farbdynamik. Sehr gut lässt sich diese Farbarmut am Himmel nachvollziehen: Meist wirkt er grünlich oder farblos gräulich, satte Grüntöne in der Natur werden reduziert, Sonne oder Wolken können vollkommen weiss ausgefressen sein, Gegenlicht ist Trumpf. Die Farbreduktion im Bild kann trotzdem ein ganzes Spektrum an Farben beinhalten, die Fotos können sehr stimmungsvoll von einem Gelb- über den Grün- bis zum Blaustich geführt werden. Es werden in etwa die gleichen Filter und Effekte angewandt, wie sie in der Handyfotografie schon längst angekommen sind.

Ich persönlich arbeite im RAW-Work-flow mit Lightroom, dort sind die entsprechenden Regler für die Bildkontrolle intuitiv angeordnet. Wer nicht mit Lightroom unterwegs ist, kann in Photoshop unter Filter den Camera-RAW-Filter aufrufen, dort stehen die gleichen Werkzeuge ebenfalls zur Verfügung. Um die Farben in die gewünschte Richtung zu steuern, musst du zwischen Korrekturen unterscheiden, die das ganze Bild betreffen, und solchen, die sich nur auf bestimmte Farben beziehen. Um die Sättigung des Himmels zu reduzieren, wählst du in Photoshop Camera­RAW­ Filter > Farbmischer, dort den Reiter «Sättigung» und ziehst die Schieber «Blautöne» gegen links (Abb.). Jetzt werden nur die Blautöne entsättigt, der Rest bleibt. Ebenso kannst du alle aufgeführten Farben mit den Reglern entsättigen, bis das Resultat deinen Vorstellungen entspricht. So kannst du auch Farbstiche einarbeiten, wie das Beispiel oben im Vergleich zeigt. Photoshop und Lightroom halten eine ganze Kiste voller Werkzeuge parat, die die Farben global oder partiell sättigen oder entsättigen.

Die beiden Regler «Dynamik» und «Sättigung» sorgen für grosse Effekte. «Sättigung» entsättigt gleichmässig über das ganze Bild, während «Dynamik» vor allem dort eingreift, wo das Bild hoch gesättigt ist. Ungesättigte Bildstellen bleiben, wie sie sind.

Weiter sind natürlich auch die Regler «Farbtemperatur» und «Farbton» in hohem Mass für die warme oder kühle Stimmung verantwortlich.

Das Naturbild lebt aber nicht nur von der Farbe, sondern auch von der Durchzeichnung der Wolken am Himmel. In diesem Feld sind Handys mit mehreren Kameramodulen den teuren Kameras oft überlegen, die erst über die RAW-Entwicklung zu ähnlichen Resultaten gelangen. Im Vergleich oben ist die Wolkenzeichnung für die Dramatik des Bildes verantwortlich. Der Filter «Dunst entfernen» ist verantwortlich für diesen Effekt. «Dunst entfernen» arbeitet mit den Kontrasten der hellen und mittleren Tonbereiche und verstärkt diese. Welch ein Unterschied!

In der Kombination von Entsättigung, Wolkenbearbeitung mit Filter «Dunst entfernen» und partieller Aufhel- lung entsteht diese Stimmung.
Die wichtigsten Regler des Camera-RAW- Filters für die Entsättigung.

Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG, visuelle Kommunikation, 8800 Thalwil. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden, tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet. Kontakt: agenturtschi.ch, turtschi@agenturtschi.ch, Telefon +41 43 388 50 00.

  • Autor Ralf Turtschi
    Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
    tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet.
  • Rubrik Imaging
  • Dossier: Publisher 4-2020
  • Thema Postkartenidylle

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