Teil 2: E-Books mit freier Software: Calibre

An Programmen zum Betrachten, Herunterladen und Verwalten von E-Books herrscht kein Mangel. Die Open-Source-Software Calibre reiht sich hier ein, bietet aber viel mehr als die Konkurrenz und erweist sich als ein Sackmesser für alles, was den Umgang mit E-Books betrifft.

Anlässlich des Erscheinens der aktuellen Version 5.5 lohnt es sich, das populäre ­E-Book-Programm Calibre näher unter die Lupe zu nehmen. Das Projekt wurde vor 14 Jahren gestartet, um Texte für eines der ersten Lesegeräte von Sony in dessen pro­prietärem Format zu erzeugen. Im Laufe der Zeit wurden immer mehr Funktionen und eine grafische Benutzeroberfläche hinzugefügt, sodass es heute als Universalanwendung für elektronische Bücher gelten kann.


Allgegenwärtig
Die Beliebtheit von Calibre ist nicht zuletzt der plattformübergreifenden Verfügbarkeit geschuldet, denn das Programm steht für alle drei populären Desktop-Betriebssysteme zum kostenlosen Herunterladen bereit. Für Mobilgeräte gibt es zudem die App «Calibre Companion» für Android und iOS, die sich über die jeweiligen App-Stores in­stallieren lässt. Mit deren Hilfe kann man vom «grossen» Computer aus die E-Books auf dem «kleinen» verwalten.


Gewöhnungsbedürftig
Calibre besteht aus vier eng verzahnten Programmen, von denen nur drei für die meisten Anwender relevant sind. Das wichtigste ist das Hauptprogramm zum E-Book-Management, dessen Benutzeroberfläche nicht zuletzt wegen der standardmässig fehlenden Menüleiste anfangs etwas irritiert. Für die einzelnen Funktionen werden entweder Komponenten innerhalb des Hauptprogramms oder eine der selbständigen Anwendungen – Betrachter, Editor oder LRF-Betrachter – aufgerufen.


Universell
Selbst wenn man Calibre nur zum Lesen von digitalen Büchern verwenden möchte, ist das Programm eine gute Wahl, denn die Entwickler haben in langwieriger Arbeit Importfilter für viele existierende Formate entwickelt, darunter auch solche, die man nicht unbedingt mit E-Books assoziiert, wie PDF oder Dokumente aus Textverarbeitungsprogrammen in den Formaten DOC, DOCX und ODT. Comic-Fans dürften über die Unterstützung der einschlägigen Formate CBC, CBR und CBZ erfreut sein, und angesichts der Dominanz von Amazon lassen die Importfilter für Kindle-Dateien aufhorchen. Zudem kann man  Calibre mit Büchern im Microsoft-LIT-Format füttern. Calibre respektiert von Haus aus Kopierschutzmassnahmen von Anbietern, aber mithilfe eines externen Plug-ins lassen sich diese umgehen. Ob das legal ist, hängt davon ab, wo man wohnt.  Der Betrachter selbst wirkt auf den ersten Blick spartanisch: Die Kapitelnavigation erfolgt über eine Liste am linken Bildschirmrand, das Blättern wie auf einem Lesegerät über einen Pfeil am rechten Rand oder mit dem Mausrad. Klickt man jedoch mit der rechten Maustaste auf das angezeigte Dokument, öffnet sich der vielseitige Werkzeugkasten mit allerlei nützlichen Funktionen.


Konvertierer
Calibres Konvertierungsfunktionen sind von kaum zu überschätzendem Wert, denn mit deren Hilfe kann man erworbene E-Books in Formaten, die vom Anbieter längst aufgegeben wurden, wieder lesbar machen oder eine Datei, die in einem proprietären Format (ohne DRM) vorliegt, für das Lesen auf anderen Geräten bereitstellen. Trotz der beeindruckend langen Liste an unterstützten Formaten ist bei der Konvertierung jedoch Vorsicht geboten, denn auch hier gilt der alte Programmierspruch: «Garbage in – Garbage out»: Aus einer für den Druck gedachten PDF/X-Datei mit typografischen Feinjustierungen und ohne Struktur kann Calibre kein sinnvoll aufgebautes E-Book erzeugen, sodass in jedem Fall nachgearbeitet werden muss. Vor der Umwandlung von PDF-Dateien in ein E-Book-Format sollte man daher, wenn möglich, auf eine PDF/A-konforme Ausgabe achten. Calibre hilft zwar mit allerlei Werkzeugen wie der Heuristischen Verarbeitung oder der Strukturerkennung, aber um die manuelle Kontrolle und Korrektur des Ergebnisses kommt man nicht herum. Ähnliches gilt für Dateien aus Textverarbeitungsprogrammen.


Sachbearbeiter
E-Books kann man in Calibre gut bearbeiten, und zwar nicht nur den Inhalt, sondern auch die Metadaten. Für Letztere steht ein Editor bereit, dessen Funktionsumfang nichts zu wünschen übrig lässt. Möchte man hingegen den Inhalt einer Datei in einem der vielen unterstützten Formate bearbeiten, verlangt Calibre vorher die Umwandlung nach EPUB oder Amazons AZW3.
Der Editor erinnert vom Konzept her stark an Sigil (5-2020), ist aber übersichtlicher und moderner. Darüber hinaus bietet er etliche Zusatzfunktionen an, zu dessen wertvollsten wohl das automatische Reparieren von fehlerhaften XHTML-Dateien gehört.
Bei Comics ist ein XHTML-Editor freilich keine grosse Hilfe, aber die Umwandlung von auf diese Gattung spezialisierten Formaten nach EPUB erlaubt das Öffnen des ZIP-Containers und die Bearbeitung der darin gespeicherten Bilder mit einer darauf spezialisierten Software wie Krita (2-2018). Für die Konvertierung ist aber zu beachten, dass unter Comic-Eingabe die Option Umwandlung von Bildern zu schwarz-weiss deaktivieren aktiv ist – ansonsten erhält man Graustufendateien.

E-Books betrachten mit Calibre.


Bibliothekar
Das Hauptprogramm, die Bibliotheksverwaltung, dürfte das Herz eines jeden Bibliotheksbenutzers höher schlagen lassen, denn es funktioniert einerseits wie ein moderner digitaler Katalog (OPAC), der sich vom ­Anwender nach Belieben erweitern lässt, ­indem man beispielsweise die Verschlagwortung ausweiten kann. Andererseits legt Calibre für jedes mit dem Verwaltungsprogramm geöffnete E-Book eine Kopie in einer digitalen Bibliothek an. Das ist ungefähr so, als würde ein gedrucktes Buch ins Bibliotheksregal gestellt, nur dass hier die Vergabe einer Signatur entfällt. Hier ist aber Vorsicht geboten, denn standardmässig legt Calibre die Kopien im Nutzerverzeichnis ab. Da die Software als Datenbankmodul SQLite verwendet, das 264 Titel und 140 Terabyte an Daten unterstützt – mehr als der Bestand einer Universitätsbibliothek –, läuft man unter Umständen Gefahr, sich die Festplatte mit unerwünschten Kopien vollzustopfen.
Calibre ist nicht auf eine einzelne Bibliothek beschränkt, sondern es lassen sich auch zusätzliche auf verschiedenen Datenträgern und Netzwerkordnern anlegen, in etwa so, wie an Universitäten die Fachbereichsbibliotheken als separate Einheiten neben der UB existieren.
Über die Suchfunktionen eines OPACs ­hinaus kann man in Calibre auch gezielt nach weiteren Kriterien wie E-Book-Formaten oder Bewertungen suchen.

Calibre als Datenmanager.


Rechteverwalter
Calibre verfügt bereits seit längerer Zeit über eine Funktion zum Verwalten des ­Zugangs zu E-Books auf einem dedizierten Server. Das Programm lädt die einzelnen Dateien hoch und erlaubt es dem Lizenznehmer der Bücher, auf diese von allen Standpunkten und mit allen geeigneten Geräten zuzugreifen. Weiterhin ist es möglich, auch anderen Personen Zugang zum Server und der dort abgelegten Literatur zu geben, was nicht nur für Privatpersonen, sondern auch für öffentliche Bibliotheken und Unternehmen von Interesse sein dürfte. Die Rechteverwaltung in Calibre deckt hier viele Anwendungsszenarien auch im professionellen Bereich ab.

Die Umwandlungs- komponente von Calibre.


Lieferservice
Zum Bezug von E-Books ist man mit Calibre nicht unbedingt auf externe Programme angewiesen, denn die Software enthält bereits eine vordefinierte Liste mit populären kommerziellen und nichtkommerziellen Anbietern unter Bücher beziehen > eBook-Händler. Ein Klick auf einen Eintrag öffnet ein Browser-Modul, in dem man auf der Website eines Anbieters nach den gewünschten Titeln stöbern kann. Leider ist es derzeit für Endanwender noch nicht möglich, diese Liste zu erweitern.

Auch der Quellcode lässt sich mit Calibre editieren.


Fazit
Im Gegensatz zum Sigil-Programmpaket mit seinem bewusst eingeschränkten Funktionsumfang ist die Calibre-Suite in Sachen E-Books eine Rundumlösung für Privat­anwender und Profis. Die Lernkurve ist trotz der eigenwilligen Benutzeroberfläche nicht sehr steil, und die Calibre-Community hilft bei Fragen und Problemen schnell aus. calibre-ebook.com
mobileread.com

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