Nachdenklich

Ralf Turtschi

Die Natur ist darauf ausgelegt, Vielfalt zu entwickeln. Diversität ist der Schlüssel für das Funktionieren des Lebens überhaupt. Die stetige Anpassung der Arten an ihre Umgebung ist der Welt Lauf.

Wenn es von einer Spezies zu viele Individuen gibt, stellt das Umfeld die Balance wieder her. Der Heuschreckenschwarm ist gefrässig und zerstörerisch, zieht jedoch Fressfeinde an, die dadurch ihrerseits die Population vergrössern.

Menschliche Schwärme sind doch bemerkenswerte Organismen, im Kleineren und im Grossen. Wie doch Kommunikation in einem Schwarm funktioniert, wie sich alle Individuen im gleichen Rhythmus bewegen! Die durchschnittliche Verbringzeit am Handy beträgt bereits zwei Stunden, übers Wochenende fünf Stunden. Wir bewegen uns also mit einem Drittel bis einem Achtel unserer Wachzeit im Internet. Das nicht riecht, nicht schmeckt, nicht haptisch erfühlt werden kann.

Das Internet tönt und leuchtet verlockend. Eine Plage für die Natur. Die Menschen machen sich über alles her, was ihnen über den Weg läuft, und zerstören die anderen Arten. Die Biodiversität ist seit der Industrialisierung bedenklich gesunken. Wo sich der Mensch auf der Erde verbreitet, verschwinden die Arten. Es geht nicht nur um Elefanten und Nashörner. Viele einheimische Vögel sind bereits ausgestorben, bedroht oder gefährdet, in den Flüssen sind kaum noch Fische, Insekten werden vergiftet, die Meere sind ausgefischt. Die Rufe nach einem radikalen Umdenken werden lauter.

Der Liberalismus hat mit seinem freiheitlichen Denkansatz die Welt an einen Scheideweg gebracht. Freiheit und möglichst «wenig Staat» haben uns den Wohlstand verschafft. Daneben hat sich quer durch die ganze Gesellschaft ein krankhafter Geist entwickelt, der von Eigennutz und Profitgier geprägt ist: Geiz ist geil. Aber Tiefstpreise haben immer einen Preis, auch bei Druckerzeugnissen.

Sogar die Gratiskultur des Internets schafft Energie- und Umweltprobleme gigantischen Ausmasses. Bei Zalando werden laut eigenen Angaben 50 % aller Klamotten retourniert. Mit unnötigem Transportbedarf, welcher die Umwelt belastet. Die Schäden durch Gratiskultur sind unmittelbar nicht sichtbar. Umweltschäden in Drittweltstaaten entstehen nicht von selbst, der Konsumhunger der entwickelten Welt ist daran schuld. Der zunehmende Energiebedarf hat seine Ursachen auch im Internet. Als Land würde das Internet an sechster Stelle der Länder stehen, die am meisten Energie verbrauchen.

Die Probleme, die wir heute schaffen, löffeln zukünftige Generationen aus: 12 000 Satelliten, die Elon Musk gerade ins All schiesst, werden in kurzer Zeit Weltraumschrott sein. Wer ist so dumm, den Weltraum derart zuzumüllen, dass ein Aufenthalt in der Umlaufbahn zum grössten Risiko wird? Der Mensch. Was macht er daraus? Er schafft neue Arbeitsplätze und Entwicklungsmöglichkeiten als Space Facility Manager.

Nun scheint mit der Pandemie die Natur zu reagieren. 7,7 Milliarden Menschen, die in engem globalem Austausch stehen, sind eine gute Entwicklungsumgebung für Viren und Bakterien. Ob die Medizin mittels Gen­technik den resistenten Menschen schaffen wird? Wie blöd kann man nur sein, die Erde kaputtzumachen und alles Ausgestorbene in Metaversen wieder zu erleben?

In einer gesunden Umgebung entfalten sich gesunde Menschen. Je kränker die Umgebung, desto kränker auch die Menschen. Alles, was in der Natur passiert, hat eine Ursache, alles hängt zusammen. Der Schwarm aus Menschen ist auf dem besten Weg, die eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören. Denk einmal darüber nach, was dein Anteil an dieser Entwicklung ausmacht.

  • Autor Ralf Turtschi
    Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
    tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet.
  • Rubrik Kolumne
  • Dossier: Publisher 5/6-2021
  • Thema Ursache und Nebenwirkung

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