Schöpferische Kräfte walten lassen

Nachbericht Tÿpo St. Gallen

Vom 5. – 7. November fand im gewerblichen Berufs- und Weiterbildungs­zentrum St. Gallen GBS die nächste Iteration der Tÿpo St. Gallen statt. Bei der diesjährigen Ausgabe des Forums für Fachleute und Designaffine stand die Thematik «Intuition» im Mittelpunkt.

Impressionen der Tÿpo St.Gallen 2021. Das hochkarätig besetzte Symposium für Typografie mit dem Tagungsthema Intuition fand vom 5. bis 7. November 2021 an der Schule für Gestaltung vom GBS St. Gallen statt. (Oliver Ruess)

Mit Gespür zu Gesprächen
Der Anlass, der von rund 300 Interessierten besucht wurde, wurde am Freitagnachmittag mit der Rede von Schulrektor Daniel Kehl feierlich eröffnet. In seinem Auftaktplädoyer stellte Kehl das diesjährige Fokusthema kurz vor, bedankte sich in aller Form bei allen Beteiligten – von den Initiatoren über die Gestalter, das Techniker-Team sowie die Zuschauerschaft – und drückte seine Freude darüber aus, dass nach «gefühlt ewiger Zeit» wieder ein Event mit Publikum durchgeführt werden konnte.

Corona, das machte der österreichische Moderator Clemens Theobald Schedler, dessen Auftritt nach Daniel Kehls Rede folgte, dann aber schnell klar, sollte an diesen Tagen möglichst kein Thema sein. Vielmehr appellierte Schedler mit massig Witz an die Zuschauerschaft, getreu dem Motto der Tÿpo St. Gallen 2021 gerade bei Gesprächen der eigenen Intuition zu folgen: Der Moderator rief dazu auf, frisch von der Leber weg seinem Gespür zu folgen, um vielleicht mit einem bisher Unbekannten in ein interessantes Gespräch zu kommen. «Es geht nämlich auch ohne Tinder» meinte Schedler daraufhin, und sorgte, bevor auch nur der erste Beitrag der Tÿpo vorgestellt wurde, für grosses Lachen im Saal.

Moderator Clemens Theobald Schedler sorgte mit seinen Einlagen und Witzen für gute Stimmung.

Instinktive Pianoklänge
Mit Rudolf Lutz betrat als erster Programmpunkt ein Künstler die Bühne der GBS-Aula, dem Intuition mit musikalischem Antlitz bestens bekannt ist: Der Improvisations-Meister und Komponist spielte am Flügel unter Miteinbezug des Publikums verschiedenste Stücke – ohne Noten, ohne Vorgaben – lediglich geleitet von seinem eigenen Bauchgefühl, was gut klingen könnte. Dabei vergass der Künstler und Musiker allerdings nicht zu betonen, dass Kunstwerke, die dem eigenen Empfinden zugrunde liegen, auch immer wieder grandios scheitern können.

Daraufhin folgte die Vorstellung des österreichischen Design-Studios «OrtnerSchinko»: Das noch junge Linzer Designbüro, 2015 von Kira Saskia Schinko und Wolfgang Ortner gegründet, fokussiert sich auf kontemporäre Gestaltung mithilfe von kompromissloser Simplifizierung.

Nach einer kurzen Pause fand sich dann eine arrivierte Kraft am Rednerpult ein: Daniel Ammann, Dozent Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich, referierte während seines rund 30-minütigen Beitrags mit dem Titel «Das Format ist die Botschaft» darüber, dass in der Kommunikation nicht nur das «Was», sondern auch das «Wie» eine bedeutende Rolle einnehmen sollte. Passend dazu ging Ammann in seinem Vortrag auf die Artikulationsformen und die Aufbereitung einer Kommunikationsbotschaft ein.

Spontan und kunstvoll geschwungen: Das Sujet der Tÿpo St. Gallen 2021.

Animierte Poster, geschwungene Linien
Jugendlichen Charme versprühte wiederum der darauffolgende Referent Josh Schaub: Der Schweizer Künstler besitzt seit 2013 sein eigenes Studio und experimentiert unter anderem mit animierten Designs und Plakaten, wobei er letztere auch im Rahmen der Ausstellungsserie «The moving posters» kuratiert. Am diesjährigen Typografie-Symposium stellte er seine regsamen Werke und seine Arbeit unter dem Titel «I like to move it» vor.

«Ink is on our veins» (Tinte ist auf unseren Adern), so die Überschrift des nächsten Beitrages: Vorgetragen wurde dieser von der Niederländerin Britt Möricke, die seit Kindesbeinen an das Aussehen von Buchstaben liebt. Nicht verwunderlich, dass die Grafikdesignerin Möricke im Laufe der Zeit ihre Passion zum Beruf gemacht hat und nun unter anderem an verschiedensten Kunsthochschulen der Niederlande Kalligrafie, Typografie und Schriftdesign unterweist. In St. Gallen liess Möricke die Zuschauerschaft in die Faszination des Schreibens und Geschriebenem eintauchen.

Vielseitige Kost, in zweierlei Hinsicht
Nach einem weiteren Unterbruch mit angeregten Zwischengesprächen stand mit der Buchvernissage von «ABC – Formen der lateinischen Schriftentwicklung» ein weiterer Höhepunkt auf dem Programm: Das Werk, eine durch Rudolf Barmettler, Rupert Kalkofen und Roland Stieger neu aufgelegte Version des Branchenklassikers, wurde vor versammelter Kulisse präsentiert, ehe Interessierte, Referenten und Co. beim anschliessenden Apéro mit Gaumenfreuden und interessanten Unterredungen den ersten Abend erfolgreich ausklingen liessen.

Gut ausgeruht und voller Tatendrang fand man sich am Samstag wieder im GBS zusammen, um den zweiten Tag des Symposiums zu begehen. Einleitend erklärte Andreas Koop der designgruppe koop in seinem Beitrag «Intuition und Design – zwischen Usability und Esoterik», inwiefern Intuition nicht nur ein Produkt der eigenen Einfälle ist, sondern auch willentlich gestaltet werden kann.

Auf die Einlassungen von Koop folgte eine Tÿpo-Neuheit, die das Engagement und den Wissensdurst, den die Teilnehmenden mitgebracht hatten, stillen sollte: Mit zehn «Elevator Pitches» wurden der Zuschauerschaft in aller Kürze unterschiedlichste Workshops vorgestellt – und je nach eigener Präferenz konnte man am Morgen so während zwei Stunden unter anderem die Welt von Adobe After Effects erkunden, seine Kenntnisse in der Welt der Glyphen vertiefen oder sich intensiv mit dem Thema «Handschrift» befassen.

Nach einem redlich verdienten Stehlunch – gewählt werden konnte zwischen asiatischer Küche in Form eines Thai-Currys oder dem Schweizer Klassiker Ghackets und Hörnli – wurde auch am Nachmittag Wissenswertes und Interessantes geboten:

So trat beispielsweise die Schriftgestalterin Aleksandra Samulenkova in St. Gallen auf, deren Font «Pilot» als einer der wenigen kontemporären Schriftarten in Metall gegossen wurde. Samulenkova, aus Lettland stammend und so mit dem lateinischen wie kyrillischen Alphabet bestens vertraut, teilte ihre moderne Font-Arbeit mit den Besuchern der Tÿpo.

Allerlei Gluschtiges: Auch für das leibliche Wohl war an der Typo St. Gallen gesorgt.

Zwischen Buntem und Buchstabensuppe
Mit Ana Laura Campos Vollmer, Sonja Steven, Kerstin Tolpeit und Sarah Tolpeit gaben daraufhin vier Frauen aus dem Hamburger Gestaltungsbüro «Klaas», das neben farbenfroher Typografie eine soziale, vielfältige und nachhaltige Gemeinschaft priorisiert, ihre Gedanken zum Thema Intuition zum Besten.

«Programmatisch, Automatisch» hiess es dann, als der Schriftgestalter und Programmierer Just van Rossum auf das Podium gebeten wurde. Der Niederländer unterrichtet aktuell an der königlichen Akademie der Künste in Den Haag und ist nebenbei Mitbegründer des Studios Letterror.

Bevor schliesslich der Samstag kulinarisch in der St. Galler Militärkantine beschlossen wurde, fand sich Mediendesignerin Meike Ziegler am Rednerpult ein, um über «Creatuals» – kreative Designkonzepte mit aussagekräftigen sozialem Impact – zu referieren.

Tags darauf wurden die Besucher des Symposiums in zwei Gruppen aufgeteilt: Während eine Schar sich in der Bibliothek Hauptpost einfand, um Vorträgen unter dem Claim «Die schönsten Bücher aus der Schweiz, Deutschland und Österreich» zu lauschen und anschliessend die zugehörige Exposition zu besuchen, versammelte sich das zweite Team im Foyer des Kunstmuseums St. Gallen und bestaunte daraufhin die Exponate der «Erker»-Ausstellung.

Nach den Erlebnissen im Kunstmuseum und der Bibliothek setzte man mit dem gemeinsamen Genuss einer Buchstabensuppe den traditionellen Schlusspunkt der rundum gelungenen Veranstaltung. 

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