Kindertheater

Kein Mami, kein Papi, die ihre Kleinsten bei jeder Gelegenheit mit dem Handy ablichten. Kinder sind das Fotografiert-Werden gewohnt. Die Theaterwelt der Erwachsenen nachzuahmen, ist Spiel und Spass zugleich.

Alia und Eldana sind beste Freundinnen – dies vor der Kamera in ihrem Lieblingskostüm zu zeigen, fällt ihnen nicht schwer. Der natürliche Lichteinfall kommt von
einem Fenster, welches sich über den beiden befindet. 42 mm, 1/400 Sek., ISO 6400, f3.5.

Menschen zu fotografieren ist anspruchsvoll, vielseitig und befriedigend. Ob People, Street, Familien oder Mode – das menschliche Motiv geht weit über das übliche Selfie hinaus. Posing, Mimik, Gestik, Accessoires, Lichtführung und Location sind die Stichworte. Einige dieser Parameter sind plan- und veränderbar, einige sind gesetzt, andere wiederum verlangen ein agiles und spontanes Vorgehen.

Diesmal geht’s um Kinderporträts im eigenen Bekanntenkreis. Kinder können früh schon mit Handys umgehen, sie werden von ihren Eltern hundertfach abgelichtet, wissen genau, was eine Kamera ist und was damit geschieht. Sie haben ein Ich-Bewusstsein und eine Vorstellung davon, was sie vor der Kamera möchten und was nicht. Die enge Betreuung von Eltern, Grosseltern oder Verwandten während des Shootings hilft, Kinder nicht zu überfordern. Ich unterscheide dabei die spontane Fotografie während eines Familienanlasses und die inszenierte Fotografie.

Close-up mit drei Accessoires: Hut, Brille und Jacke. Eine verblüffende visuelle Gratwande rung zwischen Kind und Frau. 50 mm, 1/500 Sek., ISO 1000, f2.8

Während Kinder bis zu einem Alter von etwa drei Jahren eher authentisch wirken und wenig auf Regieanweisungen reagieren, sind Kinder im Alter von vier bis sechs in der Lage, sich auszudrücken. Dabei ist erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit sie die Rolle des Models übernehmen und spielerisch in die Welt der Erwachsenen schlüpfen. Sie empfinden das Shooting als Theater und finden es cool, vor der Kamera zu mimen. Wie bei einem richtigen Spiel kommen gewisse Inputs von den Begleitpersonen. «Möchtest du mal aufs Treppengeländer klettern? Zieh doch diesen Hut an. Schau in diese Richtung. Haltet einander ganz toll fest.»

Die Momente dauern nur kurz und können nicht, wie bei erwachsenen Modellen, endlos nachgestellt werden. Kindern verleidet eine Situation schnell, sie wollen immer Neues ausprobieren. Die Bereitschaft zum Mitarbeiten dauert nicht ewig – und ein Nein ist ein Nein. Erzwungene Situationen ergeben nie gute Motive. Im Vorfeld sollen die Mütter oder Väter erfragen, in welchen Sachen die Kleinen auftreten wollen und so eine Auswahl an Kleidern und Accessoires zusammenstellen. Die zwei besten Freundinnen wollten in ihren Lieblings-Feenkostümen modeln und freuten sich im Vorfeld darauf.

Die Kameraposition ist auf Augenhöhe, der Hut, das Lederoutfit und die Körperhaltung ahmen den Filmstar nach. Mit Color Grading ist das Foto im Vintagestil aufbereitet. Das Foto ist absichtlich schräg, um das Posing im Ausdruck zu verstärken. 46 mm, 1/500 Sek., ISO 1000, f4.

Es geht nicht um die kommerzielle Aufpeppung von Kindern zwecks Vermarktung, sondern um das Schaffen von Erinnerungen fürs Familienalbum. In den gleichen Outfits wurden die Mädchen schon mit dem Smartphone fotografiert. Als Fotograf sehe ich mich in der Rolle
als Lichtmaler, ich will die Kinder möglichst natürlich abbilden und keine Studioatmosphäre schaffen. Ich positioniere die Kinder dort, wo ich mir eine interessante Lichtführung verspreche. Weiches Licht, keine direkte Sonneneinstrahlung, Gegenlicht. Ein türkisfarbenes Tüllkleidchen wirkt im Gegenlicht traumhaft! Ich arbeite ohne Stativ, weil ich schneller und spontan agieren kann, meine Perspektive ist auf Augenhöhe. Ich bin also die ganze Zeit auf dem Boden, kniend, liegend, robbend – ganz schön anstrengend.

Reduzierte Schwarz-Weiss-Umsetzungen machen die Motive poetischer, weil keine Farbe von der Form und den Tonwerten ablenkt.
50 mm, 1/320 Sek., ISO 10 000, f2.8. Solche High-Key-Effekte können in der Nachbearbeitung erreicht werden.

Da sich die Kinder immer leicht bewegen, ist eine kurze Belichtungszeit angesagt, so zwischen 1/500 und 1/1000 Sekunde. Je nach Lichtverhältnissen arbeite ich mit 1000 bis 10000 ISO bei offener Blende von f2.8 bis f3.5. Ausserdem mit einem lichtstarken Zoom 28–70 mm, f2.8 durchgehend. Das Bildrauschen wird bei modernen Kameras (wie bei meiner Canon EOS R5) selbst bei hohen ISO-Werten gut unterdrückt. Ich achte darauf, dass während der Aufnahmen keine Fotos unterbelichtet sind. Solche Fotos nachträglich aufzuhellen, fördert Bildrauschen zutage. Es ist also besser, die Fotos eher auf der hellen Seite zu halten. Bildrauschen wird bei ho-
her Auflösung meist herausgerechnet, falls die Fotos im Internet landen oder wie hier klein abgedruckt sind. Ich fahre mit dem ISO-Wert lieber höher und gewinne an Flexibilität bei Verschlusszeit und Blende.

Wer würde hier nicht an Michael Jackson denken? Die offene Blende bringt ein schönes
Bokeh im Hintergrund. 56 mm, 1/500 Sek., ISO 1000, f2.8.

Gewisse Bilder bearbeite ich nachträglich mit Color Grading oder Filtern, um einen bestimmten Look zu erhalten. Bei hellem Gegenlicht sind High-Key-Effekte in Photoshop ebenfalls sehr reizvoll.

Eldana posiert auf einem Zwischengeschoss im Treppenhaus. Sie präsentiert sich, ohne
Regieanweisungen zu benötigen. Es ist eher dunkel – der extreme Kontrastunterschied
wird vom Dynamikumfang der Canon R5 gut bewältigt. 24 mm, 1/400 Sek, ISO 6400, f3.
Das hohe Umfeld relativiert die Grösse des Mädchens. Ich habe hier die Perspektive begradigt, sowie den Ausschnitt in der Postverarbeitung gewählt. 24 mm, 1/400 Sek., ISO
6400, f9.
Alia kann nicht Klavier spielen, aber wie andere Schauspieler kann sie es gut nachahmen. In einer Schwarz-Weiss-Umsetzung wirken die Fotos mit Instrumenten wie aus dem Geschichtsbuch. 41 mm, 1/400 Sek., ISO 6400, f2.8.
  • Autor Ralf Turtschi
    Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
    tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet.
  • Rubrik Imaging
  • Dossier: Publisher 3-2022
  • Thema Fotografie, Kinder, Imaging, Kinderfotografie, Mädchen

Kommentieren

56 − 53 =

*Pflichtfelder

Ihre Persoenlichen Daten werden nicht veroeffentlicht oder weitergegeben.