Handwerk auf Knopfdruck

Als die ersten grossen Online-Druckereien ihre virtuellen Pforten öffneten, glich das einer Kampfansage: Unglaublich niedrige Preise, schnelle Lieferung, bequemes Bestellen – wie sollte hier ein konventioneller Handwerksbetrieb mithalten? Lange Zeit wurde versucht, wenigstens die Druckqualität in Zweifel zu ziehen, doch diese Kritik verhallte zum einen ungehört und stellte sich zum anderen als nicht unbedingt berechtigt heraus. Vielleicht hätte es geholfen, die digitalen Anbieter von vorne herein nicht als Konkurrenz, sondern als eigene Spezies zu betrachten … 

Unser Einkaufsverhalten hat sich in den letzten Jahrzehnten gehörig gewandelt: Wir sind es gewohnt per Knopfdruck Preise zu vergleichen und unseren Konsumwunsch zu erfüllen. Heute bestellt, morgen geliefert – ob Unterwäsche, Staubsauger, Möbelstück, Vollmilch, Versicherungspolice oder Kopfschmerztabletten. Alltägliche Dinge, die wenig auf persönliche Parameter abgestimmt sind, wurden schon kurz nach Beginn des digitalen Zeitalters schnell und in Massen angeboten. Der Einzelhandel schluckte … und damit auch eine dicke Kröte, ohne eine Strategie zum Erhalt des eigenen Business zu entwickeln. Etwas hektisch begannen die traditionellen Händler stattdessen ebenfalls auf den Online-Zug aufzuspringen. Oftmals eher halbherzig mit reduziertem Sortiment und ohne recht zu verstehen, dass das Kauferlebnis auf einer Online-Plattform ganz andere Bedürfnisse erfüllen muss als Kataloge mit Bestellkärtchen. Tatsächlich stand lange die Ware sowie die eingehende Beratung und Überzeugungsarbeit im Vordergrund. Doch in Webshops muss vor allen Dingen eines stimmen: ein technisch reibungsloser Ablauf. Wer heute seinen Online-Kunden mehr als drei Schritte von der Auswahl bis zur Bezahlung zumutet, kann eigentlich schon einpacken. Geduld mag Rosen hervorbringen, aber sicherlich keinen Online-Umsatz.

Mit diesen neuen Parametern waren so ziemlich alle Branchen eine Zeit lang komplett überfordert – gefragt waren gänzlich neue Kompetenzen: Digitales Know-how lief der eigentlichen Branchen- und Warenkenntnis den Rang ab und bewährte Erfolgsstrategien wie eine geschickte Produktpräsentation, persönliche Kundenbindung sowie individuelle Beratung hatten in der virtuellen Welt keinerlei Bedeutung mehr. Die perfekte Technik und die Automatisierung der Abläufe landeten stattdessen auf der Prioritätenliste ganz oben. Inzwischen besinnen sich freilich auch Online-Anbieter auf alte Tugenden und installieren gelegentlich «Chatpartner», die (penetrant duzend!) ein wenig Individualität vermitteln sollen. Auch die Warendarbietung ist grafisch anspruchsvoller geworden, glatte, kühle Technik bekam einen Hauch menschlichen Anstrichs.

Und trotzdem: Digitaler und analoger Verkauf spielen nicht in der gleichen Liga – es sind meiner Meinung nach sogar zwei verschiedene Sportarten. Ob man beide beherrschen muss, sei dahingestellt. Fest steht aber, dass «ein bisschen online» eher Hobby denn ernstzunehmender Geschäftszweig ist (ein «bisschen analog» aber auch!). Denn wer auf diesem Wege offeriert, ist dazu gezwungen, die inzwischen etablierten «Standards» einzuhalten. Ein Grossteil potentieller Kunden ist nun einmal «primeverseucht».



Zweierlei Welten
Das Prinzip ist auch auf die Druckbranche übertragbar: Wer schnell und ohne grosse Individualisierungswünsche 0815-Visitenkarten benötigt, wird das riesige Angebot der Online-Druckereien zu schätzen wissen. Das Sammeldruckverfahren sorgt hier für günstige Preise, praktische Templates ersparen sogar oft den professionellen Gestalter (vorausgesetzt man möchte «nur» eine Systemschrift und ganze Punktgrössen). Inzwischen ist auch die eine oder andere Veredelungsoption im Angebot und eine kurze Lieferzeit versteht sich von selbst. Darüber hinaus ist für den Kunden der Preis sofort ersichtlich, den er durch Abwandlung seiner Parameter so lange anpassen kann, bis er ins jeweilige Budget passt. Nun noch flugs die Daten hochgeladen und Daumen drücken, dass alles gut geht. Doch dazu später mehr.

Für die Druckerei selbst bietet die Online-Abwicklung natürlich ebenfalls erhebliche Vorteile: Der Kunde ist es gewohnt, auf diesem Bestellweg im Voraus zu bezahlen, was ein aufwendiges Mahnwesen obsolet macht. Die Maschinen sind aufgrund der Zusammenlegung von Druckaufträgen besser ausgelastet und das Mehr an Materialverbrauch führt zu einer besseren Verhandlungsposition gegenüber den Papier- und Materialzulieferern. Zudem lassen sich leichter neue Kunden über Landesgrenzen hinweg akquirieren. Ein Happy End für alle Beteiligten – oder?

Es klingt nach einem perfekten Geschäftsmodell, das Umsätze generiert und für zufriedene Kunden sorgt. Mit dem Druckhandwerk hat es aber in meinen Augen nicht viel gemein – eine tatsächlich individuelle Lösung und aufwendige Umsetzung eines eindrucksvollen Printobjekts ist auf dem Online-Weg schlichtweg (noch) nicht zu haben. Denn hierfür ist zum einen die fachkundige Kommunikation zwischen Auftraggeber und Drucker sowie zum anderen das ganze Füllhorn der drucktechnischen Möglichkeiten vonnöten. Beides kann ein Online-Shop – Stand heute – nicht bieten.

Ein weiterer Punkt liegt in der Perfektion: Wer viel Geld für ein Printobjekt ausgibt, wird sich die Mühe machen, bei Druckabnahme an der Maschine zu stehen. Die präzise Farbabstimmung, der optimale Farbauftrag – all das ist in einem System nicht vorgesehen, das auf Kosteneinsparung setzt. Wer in einem Printobjekt nicht einen beliebigen industriell hergestellten Gegenstand sieht, bei dem man schon mal aus der Norm ausbrechen darf, dem ist klar, dass das sensible Zusammenspiel von Papier, Farbe und Maschine ein durchaus aufwendiger Balanceakt ist, der im standardisierten Verfahren in der Kürze der Produktionszeit kaum vollzogen werden kann. Die Erfahrungswerte eines langjährigen Druckers, der hier und da nachjustiert und den Andruck im Fadenzähler aufs Kritischste begutachtet, werden zugunsten der schnellen, günstigen Produktion wegrationalisiert. IT-Fachmann statt Handwerker – Industrieprodukt statt Druckwerk.

Der fast schwerwiegendste Punkt ist für mich jedoch der fehlende Ansprechpartner, der vor allen Dingen dann geschätzt wird, wenn etwas schiefgeht. Reklamationen werden natürlich auch von Online-Anbietern bearbeitet – meist wird der Kunde hier aber nur in Form einer Gutschrift ruhig gestellt. Ein persönlicher Berater, der eine echte Lösung abseits vom Monetären aufzeigt und mir das Gefühl gibt, nicht nur eine Auftragsnummer, sondern ein geschätzter Kunde zu sein, ist im Callcenter eher selten zu finden. Zudem zeigt mir ein echter Geschäftspartner Optionen zu meinen Vorstellungen auf (nein, ein aufploppendes Fenster mit dem Hinweis, dass 1000 zusätzliche Exemplare quasi gar nichts kosten würden, ist nicht dasselbe!) und weist mich im Vorfeld auf mögliche Stolpersteine hin. Er gibt mir Hinweise, wenn ich mittels Papierwechsel bei einer Broschüre Porto sparen könnte und lässt mich von seinen Erfahrungswerten profitieren. Er handelt nicht nach dem Prinzip «wie bestellt, so geliefert», sondern nimmt sein Handwerk ernst und möchte mit mir das Optimum erreichen. Kurz: Hier lasse ich mir ein Gewand massschneidern und kaufe nicht Konfektionsgrösse 36 von der virtuellen Stange.



Fazit
Ob es nun tatsächlich sinnvoll ist, eine Online-Bestellmöglichkeit bereitzustellen, muss sicherlich jeder Betrieb für sich entscheiden. Zum Erfolg führt dieses zweite Standbein aber nur, wenn es den Ansprüchen an das Online-Geschäft gerecht wird: Die Druckerei wird zum Technologieunternehmen, das sich einen neuen Kompetenzbereich aufbauen muss. Statt Schwarzer Kunst heisst es perfekte IT. Und ich als Kunde habe immer die Wahl zwischen reiner Auftragserteilung oder echter Zusammenarbeit, beides hat durchaus seine Berechtigung. Günstig, schnell, gut. Nur zwei dieser Adjektive lassen sich bei einem Auftrag bekanntermassen gemeinsam realisieren – hier wie dort.

  • Autor Bettina Schulz
    Bettina Schulz ist freiberufliche Texterin und Journalistin in München. 18 Jahre lang leitete sie als Chefredakteurin das internationale Fachmagazin novum World of Graphic Design und initiierte in dieser Zeit auch die alle zwei Jahre stattfindende Creative Paper Conference in München. Zudem ist sie Jurymitglied verschiedener (internationaler) Designwettbewerbe wie beispielsweise dem Red Dot Communication Design, dem Design Preis München oder dem IIIDaward und hielt bereits zahlreiche Vorträge. Zu ihren Kunden zählen Verlage, Agenturen und Kreative sowie Unternehmen aus der Wirtschaft. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Bereichen Papier, Druck und Veredelung. www.bettina-schulz.de.
  • Rubrik Drucksachen-Webshops
  • Dossier: Publisher 4-2020
  • Thema Online-Druckerei, Kommentar, Handwerk

Kommentieren

28 − = 24

*Pflichtfelder

Ihre Persoenlichen Daten werden nicht veroeffentlicht oder weitergegeben.