«Ohne den Menschen gibt es die Farbe nicht»
Seit über 20 Jahren arbeitet Dr. Andreas Kraushaar im Forschungsinstitut der Druck- und Medienindustrie, kurz Fogra. Im PUBLISHER-Interview verrät Kraushaar unter anderem, wie sein «Daily Business» aussieht und was ihn an Farbe – auch nach zwei Jahrzehnten – immer noch fasziniert.
PUBLISHER: Herr Dr. Kraushaar, wie und wann sind Sie zum ersten Mal mit dem Thema Farbe in Berührung gekommen?
Dr. Ing. Andreas Kraushaar: Meine ersten Berührungspunkte mit den Farben hatte ich wohl bereits im Studium, als ich an der Uni Ilmenau Medientechnik studiert habe. Da gab es einen Professor in der Lichttechnik, der eine Vorlesung zum Thema Farbe – unter anderem über Goethe und dessen Farbenlehre, aber auch über technische Punkte – gehalten hat. Und das hat mich total geflasht, da war ich richtig fasziniert.
Wie sieht es mit dem Color Management aus? Was waren da die ersten Erfahrungen?
An der Uni Ilmenau gab es von Uni-Abgängern und Doktoranden immer Gastvorlesungen. Einer davon arbeitete bei ARRI in München und erzählte immer wieder von seiner Tätigkeit – MotionPicture, Kino und so weiter – und war auch auf der Suche nach Praktikanten. Auf dieses Praktikum hatte ich ihn dann angesprochen und habe es schliesslich auch bekommen.
So bin ich nach München gelangt und habe dann gesehen, wie Filme quasi noch konventionell auf Leinwand mit Zelluloid produziert wurden, obschon es bereits digitale Projektoren gab. Eines Tages wurde ich dann mit der Aufgabe betraut, den Filmlook mit digitalen Projektoren zu machen – und da fing es dann richtig an mit dem Color Management: Ich habe mich informiert, wie das geht und zusätzlich gesehen, dass es bei einer Diplomarbeit das Thema ICC-Color Management gab. Ich habe erfahren, dass dieses Verfahren von der Fogra stammt …
Ihr Start bei der Fogra?
Ich wusste anfänglich überhaupt nicht, was die Fogra ist, habe dann aber gesehen, dass die gerade einmal 800 Meter von meinem damaligen Wohnort beheimatet waren. Ich habe der Fogra dann ein Mail geschrieben, meine Probleme beschrieben und gefragt, ob sie mir eventuell helfen könnten. Die Antwort? «Ja klar, kommen Sie vorbei!»
Bei der Fogra hatte sich Herr Dr. Dolezalek, lange Zeit Leiter diverser Fogra-Abteilungen, dann extra für mich Zeit genommen, alle meine Fragen beantwortet und mich einfach extrem begeistert. Nachdem ich meine Diplomarbeit bei ARRI abgeschlossen hatte, fragte mich Dr. Dolezalek dann auch, ob ich nicht zur Fogra kommen wolle – ich hatte mich bei meinem Besuch offenbar nicht ganz so doof angestellt – und er war dort anschliessend noch für 4,5 Jahre mein Lehrmeister. Und davon zehre ich heute noch.
Sie haben in einem Interview erwähnt, dass Sie an der Farbe vor allem ihre Interdisziplinarität fasziniert, man also praktisch überall auf Farbe stösst. Ist das immer noch Ihre Passion? Oder hat die Arbeit bei der Fogra noch weitere, andere Leidenschaften entfacht?
Ja, das Interdisziplinäre ist sicherlich ein Punkt. Die verschiedenen Zugänge zur Farbe bemerke ich immer wieder bei der Deutschen farbwissenschaftlichen Gesellschaft (DfwG), von der ich damals für meine Diplomarbeit einen Förderpreis erhalten habe und bei der ich mittlerweile (ehrenamtlicher) Präsident bin: Es gibt künstlerische und eher empfindungsgemässe Verbindungen à la Goethe und dann existiert die naturwissenschaftliche Seite.
Das ist noch immer faszinierend: Wenn man Farbe wirklich verstehen will, braucht man keinen reinen Ingenieur, keinen reinen Psychologen – das funktioniert nicht. Man muss in verschiedenen Disziplinen versiert sein und die richtigen Fragen stellen, die richtigen physikalischen und mathematischen Grundlagen haben – und das ist ein Mix, den ich auch weiterhin sehr spannend finde.
Was ich bei der Thematik «Farbe» auch immens wichtig finde: Farbe ist keine Eigenschaft der Dinge, sondern eine Wahrnehmung – das wird oft missverstanden. Farbe ist nur eine an den Dingen wahrgenommene Eigenschaft. Das bedeutet wiederum, dass es keine Farbe gäbe, wenn es keine Person gibt, die etwas erfassen kann. Auch das begeistert mich immer noch.
An meiner Tätigkeit mag ich aber auch die experimentelle Komponente: Bei meinen ganzen Aufgaben kann ich mir Tüfteleien überlegen, ob die Farbe auch so passt – ob das nun im 2D- oder 3D-Druck, bei Proof-to-Druck, Bildschirm-zu-Druck oder Druck-zu-Druck ist. Das geht sogar – hier treffen wir wieder auf die Interdisziplinarität – über die Branchengrenzen hinaus. Wir helfen beispielsweise einer AR/VR (Augmented Reality/Virtual Reality)-Agentur oder dem LKA (Landeskriminalamt) München. Letztere verwenden unseren Medienkeil, sodass sie das Blut eines Tatorts farbgetreu abbilden können. Dann sieht man ggf. viel besser, wie alt das Blut ist und welche Melanome auf der Haut sind, was extrem förderlich ist.
Bei diesen vielen Anwendungen ist es den Leuten, etwa in 80-90 % der Fälle, relativ egal, wie die Farben aussehen, solange sie mehr oder weniger stimmen. Aber bei den 10-20 %, wo es drauf ankommt – wie eben beim Landeskriminalamt – da geht es wirklich um Farbgenauigkeit und das ist für mich ein weiterer Antrieb: Das, was man wahrnimmt, zu objektivieren. Wenn Leute sagen, «messtechnisch ist das gleich, aber ich sehe einen Unterschied» gilt es herauszufinden, warum das so ist, was genau passiert ist und was eventuell vergessen wurde.
Wie sieht Ihr Daily Business aus? Stehen Sie oft mit weissem Kittel im Labor und tüfteln oder ist das eher ein Bürojob?
Wir haben in unserem Labor praktisch nie einen weissen, sondern einen grauen Kittel an (lacht). Aber: Ich bin oft auch im Labor, weil ich die Sachen verstehen will – und nicht nur managen. Ich will selber anwenden, testen können und mache auch alle Experimente am Anfang selbst, um zu schauen, ob das vom Design her klappt.
Grundsätzlich lässt sich aber sagen: Die Vielfalt der Aufgaben ist ungemein gross – ich kann mir vorstellen, dass manch anderer überwältigt wäre. Ich mache Akquise, Kaltakquise, gebe Vorlesungen, stelle Forschungsanträge, halte als Präsident der DfwG einige Präsentationen und lese Masterarbeiten, um zu sehen, wer dort den Förderpreis gewinnt. Dann mache ich Reviews für die Color Imaging Konferenz und muss mich natürlich auch um mein Personal kümmern. Meine Arbeit ist also sicherlich sehr vielfältig und ich finde es auch toll, dass man nicht monothematisch unterwegs ist.
Sie sind inzwischen über 20 Jahre bei der Fogra aktiv. Was macht das Arbeiten bei und für das Forschungsinstitut so speziell?
Ich bin privat nebenher Fussballschiedsrichter – und in diese Rolle des Unparteiischen fällt die Fogra eigentlich auch: Wir wenden die Regeln der Branche nicht nur an, sondern bauen sie auch gemeinsam. Und das ist der grosse Unterschied bei der Fogra – wir haben praktisch zwei Hüte auf. Einerseits sind wir Forscher, andererseits selbst Anwender.
Wir machen also Anwendungsforschung und gleichzeitig Consultancy. Fast alle anderen sind entweder nur Berater oder nur Forscher, aber nicht beides. Und das ist ein Spagat, den wir hinkriegen müssen: Zum einen in Forschungspapieren den aktuellen Stand der Wissenschaft zu reflektieren und diese Sprache zu sprechen, andererseits Leuten dann aber zu sagen, was passiert, wenn sie in InDesign Knopf XY drücken. Das ist sicherlich eine Herausforderung, aber mir macht es Spass.
Schlussendlich suchen und forschen Sie in München nach Lösungen zu Branchenproblemen. Wo und wie finden Sie diese Probleme?
Die kurze Antwort heisst technischer Beirat (TB). Wir haben in der Fogra für verschiedenste Themenschwerpunkte – etwa Vorstufe, Offsetdruck, Digitaldruck oder Verpackung & Druckweiterverarbeitung – technische Beiräte. Das ist jeweils eine Gruppe, meist – aber nicht notwendigerweise – bestehend aus Fogra-Mitgliedern, die sich ein bis zwei Mal jährlich trifft und uns dann mitteilt, woran geforscht werden soll. Damit sind die TB-Sitzungen aus meiner Warte das wichtigste und wertvollste Organ der Fogra. Denn da werden die Ideen und Fragestellungen zutage gefördert, die ich dann priorisieren muss – ich kann ja nicht für jeden Vorstoss einen Forschungsantrag schreiben. Natürlich erkundige ich mich aber auch aus eigenem Antrieb bei Branchenteilnehmern, wo der Schuh drückt.
Gibt es eine generelle Schlagrichtung, in welche die aktuellen Forschungsprojekte der Fogra gehen?
Zum einen geben unsere Mitglieder natürlich eine Grundrichtung vor und da stehen Energieeffizienz und Nachhaltigkeit ganz gross im Raum. Unsere Aufgabe ist es hier, zu definieren, welche ganz konkreten Projekte wir dazu lancieren können respektive festzulegen, welchen Beitrag die Fogra dazu leisten kann. Wir können schlussendlich auch nur kleine Impulse setzen – alles geht nicht. Die Umweltthematik schreit vielleicht auch gerade nach Fogra-Arbeit, weil es besonders bei diesem Thema wichtig ist, einen neutralen Weg hinzukriegen. Aktuell hat gefühlt jeder seine eigene Agenda und schiebt sich die Systemgrenzen so hin, wie es ihm gerade passt – aber aus Sicht von Mutter Natur sieht es eher niemand.
Mein inhaltlicher Schwerpunkt ist allerdings das Thema Appearance, also das Erscheinungsbild eines Erzeugnisses. Dabei geht es nicht nur um die Farbe, sondern auch um andere Aspekte wie Körnigkeit (Graininess), Winkelabhängigkeit oder Transluzenz. Es beinhaltet das Verständnis, wie ich das gesamte Erscheinungsbild objektiv messen kann und kommuniziert bekomme. Das hat ganz viele Anwendungen und da ändert sich aktuell sehr viel, zumal die Disziplinen der industriellen Druckbranche ja zunehmend miteinander verschmelzen.
Meine Vision ist hier – und vielleicht ist es auch ein utopischer Gedanke – dass wir zum Kompetenzzentrum für Appearance werden. Will heissen: Wenn irgendwer weltweit eine Frage zum Erscheinungsbild einer Drucksache hat, kann er zur Fogra kommen, denn die haben Ahnung von Appearance und wissen, wie man das objektiviert – und nicht nur irgendwie diskutiert.
Wir hatten gemeinsam ja die Artikelserie über das Color Management gemacht. Basierend auf Ihren Erfahrungen: Was ist für Anwender die grösste Herausforderung beim Themenstrauss Color Management?
Die Anwendung und das Verständnis von dem, was schon hier ist. Würden die aktuellen Lösungen, die verfügbar sind, von Branchenteilnehmern verwendet, verschwänden die meisten Probleme.
Ich merke das speziell, wenn wir Gutachten anfertigen: Wenn der Druck etwa nicht zum Bild gepasst hat, etwas karbonisiert oder etwas ausgefranst ist, hätte man das meistens besser machen können, wenn man den Kunden nochmals gewarnt hätte. Oder – ein Satz, den ich von meinem Lehrmeister Dolezalek gelernt habe und den dieser schon vor über 20 Jahren geschrieben hat: «Wenn bei einem Auftrag auf einen farbverbindlichen Prüfdruck verzichtet wurde, dann ist das ein Zeichen dafür, dass die Qualität nicht an erster Stelle stand.» Diesen Satz schreibe ich immer wieder in die Gutachten, den müssen bei mir alle ertragen (lacht). Oft heisst es ja, dass der Proof extrem lange dauert und unnötig teuer ist. Das mag stimmen – aber es zeigt sich auch, warum er notwendig ist.
Ich sehe uns als Fogra in diesem Zusammenhang vielleicht auch als Wegbereiter. Es gibt Mittel – man denke da an PDF-X – um verschiedensten Problemen beizukommen, aber nicht jeder nimmt sie in Anspruch. Wir wollen diese Wege und Lösungen aufzeigen – deshalb haben wir auch immer Praktiker an unseren Symposien, die Herausforderungen erfolgreich überwunden haben. Dabei zeigt sich aber auch, dass meistens Missverständnisse oder fehlendes Verständnis, nicht etwa der Stand der Technik, die Herausforderungen sind – um Ihre Frage zu beantworten.
Was dürfen wir von der Fogra, speziell Ihrer Abteilung, in naher Zukunft erwarten?
Wir widmen uns aktuell unter anderem den «Inspirational Colors»: Dabei befassen wir uns mit portablen Farbmessgeräten, die ein ganz neues Ökosystem schaffen – ein Malermeister kann beispielsweise die Farbe einer Küchenfront scannen, damit ganz genau definieren, welche Tönung das ist – und dann etwa auch die Wand in der gleichen Farbe streichen.
Abweichungen aufgrund verschiedener Farbvorstellungen gehören damit der Vergangenheit an – so lösen die «Inspirational Colors» gleich auch ein grösseres Erschwernis der Druckindustrie: Print-Dienstleister kämpfen ja oft mit dem Problem, Dateien unbekannter Herkunft oder in unbefriedigender Qualität zu erhalten. Wenn die Datenlieferanten nun solche Messgeräte verwenden, spezifizieren sie – ohne es zu merken – viel genauer, was sie von Druckdienstleistern erwarten. Die ganze Thematik geht wirklich in Richtung «Farbe der Zukunft» und es wird spannend, das weiter zu begleiten und zu beobachten
Das Forschungsinstitut für Medientechnologie Fogra wurde vor 70 Jahren gegründet und verfolgt als eingetragener, gemeinnütziger Verein den Zweck, die Druck- und Medientechnik in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Anwendung zu fördern und die Ergebnisse für die Druckindustrie nutzbar zu machen. Die Fogra zählt rund 900 Mitglieder aus verschiedenen Feldern des Druckgewerbes und hat ihren Sitz in Aschheim bei München.
-
Autor
Patrick Schenk
- Rubrik Publishing
- Dossier: Publisher 4-2022
- Thema Fogra
Kommentieren