Briefe sind effizienter als E-Mails

Es braucht kein Papier, keinen Drucker und man muss nicht mehr aus dem Haus, um einen Brief per Post zu verschicken. Wir haben mit Matthias Gallin von der Firma Koelliker ­Büroautomation über seine virtuelle Versandlösung gesprochen und darüber, wie das Unternehmen es geschafft hat, sich vom reinen Büromaschinenhändler hin zu einem Anbieter von digitalen Serviceleistungen zu entwickeln.

Matthias Gallin bietet mit MyKOELLIKER eine Lösung um online Briefe zu verschicken. 


Matthias Gallin, dein Unternehmen bietet seit Kurzem neben der Hardware auch eine virtuelle Lösung für Direct Mailing und Postversand für Kleinstauflagen via der Internetplattform MyKOELLIKER an. Wie kam es dazu? 

Matthias Gallin: Unsere Firma ist ein klassischer Handelsbetrieb für Büromaschinen gewesen und hat sich immer befasst mit Maschinen, die mit Papier zu tun haben. Das ist auch heute noch so. Unsere Kunden finden bei uns beispielsweise Kuvertier-,  Frankier- und Print-Finishing-Maschinen. Dennoch hat sich das Konzept dahinter verändert: Waren früher die Maschinen zentral und die Menschen arbeiteten darum herum, ist es heute umgekehrt. Der Anwender steht im Zentrum und rundherum muss er auf ein Angebot an Lösungen zugreifen können. Anfang der 1990er-Jahre kam der erste Kunde auf uns zu, der sagte: «Ich möchte keine Kuvertiermaschine bei euch kaufen. Ich möchte, dass ihr das Kuvertieren für uns übernehmt.» Wir fanden die Idee schlüssig und haben damit begonnen, Outsourcinglösungen im Bereich Briefversand anzubieten. Die Plattform MyKOELLIKER ist eigentlich nichts anderes als eine Weiterentwicklung dieser Aktivitäten. Das klassische Outsourcing ist jedoch relativ kompliziert und daher in der Regel eher für Kunden mit grossen Auftragsvolumen rentabel. Um es auch für Kunden mit kleineren Projekten interessant zu machen, mussten wir die Prozesse vereinfachen und standardisieren. So sind wir dazu gekommen, unser altes Geschäft zu transformieren und die Plattform MyKOELLIKER zu entwickeln. Darin muss uns der Kunde lediglich ein PDF übermitteln, wir übernehmen dann für ihn den Versand der Briefe.


Spielte auch die Digitalisierung ein Rolle, MyKOELLIKER zu entwickeln? 
Ein Unternehmen zu führen, ist eine Reise, die nie abgeschlossen ist. Mit der Digitalisierung nimmt die Geschwindigkeit zu, obwohl uns der digitale Wandel wie die Einführung des Internets lange nicht betroffen hatte. Das Outsourcing entwickelte sich langsam und hatte nicht unbedingt mit dem Internet und der Digitalisierung zu tun. Es kam eher durch den Management-Trend zustande, «man sourct out». In unserem Geschäft zog die Digitalisierung erst in den letzten drei, vier Jahren an. Dabei spielt das Kundenbedürfnis eine grosse Rolle und dennoch sind einige noch nicht so weit. Wir müssen fast sagen: «Probiere es doch einmal so.» Denn durch die Digitalisierung des Briefversands sinken letztendlich die Prozesskosten und das zeigen wir unseren Kunden auf. Voraussetzung für uns ist allerdings, dass wir mit den richtigen Tools arbeiten, sonst ist man wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig. 


Dann verdienst du mit MyKOELLIKER besser als damit, Maschinen zu verkaufen? 
Mit MyKOELLIKER verdienen wir nicht nur an der Maschine, sondern auch an den anderen Schritten im Prozess: Wir verdienen ein bisschen an der Maschine, weil der Kunde sie «scheibchenweise mietet». Ebenso verdienen wir ein bisschen am Papier, ein bisschen am Kuvert und ein bisschen am gesamten Prozessablauf. Die Gewinne sind in jedem Schritt zwar eher gering, aber am Schluss geht es auf. Es verteilt sich halt auf mehr Zeit, weil der Kunde keine Maschine auf Vorrat kauft, sondern nur zahlt, wenn er einen Auftrag zum Briefversand erteilt. Wir konnten uns damit aber auch ein neues Kundensegment erschliessen.


Warum ist der Druck von zwei Briefen für den Kunden überhaupt interessant? 
Weil wir dem Kunden alle Prozessschritte wie z.B. den Druck, das Verpacken des Briefs und den Gang zur Post abnehmen. Bei nur zwei Briefen pro Tag fallen diese Kosten enorm ins Gewicht. Bei uns hingegen sind sie automatisiert und daher vernachlässigbar, denn wir versenden für unsere Kunden zwischen dreissig und vierzig Millionen Prints im Jahr. Dabei sind wir eigentlich nur ein kleiner Provider für solche Outsourcinglösungen. 

Man versendet also einzelne Briefe über deine Lösung. Das scheint mir wie eine ­Brücke zur E-Mail.
Richtig, aber die Erfahrung zeigt, dass Rechnungen, die per E-Mail kommen, weniger schnell gezahlt werden als Rechnungen, die per Post eintreffen. In Dänemark gibt es so gut wie keine Briefpost mehr. Dort hat man sich von Staats wegen auf die Fahne geschrieben, Papierbriefe abzuschaffen. Im ersten Moment ist das vielleicht eine gute Idee, man spart Papier und Briefmarken. Auf der anderen Seite ist es aufwendig, jede einzelne Rechnung manuell zu verschicken. Man braucht ein System, um da effizient zu sein. Und auch auf der Empfängerseite gibt es Nachteile: Wir kennen das alle. Es kommt eine E-Mail mit einer PDF-Rechnung herein und man denkt «Ja genau, die sollte ich bezahlen.» Doch dann sinkt die E-Mail im Postfach nach unten. Es folgt ein Mahnprozess, der richtig teuer ist. Das ist ein wichtiger Grund, warum es nicht immer sicherer und billiger ist, Rechnungen oder Dokumente per E-Mail zu verschicken. Der zweite Punkt ist, dass je nach Empfänger das Verhalten, eine E-Mail bzw. einen Brief zu lesen, anders ist. Die Mehrheit der Menschen hat immer noch auf Papier lesen gelernt.  Hinzu kommt die physische, haptische Dimension des Dokuments. Darum glaube ich, dass je nach Empfänger, den man anspricht, ein Brief oder eine Rechnung in Briefform wesentlich effizienter und nutzenstiftender sein kann als eine E-Mail. Das muss aber der Kunde, also der Versender selbst entscheiden. 


Hat der Digitalisierungsschub während der Pandemie eure Auftragslage ­verbessert? 
Es ist eindeutig so, dass die Aufgabe «Wie verschicke ich Briefe, ohne auf einen Drucker und eine Frankiermaschine zurückgreifen zu können und ohne selbst im Büro zu sein?» etwas mehr Aufwand verlangt. Homeoffice ist eine Übergangsform, die durch Covid-19 angetrieben wurde. Aber die Zukunft ist meiner Meinung nach, dass die Menschen nicht mehr zwingend immer im Büro, aber auch nicht zwingend zu Hause sind. Vielleicht arbeiten sie in Collaboration Spaces oder etwas ähnlichem. Nur schon, um die Pendelei zu vermeiden. Wenn es überall solche Büros gibt, wo ich einfach ein Pult nutzen kann und nicht eine Dreiviertelstunde Anfahrtsweg habe, werde ich einen Teil der Zeit im gleichen Ort arbeiten, in dem ich wohne. Ich werde vielleicht zwei Tage im Büro sein, weil es immer noch sinnvoll ist, nicht nur virtuellen Kontakt mit Menschen zu haben. Dann stellt sich die Frage: «Welche Infrastruktur steht mir zur Verfügung?» Auf alle Lösungen im virtuellen Office zugreifen zu können, wird dann immer interessanter. Covid-19 hat unserer Plattform natürlich geholfen, da ändert sich aktuell die Einstellung. 


Einigen deiner Kunden, nämlich denen, die eure Maschinen kaufen, um selbst Mailings anzubieten, machst du nun aber mit dem Aufbau des neuen Geschäftszweigs Konkurrenz. Beisst sich da die Katze nicht selbst in den Schwanz? 
Auf den ersten Blick mag das so aussehen. Aber wir verstehen die Plattform insbesondere auch als zusätzliches Angebot an die Kunden, die bei uns Maschinen kaufen. Auch sie können die Plattform nutzen, um darüber online ihre Mailing-Dienstleistungen anzubieten. Derzeit arbeiten wir bereits mit einer Druckerei zusammen, die ihren Briefversand-Service über unsere Plattform anbietet. Und wir wollen weitere hinzugewinnen. Koelliker selbst ist auf der Plattform nur ein möglicher, und im Vergleich zu anderen Mailing-Anbietern kleiner Produzent, der damit nahe an den Kunden ist, für die es sich bisher nicht lohnte den Briefversand outzusourcen.   


Ihr bietet euren Kunden digitale ­Dienstleistungen. Wie hat die digitale Transformation bei euch ausgesehen und was war dazu notwendig? 
Zuerst haben wir geschaut, wie wir das eigene Produkt digitalisieren können. So ist die Plattformidee entstanden, die ihren Ursprung in den Serienbriefen hatte. Der zweite Aspekt war die Frage, wie wir unsere eigenen Prozesse managen wollen. Wir haben uns gefragt, welches Enterprise-Resource-Planning (ERP) zu uns passt, und ob wir dieses wirklich selbst hosten müssen? Wir sagten uns, dass wir zukünftig jede benötigte Software nur noch als Software-as-a-Service nutzen, was dazu führt, dass wir keine Programme mehr kaufen. Wir sind froh, dass wir das neue ERP (SAP by Design) in nur vier Monaten eingeführt haben. So etwas kann schnell sechs oder zwölf Monate dauern, gerade bei komplexen Strukturen. Dasselbe machten wir mit dem CRM (HubSpot). Aktuell arbeiten wir daran, unsere Server-Infrastruktur outzusourcen. Wir benötigen relativ viele Server für unsere Produktion, das kommt ­alles in eine private Cloud. So müssen wir uns nicht mehr selbst darum kümmern, ­Betriebssysteme, Updates und Patches zu betreuen. 


Die Veränderung betrifft oftmals auch die Belegschaft. Wie gehst du damit um? 
Mit den veränderten Arbeitsprozessen hat sich auch unsere Unternehmenskultur massiv verändert. Früher hatte man eine Software, die abbildete, wie wir gearbeitet haben. Heute muss man sich umstellen und so arbeiten, wie es die Software verlangt. Das ist ein riesen Wandel und eine grosse Herausforderung. Wir haben das Maschinenbusiness siebzig Jahre lang betrieben, das Plattformgeschäft dagegen ist für uns wie ein Start-Up. Da prallen verschiedene Kulturen aufeinander. Der Start-Up-Bereich lebt vom Experimentieren, man muss flexibel und schnell sein, sich auf immer neue Anforderungen einstellen können. Das ist eine laufende Weiterentwicklung, die nicht Jedermanns Sache ist. Rückblickend: Vielleicht  ein Drittel der Menschen wollen solche grundlegenden Veränderungen nicht oder können damit nicht umgehen. Das Abschiednehmen, Loslassen ist dann als Familie nicht einfach – aber schlussendlich für beide Seiten richtig.


Welchen Rat würdst du einem ­Unternehmer geben, der am Anfang eines ähnlichen Veränderungsprozesses steht? 
Ganz wichtig war für mich, mit unserem Präsidenten des Verwaltungsrates – dem Gründer von Parato, einem Untermehmen, dass KMU bei der Digitalisierung begleitet – einen erfahrenen «Reiseführer» auf diesem Weg zu haben. Ich glaube es braucht jemanden, der sich in den Themen wirklich auskennt und auch hilft, die Orientierung zu halten. Und es ist auch nicht zufällig, dass wir eng befreundet sind. Bei den einzelnen Projekten war unser Ansatz, mit  hoher Geschwindigkeit vorzugehen, richtig. Denn wenn man zu viel Luft, zu viel Zeit zum Überlegen lässt, dann kommen viel zu viele Widerstände auf, man fängt an zu zweifeln und verliert die Orientierung. Wenn man weiss, dass man das ERP ablösen muss, gibt es keinen Grund, dass so ein Projekt drei Jahre dauert. In der Produkteentwicklung ist Einfachheit König. Neue Lösungen funktionieren nur dann, wenn die Applikationen unkompliziert sind. Hier kann man sicher von Apple & Co. lernen: Ist es einfach und intuitiv, funktioniert es. Und so ist die User Experience der Treiber der Innovation. 

Herzlichen Dank für das Gespräch! 

Koelliker 
Die Koelliker Büroautomation AG in Wallisellen wird von Matthias ­Gallin, Unternehmer in 5. Generation geführt. Mit 50 Mitarbeitern bietet die Firma Frankier-, Kuvertier- und Print-Finishing-Maschinen an. Dazu entwickelt Koelliker Lösungen wie den Online-Briefversand mit ­MyKOELLIKER. 
mykoelliker.pringio.com 


  • Autor Laurent Gachnang
    Laurent Gachnang ist seit über 15 Jahren in der Medien- und Unterhaltungsindustrie tätig. Er gilt als Experte für digitales Publizieren und Online Marketing. Zuletzt arbeitete er bei einem Medienunternehmen als Marketingverantwortlicher und war massgeblich an der Lancierung eines Change-Prozesses beteiligt. Als Gastdozent ist er an diversen Fachhochschulen sowie ehrenamtlich als Mentor bei der Startup Academy Basel tätig.
  • Rubrik Print
  • Dossier: Publisher 6-2020
  • Thema E-Mails, Interview, Briefe, MyKoelliker, Koelliker

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