Geschichte der Typografie

Die grundlegenden Bestandteile der Typografie sind die Buchstaben. Der Buchstabe ist ein Instrument der visuellen Kommunikation. Im Wort versteckt bemerkt ihn ein Durchschnittsleser kaum. Seine vornehmste Aufgabe ist, sich so wenig wie möglich hervorzutun. Vom gemeisselten Motiv bis zur digital gespeicherten Schrift: Hier geht es um die Historie der Typografie.

Mit der Erfindung des Handsatzes revolutionierte Johannes Gutenberg 1440 die Schriftsetzung. Quelle: Hagen Kayser

Welche Aufgaben hat die Typografie?
Mittels Typografie machen wir Sprache lesbar. Visuell dargestellte Sprache – also Typografie – ist abgesehen von der direkten Unterhaltung noch immer unser wichtigstes Kommunikationsmittel. Das beschränkt sich nicht nur auf die Information, die durch die Wörter und Sätze übermittelt wird, sondern geschieht auch durch die Ausstrahlung. Prof. Heiner Jacob, Köln (1978) brachte es auf folgenden Nenner: «Nur wenn die gestalterische Ebene es schafft, auf sich aufmerksam zu machen und Neugierde zu wecken, hat die inhaltliche Ebene überhaupt eine Chance, wahrgenommen zu werden.» Von Prof. Wolfgang Weingart, Basel (1973) stammt folgendes Zitat: «Was nutzt Lesbarkeit, wenn nichts reizt, einen Text überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.»

Was versteht man unter Typografie?

Die Typografie gibt es nicht. Es gibt verschiedene Anforderungen an die Typografie, denn jede Aufgabe verlangt andere Lösungsmethoden. Unter Typografie versteht man die Gestaltung mit typografischen Elementen (Schriftarten, Schriftschnitten und Schriftgrössen) und den bildnerischen Elementen (Linie, Fläche, Farbe). Vornehmliches Ziel typografisches Designs ist eine lesefreundliche Textgestaltung. In erster Linie bestimmen daher Aspekte der Zweckgebundenheit die typografische Gestaltung. Design und Funktion können, je nach Aufgabe, nur in Relation zueinander stehen, wobei die Gewichtung entsprechend unterschiedlich ausfällt.

Welche gestalterischen Mittel hat man in der Typografie?

Es geht um das Zusammenspiel von Schriftbild, Buchstabe, Wort und Zeile, von unbedruckter und bedruckter Fläche sowie dem Einsatz von Bildern und Farbe.

Fast 500 Jahre lang, von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis in die 50er Jahre, erstellte man den Schriftsatz grösstenteils mit Metalltypen, aus einer Bleilegierung. Die einzelnen Buchstaben (Lettern) wurden von Hand mit Hilfe eines Winkelhakens zu Wörtern und Zeilen zusammengefügt. So entstanden der Akzidenzsatz (zu gestaltende Drucksachen wie Geschäfts-, Werbe- und Familiendrucksachen), der Werksatz (Bücher, Zeitungen) und der Tabellensatz.

Abgesehen von der Tatsache, dass sich die Arbeitsgebiete im Laufe der Zeit erweitert und spezialisiert haben, hat sich die Herstellung des Handsatzes in seinen Grundzügen seit der Erfindung Gutenbergs kaum geändert.

Über Jahrhunderte fand visuelle Kommunikation innerhalb relativ kleiner Gruppen statt. Mit der genialen Erfindung von Gutenberg – der beweglichen Einzelletter – begann die revolutionäre Geschichte der Satzherstellung. Die grosse Leistung von Gutenberg war, dass er das handwerkliche Schreiben in eine industrielle Fertigung und Vervielfältigung von Texten überführt hat.

Bleisatz
Quelle: Hagen Kayser

Von da an konnten Informationen schnell kopiert und weit verbreitet werden. Zwar wurde schon vor Gutenberg gedruckt, jedoch handelte es sich dabei um den Druck mit Holzdruckstöcken, in die Text wie Bild eingeschnitten waren. Das Grundprinzip von Gutenberg war, dass er für jedes Schriftzeichen einen Stahlstempel schnitt, diesen in eine Kupferplatte prägte, nachbearbeitete und für eine Matrize justierte, die er dann zum Guss der Einzelbuchstaben verwendete. Von dieser Matrize liessen sich viele Lettern giessen, die dann mehrfach verwendet werden konnten.

Während des 19. Jahrhunderts veränderten eine Reihe technischer Entwicklungen die Druckindustrie. Da die Satzleistung eines Handsetzers nur ca. 1500 Buchstaben pro Stunde betrug, wurde die Mechanisierung der Satzherstellung vorangetrieben. Das Ergebnis war 1856 die Erfindung des Maschinensatzes durch Otmar Mergenthaler, der hauptsächlich beim Druck von Zeitungen und Büchern zum Einsatz kam. Der Maschinensatz arbeitete mit Matrizen, die ein gefrästes Bild des jeweiligen Buchstabens besitzen. Die einzelnen Matrizen werden in der Setzmaschine zu Matrizenzeilen gesammelt.

Die Wortzwischenräume erfolgten mittels federnder Keile. Die komplette Zeile wurde in eine Gussform gebracht, in die flüssiges Blei gepumpt wurde. Nach dem Erstarren des Bleis wird die Zeile aus ihrer Form herausgestossen und auf einer Blechplatte gesammelt. Die Buchstabenmatrizen gelangten nach dem Guss wieder automatisch zurück zu den Matrizenmagazinen. Nach Gebrauch wurden die Zeilen eingeschmolzen und mussten nicht wie im Handsatz wieder aufwendig abgelegt werden. Die Satzleistung betrug ca. 8000 bis 9000 Zeichen pro Stunde. Seither gliederten sich die Berufsgruppen der Setzer nach ihren Hauptarbeitsgebieten in Hand- und Maschinensetzer.

Der von dem Mainzer Johannes Gutenberg entwickelte Buchdruck wird als die bedeutendste Erfindung des zweiten Jahrtausends bezeichnet. Zu diesem Ergebnis kam eine Umfrage der «Bild der Wissenschaft». Die Zeitschrift hatte 163 ranghohe Wissenschaftler nach den zehn bis 20 wichtigsten technischen Erfindungen in diesem Zeitraum befragt. Der Buchdruck landete dabei mit überwältigender Mehrheit auf Platz eins – noch vor dem Computer und der Dampfmaschine.

Ein Blick in die Vergangenheit: Das Diatype-Schriftsatzgerät für den Fotosatz.
Quelle: Hagen Kayser

In den 60er Jahren wurde das starre, unveränderbare Blei vom Film und einer neuen, beweglichen Technologie, dem Fotosatz, abgelöst. Mit ihm war es möglich, Schriften und Texte fotografisch zu reproduzieren – ein gestalterischer Befreiungsakt mit dem Nachteil, dass die Fotosatzgeräte der ersten Generation noch keinen Bildschirm hatten und somit keine visuelle Kontrolle des Satzvorgangs erlaubten. Das Ergebnis des Satzes wurde erst nach seiner Belichtung sichtbar und Korrekturen damit eine sehr zeitaufwendige Angelegenheit.

Mit der Fotosatz-Technologie war es nun möglich, den rechten Winkel im Satzaufbau zu verlassen und die Schrift auf dem Format frei anzuordnen. Zudem konnte die Schriftgrösse stufenlos eingestellt, die Schriften modifiziert und negativ dargestellt werden. Durch die Aufhebung der Schriftkegel-Begrenzung sowie der Dickte (Buchstabenbreite) konnte der Zeilen- und Buchstabenabstand frei bestimmt werden, was wiederum dazu führte, dass viele Schriften auf Kosten der Lesbarkeit zu eng gesetzt wurden. Der Fotosatz verdrängte die metallenen Lettern, der Offset-, Sieb- und Tiefdruck den Hoch- oder Buchdruck, die als Basis nicht mehr Bleibuchstaben, sondern einen belichteten Film benötigten.

Seit der Erfindung des Buchdrucks um 1440 waren die Setzer nicht nur für den Satz, sondern auch für die Gestaltung zuständig. Ab den 50er Jahren wurde diese Arbeit jedoch nur noch auf speziellen Wunsch und meist unberechnet von den Druckereien angeboten. Meistens führten die Gestaltungsarbeiten die neu entstandenen Grafikateliers aus. In dieser Zeit trennten sich viele Druckereien aus wirtschaftlichen Gründen von ihren Satzabteilungen. Die Realisation von Satzarbeiten für Werbeagenturen und Grafikateliers übernahmen zum Grossteil Layoutsetzereien, die gegenüber Druckereien über ein umfangreicheres Schriftenangebot verfügten.

Der vom Bauhaus betriebene Stil der «Elementaren Gestaltung» mit den serifenlosen Linearschriften bekam aus der Schweiz neue Impulse. Schweizer Typografie und die ausgefeilten Linear-Antiqua-Schriften Helvetica und Univers sorgten damals international für Furore. Die Helvetica wurde 1956 von dem Schweizer Grafiker Max Miedinger entworfen. Sie trat schnell die Nachfolge der weltweit verbreiteten Futura an. Im Zeitabschnitt von 1950 bis 1956 entwarf Adrian Frutiger die Univers mit insgesamt 21 Schriftschnitten. Anstelle von Namen waren sie durch ein Zahlensystem gekennzeichnet – ein System, das Frutiger später auch für andere Schriftarten verwendete. Ihren Durchbruch erzielte die Univers als Hausschrift der Olympischen Spiele 1972 in München.

Mitte der 80er Jahre folgte dann die entscheidende technische Revolution, die digitale Satzherstellung, verbunden mit dem laienfreundlichen Desktop Publishing. Die vom Computerhersteller Apple entwickelte anwenderfreundliche Benutzeroberfläche bewirkte die radikalste Umstrukturierung des ganzen Berufsfeldes Typografie seit deren Erfindung. Die Typografie demokratisierte sich und ist seither endgültig nicht mehr nur den Fachleuten, sondern auch weiten Kreisen ausserhalb der bestehenden Satzherstellung zugänglich.

Historisch gesehen hat sich somit in den letzten 45 Jahren mehr ereignet als in den knapp sechs Jahrhunderten nach Gutenberg. Computer haben neue Dimensionen eröffnet. Heute steht den Gestaltern – ohne grosse Kosten gegenüber dem Hand- und Fotosatz – eine Vielzahl von Schriften zur Verfügung. Zudem sind Text- und Bildinformationen mit digitalen Medien leichter zu lagern und schneller transportierbar geworden. Damit ist die Typografie nicht mehr die Domäne eines kleinen Kreises von Fachleuten, sondern durch den Einsatz von Computern zu einem interessanten und wichtigen Betätigungsfeld für viele geworden.

Typografie als Kunst oder Experiment? Einige kreative Bildbeispiele.
Quelle: Hagen Kayser

Viele Gestalter verlassen sich heute auf Computerprogramme und deren Möglichkeiten. Durch den einfachen Umgang mit digitalen Bild- und Textinformationen hat sich die Arbeitsweise grundlegend verändert. Wurden zu analogen Zeiten in einem ersten Schritt Konzept, Entwurf sowie Ideenfindung entwickelt und erst im Anschluss umgesetzt, findet heute meist beides parallel statt. Die Folge ist die Gefahr der Vereinheitlichung von Lösungen, da die meisten Gestalter mit der gleichen oder ähnlichen Software arbeiten, und ihnen somit auch nur eine begrenzte Auswahl an Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung steht, nämlich die der aktuellen Anwendungsversion.

Deshalb ist Typografie bei aller unterstützender Software keine Programmfunktion, sondern eine gestalterische Herausforderung für den typografischen Benutzer.

Das elektronische Zeitalter und die heute weit verbreitete Anwendung des Computers hat zu einer zunehmend experimentellen, nach persönlichen visuellen Kriterien gestalteten Typografie geführt. Wirkungsvolle Typografie jedoch, die vom Leser wahrgenommen und verstanden werden kann, beruht auf bestimmten grundlegenden Prinzipien im Gestaltungsprozess.

Ohne diese kann Typografie ebenso wenig mitteilen, wie Sprache ohne Grammatik und ausreichendes Vokabular. Mit Einführung des Computers wurde ein traditionsreiches Handwerk und Kulturgut den Händen geschulter Setzer entrissen und einer Masse unwissender Laien übergeben. Standard-Programme können kaum Jahrhunderte alte Erfahrung über Lesbarkeit, Textgliederung und Komposition ersetzen. Desktop-Publishing, kurz «DTP» genannt, also das Gestalten, Setzen und Verlegen von Druckwerken vom Schreibtisch aus, ist durch Softwares allgemein zugänglich geworden, aber leider nicht narrensicher.

Typografie als Kunst oder Experiment? Einige kreative Bildbeispiele.
Quelle: Hagen Kayser

Typografie – Experimente
«Freie» Typografie und Typo-Experimente haben ihren Platz nun eher an Gestaltungsschulen – in der Praxis scheinen die Zeit, der Freiraum oder das Geld zu fehlen. Und wenn die Möglichkeit dafür gar in der Schule fehlt, muss zumindest während der Ausbildung das utopische Denken gefördert werden.

Der Schweizer Hochschullehrer für Typografie Hans-Rudolf Lutz beschreibt es folgendermassen: «Lehrstoff zu vermitteln ist eine wichtige Aufgabe, aber das legitime Bedürfnis junger Gestalter, mit ihrer Arbeit Neuland zu betreten, muss auch zu ihrem Recht kommen – zumal das Experimentieren auf dem Gebiet der Gestaltung eine ähnliche Funktion hat, wie die Forschung auf dem Gebiet der Wissenschaft. Wenn eine Schule Zukunft haben will, darf sie nicht nur Lernschule sein, sie muss sich auch positiv zur gestalterischen Forschung einstellen.»

Sinnlose Erfahrungen während des Studiums gibt es nicht. Der ehemalige Student der Hochschule Mannheim Norbert Feger begründete dies wie folgt: «Je mehr Fehler, desto besser. Versuchen und scheitern. Probieren und verlieren. Ein besseres Rüstzeug im Studium der Gestaltung kann es kaum geben. In jeder Gestaltung ist immer auch eine Portion Rebellion – Rebellion gegen Gewohnheiten, gegen Glaubenssätze, gegen Standpunkte, gegen die Geschichte, gegen die Lehre.»

Typografie als Kunst oder Experiment? Einige kreative Bildbeispiele.
Quelle: Hagen Kayser

Typografie – Kunst?
Typografie ist keine freie, unabhängige Kunst wie die Malerei und Musik, sondern wie die Architektur an einen klaren Auftrag gebunden. Typografie ist, wie eingangs erwähnt, ein Mittel der Kommunikation. Künstler nutzen Typografie oft für eine künstlerische Aussage. Meistens haben sie keine typografischen Grundkenntnisse und gehen daher frei mit typografischem Material um. Die Grenzen einerseits zum Handwerk, andererseits zur Kunst, sind in diesem Fall fliessend. Dieser virtuose Umgang mit typografischen Elementen ergibt oft überraschende und originelle Lösungen. 

Der Autor

Hagen Kayser ist gelernter Typograf und hat 28 Jahre lang an der städtischen Hochschule für Gestaltung sowie später an der Hochschule in Mannheim Typografie und Gestaltung unterrichtet. Mit «Auf den Spuren der Typografie» hat Kayser kürzlich ein Buch veröffentlicht, das sich der Geschichte der «schwarzen Kunst» widmet. Rückblickend war seine Zeit in Zürich die prägendste seiner beruflichen Laufbahn. Ausschlaggebend war die Zusammenarbeit mit den Grafikern Josef Müller-Brockmann und Hans Neuburg, die beide dem Redaktionsteam der Zeitschrift «neue Grafik» angehörten.
atelier-c7.de

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