Über Fondue, Fonts und Futuristisches

Die Schweizer Typografie-Koryphäe Bruno Maag erstellt, verfeinert und entwickelt in seiner eigenen Firma, der Dalton Maag in London, Schriften für Kunden rund um den Erdball. Im PUBLISHER-Interview gibt Maag einen Einblick in seine Zukunftspläne, seine Beziehung zur Schweiz und zu kommenden Bewegungen in der Typografie.

Bruno Maag ist gebürtiger Zürcher, hat an der Basler Schule für Gestaltung Visuelle Kommunikation studiert und 1991 in London die Dalton Maag Ltd. gegründet. Die Schriftdesignfirma aus England hat bereits für zahlreiche namhafte Kunden, darunter Netflix, HP oder Nokia, neue Schriften designt oder weiterentwickelt.

Herr Maag, Sie leben nun seit über 30 Jahren ausserhalb der Schweiz, wobei Sie die meiste Zeit davon in London zugebracht haben. Wie ist Ihr Verhältnis zur Schweiz?
Ich muss ehrlich sagen, nach über 30 Jahren im Ausland ist die Verbindung zur Schweiz nicht mehr so stark. Mit Ausnahme der letzten ein bis zwei Jahre, die einen Besuch aufgrund der Corona-Situation praktisch verunmöglichten, bin ich aber schon darum besorgt, zwei bis drei Mal jährlich eine Visite in der Schweiz zu machen – alleine weil ich dort auch Freunde und Eltern habe. Zusätzlich ist es in den vergangenen Jahren auch oft vorgekommen, dass ich geschäftlich in der Schweiz gewesen bin. Hinzu kommt, dass ich in den letzten Jahren auch einige Tage im Jahr an der ECAL in Lausanne Schriftdesign für den Masters-Kurs unterrichtet habe. Es gab also immer wieder Gelegenheit, in die Schweiz zurückzukommen.

Vermissen Sie die Alpenrepublik manchmal?
Es gibt natürlich einige wenige kleine Dinge, die einem fehlen, wenn man nicht mehr in der Schweiz ist. Gerade kulinarisch: Jetzt im Winter wäre ein gutes Fondue nicht verkehrt – oder mal wieder ein Cervelat für einen Wurstsalat (lacht). Es gibt in London aber ein Schweizer Restaurant, dass ein gutes Moitié-Moitié zaubert – für das Fondue ist also auch in England gesorgt. Im Grossen und Ganzen lässt sich aber schon sagen, dass ich mich an die englische Lebensweise gewöhnt habe.

Sie haben viele Jahre im Süd-Londoner Stadtteil Brixton gelebt und haben dort auch noch ein Büro. Brixton geniesst national wie international nicht den besten Ruf. Wie haben Sie diesen Ort wahrgenommen?
Bereits als ich 1989 nach London gekommen bin, stand dieser Stadtteil im krassen Kontrast zu Zürich – im Vergleich zur geordneten Schweiz war Brixton das totale Chaos. Das hat sich in der Wahrnehmung vieler leider auch noch nicht verändert. Für mich persönlich kann ich ehrlich behaupten, dass es mir Brixton total angetan hat: An diesem Ort sind viele Künstler beheimatet, es treffen so viele Kulturen aufeinander und die daraus entstehende Lebensenergie ist berauschend. Mir hat auch immer gefallen, dass Brixton eine gewisse Unberechenbarkeit hat.

Seit rund zwei Jahren lebe ich nun in Nord-London. Für mich war das der passende Schritt in ein neues Lebenskapitel, da ich aus Dalton Maag im kommenden Frühjahr aussteigen werde. Ich finde Brixton aber nach wie vor toll und wir haben dort auch immer noch ein Büro.

Einblick in die Kreativarbeit bei Dalton Maag

Dieses aus Brixton bekannte Multikulturelle bedeutet ja auch das Aufeinanderprallen verschiedener Ideen. Dieser Austausch ist für Ihre kreative Arbeit bei Dalton Maag sicherlich förderlich …
Das ist absolut so – dass bei Dalton Maag so viele verschiedene Kulturen, Gedanken und Denkweisen zusammen kommen, ist wohl auch eines unser Erfolgsgeheimnisse. Wir haben bei uns rund 19 Nationalitäten und etwa 13 verschiedene Sprachen. Das passt für unsere Arbeit auch insofern, weil wir ja ohnehin eine internationale Kundschaft bedienen, die nicht nur im lateinischen, griechischen oder kyrillischen Sprachbereich daheim ist.

Wir bearbeiten auch viele Projekte aus dem arabischen oder chinesischen Raum – da ist es gerade nochmal wichtig, dass wir Mitarbeiter haben, die diese Bereiche und deren Schriftsysteme eingehend kennen und lesen können.

Bemerken Sie bei Ihren Projekten, je nach Herkunft des Kunden, hinsichtlich der Gepflogenheiten oder Schrift-Anforderungen eigentlich fundamentale Unterschiede?
Man muss das Vorhaben vor allem hinsichtlich Planung unterschiedlich angehen. Bei einem Projekt, das beispielsweise nur im lateinischen Sprachbereich zur Anwendung kommt, können wir prima aus bisherigen ­Erfahrungen schöpfen und uns voll und ganz dem Kunden zuwenden, um für ihn die beste gestalterische und funktionelle ­Lösung zu finden.

Ein internationales Projekt, das mehrere Schriftsysteme – beispielsweise das arabische oder chinesische – involviert, muss man konzeptionell anders angehen: Die ersten Entwürfe werden wohl im lateinischen System gehalten, um Proportionen, Strukturen und gewisse Designdetails zu etablieren, der Fokus liegt dann aber relativ schnell auch darauf, ob und wie diese Latein-basierten Schriften im chinesischen oder arabischen System abgebildet werden können. Dieser «Harmonisierungs»-Gedanke ist deshalb so wichtig, weil nicht alle Schriften gleich konzeptioniert sind: Der arabische Aufbau ist wie viele asiatische Systeme zum Beispiel höher als das lateinische, weil im Orientalischen auch die Akzente ober- und unterhalb der Buchstaben berücksichtigt werden müssen.

Konsequenterweise muss die lateinische Gliederung der arabischen angepasst werden oder ein gestalterischer Kompromiss eingegangen werden. Gleiches gilt beim chinesischen System, wo die verwendeten Zeichen – anders als im Latein – eigentlich quadratisch sind und rund 95 % eines Geviert einnehmen. Schlussendlich ist aber vor allem wichtig, dass die Schrift auf jeder Plattform und jeder Ebene einfach funktioniert.

Sie haben bereits für renommierte Kunden wie HP, Nokia oder Amazon Schriften ­designt oder entwickelt. Wie gehen Sie zu Beginn konkret vor, wenn ein Interessent auf Sie zukommt und so seine «Unternehmensidentität» verfeinern lassen möchte?
Ganz zu Anfang versuchen wir mithilfe von Workshops, gemeinsam mit dem Kunden ein Verständnis für die «Emotionalität» resp. der Wahrnehmung der Schrift sowie eine gewisse Nomenklatur zu etablieren – so stellen wir sicher, dass alle Teilnehmer vom Gleichen reden. Das erlaubt uns dann auch, innerhalb des an diesen Seminaren definierten Rahmens erste Entwürfe oder Vorschläge für eine neue Schrift zu kreieren. Oftmals stellt sich dabei heraus, dass die Schrift, die der Kunde braucht, um sein Zielpublikum zu erreichen, sich von derjenigen, die der Kunde wünscht, unterscheidet.

Wichtig ist auch, die Empfängerschaft des Fonts klar zu kennen, um den technologischen Anforderungen Rechnung zu tragen: Wenn ein Unternehmen hauptsächlich in der westlichen Welt operiert, ist die Chance gross, dass seine Kundschaft die Schrift auf den neuesten mobilen Endgeräten wahrnimmt. Anders hingegen ist die Situation bei einem Konzern, der z. B. mehr auf dem afrikanischen Markt agiert, wo die neuesten Technologien noch nicht weit verbreitet sind.

Sobald diese wichtigsten Parameter definiert sind, folgen erste Designideen anhand eines limitierten, ca. zehn Zeichen umfassenden Schnitts, der einen «Grundausdruck» der Schrift etablieren soll.

Lässt sich allgemeingültig sagen, wie viel Zeit das Design einer neuen Schrift – vom ersten Gespräch bis zum Roll-out – in ­Anspruch nimmt?
Das ist ganz unterschiedlich, je nach Umfang des Schriftsystems. Bei einem lateinischen Zeichensatz, der in Ost- und Westeuropa verwendet wird, bewegen wir uns in der Grössenordnung von vier Monaten für eine Familie aus leicht, regular, fett und passenden Kursiven bestehend. Falls da noch weitere Schriftsysteme dazu kommen, beispielsweise Arabisch oder Hindi, dauert das entsprechend länger, ca. sechs bis acht Monate. Wenn ein Projekt zusätzlich einen chinesischen Zeichensatz enthalten soll, reden wir von rund einem bis eineinhalb Jahren. Natürlich sind an solchen Projekten mehrere Gestalter involviert, damit wir parallel arbeiten können.

Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken: Gibt es ein Projekt, dass heraussticht oder auf das Sie extrem stolz sind? Sie hatten ja beispielsweise mit Nokia zusammengearbeitet und da auch eine Schrift auf Klingonisch entwickelt …
Die Zusammenarbeit mit Nokia war auf jeden Fall einer der Höhepunkte meiner Karriere, weil es auch in der Dimension eine einmalige Gelegenheit war: Inklusive Klingon haben wir damals 19 verschiedene Schriftsysteme entwickelt – mir sind während ­dieser Kooperation einige graue Haare gewachsen (lacht).

Damals hatten wir noch ein relativ kleines Team, etwa acht oder neun Mitarbeiter, und trotzdem den Mut gehabt, die Herausforderung in diesem Ausmass überhaupt anzunehmen – und nebenbei natürlich das Glück, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein.

Darüber hinaus war Nokia aber auch einfach ein sensationeller und dabei fordernder Kunde.

Mit Blick auf die Zukunft: Was glauben Sie, was kommt auf die Typografie-Szene zu? Sie haben bei Dalton Maag unlängst eine Schrift veröffentlicht, die für die E-Sports-Szene gedacht ist …
Genau, die dynamische und variable «Shader»-Schrift. Die haben wir einerseits konzipiert, um zu zeigen, dass wir breit aufgestellt sind – und beileibe nicht nur Fonts für grosse, internationale Konzerne fertigen. Andererseits wollten wir aber auch demonstrieren, was mit neuen Schrift-Technologien im Bereich Animation möglich ist. Diese «Variable Fonts», also dynamische und animierte Typografie, hat sicherlich Zukunft. Darüber hinaus wird auch «Virtual Reality» oder «Mixed Reality» zunehmend ein Thema werden respektive muss die Typografie auch auf diesen Plattformen funktionieren. Ausserdem glaube ich, dass Schrift vermehrt ein Teil der «User Experience» werden wird und dementsprechend auch in diesem Bereich noch viel kommen wird.

Da Sie im Frühjahr des kommenden Jahres aus der Dalton Maag aussteigen werden: Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Ich habe mich in den letzten acht Jahren sehr stark mit der Fragestellung rund um die «Accessibility» von Typografie, sei es funktionaler, technischer oder emotionaler Natur, auseinandergesetzt. Das Thema «Wie lese ich eigentlich?» respektive die Leseprozesse, die im Gehirn stattfinden – das fasziniert mich wirklich.

Mit dem Wissen, das ich mir zu diesem Bereich in den letzten Jahren angeeignet habe, hat sich auch die Art und Weise, wie wir bei Dalton Maag Schriften gestalten, verändert: Weil ich die Hintergründe, die Art und Weise der Informationsverarbeitung im Gehirn kenne, konnten wir die Typefaces bei Dalton Maag beispielsweise lesbarer gestalten.

Auch beim Thema Legasthenie geistern noch so viele Unwahrheiten und Mythen herum: Heutzutage ist man sich ziemlich sicher, das Legasthenie relativ wenig mit der Lesefähigkeit, sondern eher mit der Verarbeitung von Ton zu tun hat.

Dieser ganze Themenstrauss begeistert mich ungemein und ich möchte in den kommenden Jahren noch gerne tiefer in dieses Thema eintauchen.

Vielen Dank für das Gespräch! 

Talk mit Bruno Maag über Legasthenie-Mythen

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