Mikrotypo mit Glyphen im Griff!
InDesign stellt gezielt Funktionen und Einstellungen zur Verfügung, mit denen gepflegte Mikrotypografie ohne grossen Zusatzaufwand gelingt. Zudem bietet das Programm viel Komfort in der Anwendung von OpenType-Fonts mit tausenden Zeichen.
Das Thema «Glyphen und Sonderzeichen» hat sehr viel mit Mikrotypografie, aber auch mit Fremdsprachensatz und ländertypischer Schreibweise vieler Zeichen zu tun. Also haben wir alle damit zu tun, nicht nur die Typo-Freaks! Zum Glück bietet InDesign so viel Komfort in diesem Bereich, dass ein «schludriger» Umgang damit nicht entschuldigt werden darf!
Wieso heissen die Glyphen «Glyphen»?
Man könnte das Glyphen-Bedienfeld doch einfach «Zeichenpalette» nennen, das wäre nicht so abgehoben. Wikipedia liefert einen ganzen Exkurs über die Bedeutung des Begriffs «Glyphe». Die Kurzfassung: Eine Glyphe bedeutet die grafische Darstellung eines Zeichens. Es gibt Zeichen, von denen mehrere Glyphenvarianten vorliegen: Beispielsweise in Schreibschriften kann unter mehreren Varianten von Grossbuchstaben ausgewählt werden. Eine ffi-Ligatur ist eine Glyphe, welche aus drei Zeichen besteht. Der Begriff «Glyphe» ist also umfassender als der Ausdruck «Zeichen».
65 536 Zeichen pro Schriftstil möglich
So einfach wie an der Schultafel (siehe Abbildung) ist es schon lange nicht mehr. Das deutsche Alphabet hat zwar nur 26 Buchstaben; das ist die Basis, aber diese reicht nirgends hin. Gross- und Kleinbuchstaben, Satzzeichen mit vielen Varianten, alle möglichen Umlaute (wenn möglich mindestens für alle europäischen Sprachen), typografische Leerzeichen, unterschiedliche Ziffern, hoch- oder tiefgestellte Zeichen, Brüche und vieles mehr lassen die Zahl emporschnellen. Aus diesem Grund sind aktuelle OpenType-Pro-Fonts als 16-Bit-Zeichensätze aufgebaut. Wer sich mit binärem Rechnen auskennt, weiss, dass damit bis 65 536 Plätze adressiert werden können. Das ist für einen Font zwar Luxus und wird bei weitem nicht ausgeschöpft. Die bisherigen 256 Zeichen älterer 8-Bit-Fonts reichen aber definitiv nicht aus, um die oben genannten Anforderungen zu erfüllen. Ein Grund mehr, konsequent auf aktuelle Fonttechnologie umzusteigen!
Das Glyphen-Bedienfeld von InDesign
Wählen Sie Fenster > Schrift und Tabellen > Glyphen, wenn Sie bei der Texterfassung ein Zeichen benötigen, welches nicht auf der Tastatur liegt (oder von dem Sie nicht wissen, wo es dort zu finden wäre). Mit Einblenden: Gesamte Schriftart sehen Sie sämtliche Zeichen, welche in der aktuell verwendeten Schrift zur Verfügung stehen (dazu lohnt es sich, das Fenster deutlich grösser aufzuziehen). Aufgrund der Menge an Zeichen kann das ziemlich unübersichtlich daherkommen! Wählen Sie deshalb statt Gesamte Schriftart eine der vielen Untergruppen, wie Zahlen, mathematische Symbole oder Interpunktionen. Wenn Sie ein Zeichen gefunden haben: Doppelklick darauf, um es in den Text einzufügen. Gleichzeitig erscheint das Zeichen in der Leiste Zuletzt verwendete: oben im Fenster.
Benutzerdefinierte Glyphensätze
Trotz der Untergruppen für die Zeichenauswahl bleibt das Auffinden einer bestimmten Glyphe definitiv eine Sucherei. Passen Sie zudem mit dem Fenster Zuletzt verwendete: auf: Dort ist nicht nur das Zeichen gespeichert, sondern auch dessen Stil. Wenn Sie zum Beispiel gestern ein Å im Font Equip Bold verwendet haben und heute in einer Arbeit mit der Frutiger das gleiche Zeichen brauchen, wird es von dort unweigerlich als Equip eingesetzt.
Abhilfe schafft die Funktion Neuer Glyphensatz im Bedienfeldmenu des Glyphenfensters. Legen Sie dort einen neuen Satz an und benennen Sie diesen. Führen Sie nun einen Rechtsklick auf die gewünschte Glyphe aus und wählen Sie Dem Glyphensatz hinzufügen > Ihr Satz. Unter Einblenden: im Hauptfenster steht Ihr Glyphensatz oben in der Liste bereit. Wenn Sie Ihre oft verwendeten Zeichen nach und nach in einen solchen Satz aufnehmen, hat die Sucherei ein Ende!
Für unterschiedliche Aufträge können Sie gut mehrere Benutzer-Glyphensätze erstellen. Diese lassen sich praktisch in einer Ecke des Bildschirms anordnen (Optionen ausblenden, dann werden solche Fenster noch ein bisschen schlanker…). Legen Sie einen Arbeitsbereich inklusive Benutzer-Glyphenfenster an, um diese jeweils wiederzufinden!
«Globalisierte» Zeichensätze
Es ist dem Schrifthersteller überlassen, was er zusätzlich zu den erwähnten Glyphen in einen OpenType-Pro-Font aufnimmt. Es ist häufig, dass – nebst dem lateinischen Alphabet mit all den Akzenten für jenste Sprachen – auch ein kompletter kyrillischer und griechischer Zeichensatz drin ist. Für all jene, die mehrsprachige Publikationen für den Tourismus oder die Exportindustrie erstellen, ist das eine grosse Hilfe. Dies öffnet buchstäblich weitere Türen, da InDesign selber mittlerweilen auch mit diesen Schriftsystemen umgehen kann.
Die passenden Ziffern verwenden
Das Glyphen-Bedienfeld ist also sehr nützlich. Dennoch gibt es Situationen, bei denen die korrekten Zeichen anderweitig definiert werden. Dazu ist die Rubrik OpenType-Funktionen bei der Erstellung von Absatzformaten sehr dienlich. Sie haben hier folgende Auswahl an Ziffernreihen:
Sprachtypische Einstellungen
Wie viele Typen von Anführungs- und Schlusszeichen gibt es im europäischen Sprachraum? Ich weiss nur, dass es unterschiedliche Zeichen und vor allem abweichende Anwendungsformen davon gibt. Auch hier hilft InDesign: Erstellen Sie die Absatzformate sprachbezogen und wählen Sie unter Erweiterte Zeichenformate die zutreffende Sprache. Zusammen mit der korrekten sprachbezogenen Definition der Anführungs- und Schlusszeichen in den Voreinstellungen ergeben sich (fast) automatisch die richtigen Zeichen. Sie geben Shift-2 (Gänsefüsschen) zur Erfassung von Anführungs- und Schlusszeichen ein – InDesign setzt die korrekten Zeichen ein. Nicht? Dann beachten Sie, dass in den Voreinstellungen unter Eingabe das Häkchen bei Typografische Anführungszeichen gesetzt ist.
Technik & Know-how!
Sie sehen – in InDesign fehlt es an nichts, um die Mikrotypo auf einem professionellen Level anzuwenden. Falls Sie das Know-how dazu noch nicht ganz auf Sicher haben, können Sie mit dem im Kasten erwähnten Buch einen grossen Schritt weiter kommen!
Weitere Infos zum Thema im Screencast von Beat Kipfer.
Beat Kipfer PubliCollege, 3400 Burgdorf;
Ausbilder FA. Kurse, Lehrgänge, Schulung und Support für Print und WebPublishing; Kurs- und Lehrgangsleiter an mehreren Schulen.
beat.kipfer@publicollege.ch
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Autor
Beat Kipfer
Ausbilder FA, PubliCollege GmbH, 3400 Burgdorf.
Kurse, Lehrgänge, Firmenschulungen und Support für Print und WebPublishing; Fachlehrer an der Schule für Gestaltung Aargau, Kursleiter an mehreren Schulen in der Deutschschweiz. - Rubrik Publishing
- Dossier: Publisher 2-2021
- Thema InDesign
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