Architekturfotografie – Strukturen

Das Repetitive scheint uns Menschen magisch anzuziehen. Muster kommen in allen Lebensbereichen vor: in der Inneneinrichtung, der Mode, der Typografie. Hier geht es um Muster in der Architektur.

Swatch-Museum, Biel. Die «organische» Struktur bietet der Architektur Ausdrucksmöglichkeiten.

Muster entstehen durch Wiederholung. Sie üben auf unseren Sehsinn eine ungemeine Faszination aus: Ein Vogelschwarm am Himmel, die Wellen eines Seeufers, der sanfte Schwung von Sanddünen, Zebras, Marktfrüchte …

Der Lattenzaun

Es war einmal ein Lattenzaun,
mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.
Ein Architekt, der dieses sah,
stand eines Abends plötzlich da –
und nahm den Zwischenraum heraus
und baute draus ein grosses Haus.

Christian Morgenstern (1871 – 1914)

Ein Muster besteht, optisch gesehen, aus Objekten, Dingen und Zwischenräumen. Beim Lattenzaun genau gleich wie bei der Perlenkette oder dem Kopfsteinpflaster. Muster können als Punkte, Linien oder Flächen auftreten, gleichmässig oder zunehmend, gerade, rund geschwungen oder gezackt sein. In der Architektur werden Häuserfassaden durch Säulen, Lamellen, Fenster und anderes so strukturiert, dass Muster entstehen. Im Gebäudeinneren sind es die Fenster, die Lichtstrahlen einlassen, welche eine strahlenförmige Struktur je nach Tageszeit auf Boden und Wände werfen.

Chipperfield-Bau, Kunsthaus Zürich. Die grossen lamellenartigen Öffnungen werfen je nach Tageszeit perspektivische Lichtmuster auf den Boden, in dem Personen und deren Schatten spielen.

Was fasziniert an Strukturen? Vielleicht ist es der Takt, der wie ein Herzschlag beruhigt, vielleicht ist es wie bei einem musikalischen Rhythmus, der uns zum Mitklatschen und Tanzen animiert? In der neueren Architekturgeschichte sind durch die Formenvielfalt und die individualisierte Bauweise vermehrt Strukturen sichtbar, die mit dem Senkrecht–Waagrecht früherer Bauepochen nichts mehr zu tun haben. Es gibt dafür viele berühmte Beispiele wie die Oper von Sydney, das Guggenheim-Museum in Bilbao, die Elbphilharmonie in Hamburg oder das Zentrum Paul Klee in Bern. Normale, vertikal orientierte Strukturen findet man überall in der städtischen Architektur.

Biennale Venedig. Ein Raum wird mit einem Punktmuster aus der kubischen Form befreit.

Die Regelmässigkeit wird zuweilen mit scheinbar nicht passenden Elementen wie auskragenden Fenstersimsen oder Schrägen, die dem Geraden in die Parade fahren, aufgebrochen. Der Fehler in der Regelmässigkeit ist gerade das, was den Rhythmus betont und interessant macht. Dort, wo eine Latte im Zaun eingebrochen ist, dort schaut man hin.

Kapelle in Mogno, Tessin. Bei solchen Fotos ist die exakte Ausrichtung der Kamera das A und O.

Bei der Architekturfotografie steht man meistens auf dem Boden und hält die Kamera gegen oben. Das führt immer zu einem perspektivischen Verzug. Bei gewissen Hochhäusern ist dies ein gewolltes Gestaltungsmittel. Es ist schon eindrücklich, wenn Hochhäuser oben in der Flucht schmal zusammenlaufen.

Wohnturm in Zürich-West. Mit dem Weitwinkel fotografiert, gibt es oft Verzüge in allen Richtungen. Photoshop: Alles auswählen (Befehl-A) Menü Bearbeiten > Transformieren > Verzerren. Bild anhand von Hilfslinien exakt begradigen, zuletzt in Graustufen umwandeln und zuschneiden.

In anderen Fällen kippt die Perspektive nur leicht und ich bin angehalten, sie im Bildbearbeitungsprogramm zu begradigen. Ich mache das aber nur, wenn das Foto dadurch nicht unnatürlich verzogen wirkt. Bei extremen Weitwinkelobjektiven oder auch bei Handykameras werden die geraden Linien oft tonnenförmig verzogen. Diese Bildfehler korrigiere ich in Photoshop mit dem Filter Objektivkorrektur, womit ich den tonnen- oder kissenförmigen Verzug begradigen kann.

Nazaré, Portugal. Regelmässige vertikale Strukturen lösen einen starken Reiz auf unser Sehsystem aus.

Muster wirken in Schwarz-Weiss in vielen Fällen besser als in Farbe, weil diese von der Struktur (der Form) ablenken. Farbe trägt in diesem Genre nichts zur Bildqualität bei. Es ist gleich wie bei der Schrift: Die Leserlichkeit ist in Schwarz-Weiss besser, als wenn die Buchstaben kunterbunt aufbereitet werden. Schwarz-Weiss bietet zudem den Vorteil, dass die verschiedenen Farben individuell in Grauwerte umgerechnet werden können. Wie im Beispiel unten können so leichte oder dramatische Wirkungen erzielt werden.

Circle, Zürich-Flughafen. Gegen oben fotografiert, bildet die Lamellenstruktur eine starke perspektivische Wirkung, hier bildet sich zudem eine Binnenform.

Wenn du bei deinem nächsten fotografischen Streifzug einmal nur nach Punkt-, Linien- oder Flächenmustern Ausschau hältst, wirst du überall fündig und bringst faszinierende Resultate nach Hause.

  • Autor Ralf Turtschi
    Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
    tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet.
  • Rubrik Design & Praxis
  • Dossier: Publisher 2-2022
  • Thema Architekturfotografie

Kommentieren

52 − = 45

*Pflichtfelder

Ihre Persoenlichen Daten werden nicht veroeffentlicht oder weitergegeben.