Virtuose Grossformate

Jazz und Plakat – wann immer diese beiden Begriffe aufeinandertreffen, erscheinen im Kopf sofort die expressiven Arbeiten von Niklaus Troxler. Seine Plakate ziehen seit vielen Jahrzehnten Blicke magnetisch an, machen Rhythmus sicht- und soziale Themen spürbar. Die Passion für Gestaltung und eine nie endende Neugierde auf die Möglichkeiten des Ausdrucks gab er lange als Professor an der Staatlichen Akademie Stuttgart Studierenden weiter – und auch heute, mit 75 Jahren, experimentiert Niklaus Troxler immer noch mit ganzer Leidenschaft. Ein Gespräch über Jazz, Druck und natürlich über die Kunst, die Kraft des Plakats zu nutzen.

Bettina Schulz: Jazz und Plakate – die beiden Begriffen prägen dein kreatives Schaffen, oder?
Niklaus Troxler: Genau! Als ich mein Studium zum Grafiker anfing, begann ich auch, Jazzkonzerte zu organisieren. Ich erlernte also meinen Beruf gewissermassen gleichzeitig mit dem Organisieren von Konzerten.

«McCoy Tyner», 1980

Was fasziniert dich an dem einen, was an dem anderen und inwiefern ergibt das dann eine perfekte Symbiose für dich?
Alles, was mich am Jazz fasziniert – Improvisation, Komposition, Rhythmus, Klang, Kontrast, Individualität – interessiert mich auch im Grafikdesign. Die Diversitäten des Jazz, was sowohl die verschiedenen Interpreten wie auch die unterschiedlichen Stile betrifft, faszinieren mich. Ich weiss, dass es nicht den einen Stil gibt – und mir ist bewusst, dass es immer mehrere Lösungen für ein Problem gibt.

«Tania Maria», 1988

Was macht in deinen Augen ein gelungenes Plakat aus?
Eine mir oft gestellte Frage, auf die ich immer noch keine Antwort habe. Ich versuche jeweils, mir diesbezüglich die grösstmögliche Freiheit zu lassen. Sobald ich mich an einer Definition versuche, merke ich, dass es auch wieder nicht so sein muss. Also würde ich doch sagen: eine Botschaft visuell auf einen zweidimensionalen Nenner zu bringen, den Betrachter zu erreichen und ihm ein Interesse abzugewinnen. Dann ist schon viel erreicht.

Wir gehen an so vielen Plakaten achtlos vorbei, dass es schon ein Erfolg ist, wenn ich den Passanten dazu bringe, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Auf jeden Fall weiss ich, dass ein Plakat nicht zu «perfekt» sein darf. Für mich muss es eine gewisse Frische zeigen, so als ob die Gestaltung noch im Fluss ist oder eben erst gemacht wurde. Auch wenn es sich um ein zweidimensionales Medium handelt, will ich doch möglichst immer Bewegung reinbringen.

«Jazz Festival Willisau», 1976

Hat sich die Rolle dieses Mediums über die Jahre sehr verändert?
Bestimmt. Früher wollte ich Plakate, die eigens für Plakatwettbewerbe gestaltet wurden, partout nicht akzeptieren. Ein Plakat musste für mich unbedingt in der Strasse sichtbar aufgehangen sein. Heute denke ich da etwas anders. Ich weiss, welche Wirkung ein Plakat in den sozialen Medien – vor allem auf Instagram – erreichen kann. Wenn ich zum Beispiel 100 Exemplare öffentlich plakatiere, erreiche ich meine Zielgruppe in der zuständigen Region. Wenn ich es zusätzlich auf Instagram und Facebook zeige, erreiche ich weltweit eine Designercommunity in ungeahnter Anzahl, die mit meinem Plakat in Dialog tritt. Da hat sich tatsächlich etwas verändert.

Generell hat das Plakat seinen Stellenwert aber behalten und erfreut sich nach wie vor grosser Beliebtheit, sowohl in der Werbewirtschaft als auch für Kulturbetriebe. In der Schweiz sind wir hier besonders glücklich darüber. In einigen Ländern Europas wie Italien oder Belgien ist es fast ganz verschwunden, in anderen Nationen wie in Deutschland hängt es von der Politik der einzelnen Städte ab.

«Marty Ehrlich», Jazz Festival Willisau, 2006

Wie sieht es mit der Drucktechnik aus?
Auch hier hat sich Vieles verändert: Der Siebdruck wird zunehmend rarer, die meisten Plakate werden digital gedruckt. Ich bin nach wie vor ein grosser Siebdruckfan, aber da immer mehr Plakate in Leuchtkästen gezeigt werden, macht Siebdruck wenig Sinn.

Messeplakat Olma, 1994

Welche Bedeutung hat für dich der Druck deiner Plakate?
In meinen ersten Jahren war ich bei der Realisierung beim Drucker immer dabei. Aus zeitlichen Gründen unterliess ich dies dann während meiner überaktiven beruflichen Jahre.

Seit ich in meinem Rentneralter wieder mehr Zeit habe, fahre ich zur Drucklegung regelmässig zu Lézard Graphique bei Strassburg. Diese äusserst professionell arbeitenden Leute schätzen es, wenn ich beim Farb-
abmischen dabei bin. Für mich ist das jedes Mal ein Fest.

«Jazz Festival Willisau», 1992

Wie sieht es mit Printobjekten generell aus – wie digital oder analog ist dein Alltag?
Ich habe relativ spät angefangen – erst gegen Mitte der Neunziger Jahre –, mit dem Mac zu arbeiten. Es war für mich eine Offenbarung. Neue, ungeahnte Möglichkeiten taten sich mir auf, neue Gestaltungswege öffneten sich mir. Eine Zeitlang arbeitete ich dann ausschliesslich mit dem Computer, bis mir dann doch offensichtlich etwas fehlte. So spielte ich umso begeisterter mit alten manuellen Techniken wie Schablonen, Stempel, Tusche, Bleistift. In den letzten Jahren – nach meiner Emeritierung als Professor – arbeite ich intensiv mit schwarzen und bunten Klebebändern. Hier tat sich mir wieder eine neue Welt auf. Ich tape mittlerweile regelmässig in Performances mit Live-Jazz vor Publikum oder gestalte ganze Wände und Räume mit Klebebändern.

«Uli Kempendorff», 2014

Was rätst du den heutigen Designstudierenden: Sollten sich diese spezialisieren oder Generalisten werden?
Ich denke, jeder sollte sich die grösstmögliche Freiheit bewahren und muss sich seinen Weg selber suchen. Das Feld ist so breit und weit, dass es vielfältige Möglichkeit gibt, sich so individuell wie möglich zu entfalten. Wichtig ist, dass die Gestalter stetig nach neuen Wegen suchen, also vor allem viel experimentieren. Nur wer immer wieder nach neuen Resultaten sucht, hält seinen Beruf interessant! Ein Designerleben ist lang, und wir wollen doch ein Leben lang den Beruf interessant halten.

«Benz Oester and The Rainmakers», 2022

Was vermag ein Plakat heute noch zu leisten?
Das Plakat bleibt ein faszinierendes Werbemittel. Es trifft den Passanten unverhofft, kann ihn begeistern, ihn berühren. Schliesslich geht niemand auf die Strasse, um sich Plakate anzusehen. Vielmehr überrascht ein Plakat den Betrachter, nimmt ihn für sich ein. Da hat sich nichts verändert – ein geniales Medium!


Wenn du auf dein langes Schaffen zurückblickst: Auf welches Plakat bist du besonders stolz?
Oh, schwierig …vielleicht jenes, das ich 1992 für den ersten UN-Ökologiekongress in Rio de Janeiro gestaltet hatte: blutende Baumstümpfe auf grünem Hintergrund. Zu jenem Kongress wurden 30 Plakatgestalter aus 30 Ländern eingeladen, sozusagen für einen eigenen Designerkongress innerhalb des Weltkongresses. Die Veranstalter wollten dann mein Plakat erst gar nicht akzeptieren, da es zu «Brasilien-orientiert» war.

Nach dem Kongress druckte ich dann dieses Plakat in grosser Auflage und es wurde schweizweit durch die dominante Schweizer Plakatierungsgesellschaft ausgehängt. Es wurde in den Medien erwähnt, von Umweltorganisationen genutzt, es gab Postkarten und Sticker – eine unglaubliche Resonanz. In Japan wird es bis heute in einem Umweltkapitel eines Grundschulbuches gezeigt (alle Japaner kennen das Plakat), es gewann mehrere Designpreise und landete in vielen Designsammlungen.

«Dead Trees», Plakatbeitrag für den ersten UN-Ökologiekongress, 1992

Unglaublich! Würdest du zu guter Letzt den Satz vervollständigen: Kreativ zu sein bedeutet für dich …
… ständig nach Neuem zu suchen. 

  • Autor Bettina Schulz
    Bettina Schulz ist freiberufliche Texterin und Journalistin in München. 18 Jahre lang leitete sie als Chefredakteurin das internationale Fachmagazin novum World of Graphic Design und initiierte in dieser Zeit auch die alle zwei Jahre stattfindende Creative Paper Conference in München. Zudem ist sie Jurymitglied verschiedener (internationaler) Designwettbewerbe wie beispielsweise dem Red Dot Communication Design, dem Design Preis München oder dem IIIDaward und hielt bereits zahlreiche Vorträge. Zu ihren Kunden zählen Verlage, Agenturen und Kreative sowie Unternehmen aus der Wirtschaft. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Bereichen Papier, Druck und Veredelung. www.bettina-schulz.de.
  • Rubrik Design & Praxis
  • Dossier: Publisher 4-2022
  • Thema Plakate

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