«Ich fühle mich wunderbar, auch wenn ich noch eine Menge zu lernen habe.»

Es waren grosse Fussstapfen, in die Michel Mayerle am 1. September 2021 getreten ist. Nach der ordentlichen Pensionierung des langjährigen Stellen­inhabers René Theiler übernahm Michel Mayerle die Stelle als «Leiter Zukunftsprojekte Medien» beim Verband der Schweizer Druckindustrie VSD und publishingNETWORK. Wie sieht er die Zukunft der Ausbildung, welche Chancen gibt es für die Branche und was hat ihm René Theiler mit auf den Weg gegeben? Wir haben mit Michel Mayerle anlässlich seiner ersten 100 Tage im Amt gesprochen.

Seit 100 Tagen bist du im Amt als «Leiter Zukunftsprojekte Medien» beim VSD. Wie fühlst du dich in der neuen Rolle?
Unglaublich, es sind in der Tat bereits 100 Tage. Wie schnell die Zeit doch vergeht. Ich fühle mich wunderbar, auch wenn ich noch eine Menge zu lernen habe. Mein Vorgänger René Theiler hat sich in den vielen Jahren beim VSD ein sehr breites Wissen in diversen Themen angeeignet, die mir bisher nicht in dieser Tiefe bekannt waren. Ich denke da an die Bereiche Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz oder Nachhaltigkeit.

Momentan versuche ich mir einen möglichst guten Überblick zu verschaffen und werde dann mittelfristig in Absprache mit dem VSD schauen, wie ich mein eigenes Wissen, meinen eigenen Stil einbringen kann. Ich empfinde es aber als enorm bereichernd, Einblicke in mir bisher eher fremde Gebiete erhalten zu dürfen. Bereits in diesen ersten drei Monaten konnte ich dadurch viele neue Eindrücke gewinnen. So auch letzte Woche an einer interessanten EKAS-Tagung, in welcher das Thema «Psychische Gesundheit» sehr prominent behandelt wurde.

Du hast im Sommer die Tätigkeit von René Theiler übernommen – welche Tipps hat er dir weitergegeben?
René hat mir immer wieder geraten, meine eigenen Schritte zu gehen. Deshalb setze ich mich auch nicht allzu sehr unter Druck, die oben genannten Themen in der gleichen Tiefe wie René abdecken zu müssen. Denn für all diese Themenfelder gibt es auch externe Experten, die man im Notfall beiziehen kann. Ebenfalls hat er mir geraten, neugierig zu bleiben, was ich sowieso von Grund auf bin.

Hast du dir seit deiner Amtsübernahme ein Bild der Situation machen können? Wie schätzt du die Situation der Branche allgemein ein? Wo stehen wir derzeit?
Ich durfte in den letzten drei Monaten bereits einige Druckereien besuchen. Die meisten davon setzen voller Engagement primär auf Print, haben jedoch unterschiedlichste Strategien entwickelt, um an das benötigte Druckvolumen zu gelangen.

Für mich war spannend zu sehen, dass sich all diese Unternehmen mit viel Aufwand (Forschung und Entwicklung, Investition in Wissen und Infrastruktur) auf ein gewisses Kundensegment spezialisiert haben. Manche setzen auf filigrane Veredelungen und besonders hochwertige Drucksachen mit ausgeklügelten Rastertechnologien. Andere haben in der Marketing-Automation ihre Nische mit spannenden Kunden gefunden. Wieder andere besitzen im Bereich Druck und Weiterverarbeitung eine derart imposante Infrastruktur zur automatisierten Mailingproduktion, dass ich als Besucher nur noch mit offenem Mund staunen konnte.

Die Auftragslage sieht bei den Druckereien den (Corona)-Umständen entsprechend gut aus, obschon die Umsätze aus Zeiten vor der Pandemie in weiter Ferne liegen. Besonders zu schaffen machen der Branche die immer teurer werdenden Preise für Papier/Karton, Offsetdruckplatten, Verpackungsmaterial oder auch Treibstoff. Dies stellt Druckereien vor grosse Herausforderungen, da diese Mehrkosten nicht immer zu 100 % dem Kunden weiterverrechnet werden können.

Nebst dieser Preisvolatilität werden je nach Produkt auch sehr lange Lieferfristen und knappe Lagerbestände zu einem immer grösser werdenden Problem. Ich möchte aber betonen, dass nie jemand bei mir gejammert hat. Trotz angespannter Situation sucht man proaktiv nach Lösungen und versucht das Beste aus der Situation zu machen. Trübsal blasen scheint in diesen Unternehmen keinen Platz zu haben.

Welche Aufgaben fallen für dich als ­Bildungsverantwortlicher tagtäglich an?
Ich kümmere mich im Bildungsbereich zum Beispiel um die Online-Lernplattform www.mediametro.ch. Ich halte nach neuen Autoren Ausschau, verwalte Kursinhalte und bewerbe diese via Social Media oder per Newsletter. Ausserdem bin ich in diversen Arbeitsgruppen tätig und darf bei der Ausarbeitung von neuen Lerninhalten für Aus- und Weiterbildungen in grafischen Berufen mitwirken. Die Webinare «publishingAKZENTE» organisiere ich gemeinsam mit Haeme Ulrich und halte auch dort Ausschau nach spannenden Themen für die Publishing-Welt.

Zusätzlich darf ich die vom VSD ins Leben gerufenen Lehrgänge «Publisher Basic» und «Publisher Professional» als Prüfungsexperte begleiten, was mir viel Freude bereitet. Und dann wäre da noch unser Projekt www.publishing.club, welches das informelle Lernen in Community-Gruppen fördern soll. Dazu werden wir im Januar genauere Infos veröffentlichen. Ich wurde auch schon als Dozent an einer Berufsschule eingeladen, damit ich den Lernenden veranschaulichen konnte, dass das Thema Normen und Qualitätssicherung keine trostlose Materie ist. Zu kurz gekommen sind Feierabend-Apéros für Wissenshungrige, da Corona das langfristige Planen von solchen Events oft nicht zulässt.

Die Druckbranche hat mit der Tatsache oder dem Trend zu kämpfen, dass immer weniger Schulabgänger einen technischen oder handwerklichen Beruf ergreifen möchten. Stimmst du dieser Aussage zu – und falls ja, was kann unternommen werden, um diesen Trend umzukehren?
In der Tat sind die Berufsschulklassen in den letzten Jahren kleiner geworden. Als ich im Jahr 1997 mit der Polygrafen-Lehre begonnen habe, waren wir in Aarau pro Lehrjahr zwei Klassen mit jeweils über 20 Lernenden. An diese Dimensionen kommen wir heute nicht mehr heran. Schulabgänger haben mir bereits erzählt, dass ihnen der Berufsberater abgeraten hat, einen Beruf in der grafischen Branche zu lernen. Das ist für unsere Branche natürlich nicht gerade förderlich.

Mit der Frage, was zur Trendwende in der grafischen Berufsbildung unternommen werden kann, haben sich schon viele Fachpersonen beschäftigt. Ich antworte daher nicht als Vertreter des VSD, sondern als Privatperson Michel Mayerle mit Polygrafenhintergrund. Bereits seit Jahren frage ich mich, ob zum Beispiel der Polygraf nicht mit dem Mediamatikerberuf mit spezieller Fachrichtung verschmelzen könnte? Ich finde den Polygrafenberuf wunderbar, sehe aber im Mediamatiker sehr viele Kompetenzen, die bereits heute von Polygrafen in der Wirtschaft gefordert und ohne Weiterbildung nicht/kaum abgedeckt werden können. Eine Bündelung der Kräfte scheint mir hier persönlich sinnvoll, zumal bereits viele Druckereien seit Jahren Mediamatiker im Unternehmen beschäftigen.

Die grafische Branche hat im Berufsalltag langsam aber sicher gemerkt, dass neue Kompetenzen nötig sind, um mit der Digitalisierung Schritt halten zu können: Wissensarbeit, Problemlösungskompetenz, informelles Lernen, Nutzen von Schwarmintelligenz, Projektmanagement, Selbstmanagement usw. Diese Fähigkeiten müssen künftig auch in der Berufsbildung gezielt gefördert werden. Wenn die grafische Branche Fachleute mit einem solchen Wissensschatz ausbilden kann, werden grafische Berufe plötzlich für ein breiteres Publikum attraktiv. Deshalb nämlich, weil jene Fachpersonen Veränderungen und Herausforderungen als Chance ansehen und es als selbstverständlich erachten, dass sich ihr Beruf während ihrer Laufbahn noch oft verändern wird.

Das Thema Digitalisierung ist in aller Munde. Wie gelingt es, die Fähigkeiten, die in der digitalen Welt vonnöten sind, in das Berufsbild des doch eher hand­werklichen resp. analogen Druckers ein­zuweben?
Zu dieser Frage gäbe es sehr viel zu erzählen. Ich habe früher in einem Unternehmen gearbeitet, in dem es im Sinne der Effizienz kaum möglich war, den Offsetdrucker/Medientechnologen in grössere digitale Abläufe einzubinden. Die Medientechnologen waren personell nie überbesetzt. Das verbleibende Personal musste daher möglichst viel produktive Zeit an der (teuren) Bogenoffsetdruckmaschine verbringen, um kostspielige Maschinenstillstände zu verhindern. Maschinenführer und Hilfsdrucker waren dabei ein eingespieltes Team. Da blieb schlicht und einfach keine Zeit, um nebenbei auch noch den PDF-Workflow zu bedienen, Aufträge auszuschiessen oder Platten zu belichten. Ich schätze, dass die Situation in vielen Druckereien ähnlich aussieht.

Anders gestaltet sich die Ausgangslage, wenn ausreichend Druckpersonal zur Verfügung steht, um auch einmal eine Job-Rotation durchzuführen. Der klassische Offsetdrucker könnte somit gezielt Zeit an der Digitaldruckmaschine verbringen oder sich sogar mit dem digitalen Ausschiessen und dem PDF-Workflow befassen. Dafür muss er aber den Kopf frei haben und – was man nicht vergessen darf – intern auch noch von Fachpersonal aus anderen Abteilungen ausgebildet werden, welches sich die Zeit dazu nehmen kann. Ein lernwilliger Maschinenführer wird schnell an seine Grenzen stossen, wenn ihn intern mangels Zeit niemand ausbilden und fördern kann.

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