Welche Intelligenz?
Es geht heute wieder um die Werte der Demokratie, verbunden mit dem Freiheitsbegriff.
Freiheit bedeutet mündige Selbstverantwortung. Wir bestimmen unsere Regierungen selbst, jeder darf sich einbringen und kandidieren. Freiheit bedeutet Rede- und Pressefreiheit: Jede und jeder kann eine Meinung kundtun, sofern sie nicht rassistisch, sexistisch oder anderweitig verletzend ist.
Das Bekenntnis der Meinungsäusserungsfreiheit ist ein Bekenntnis zum Pluralismus der Meinungen, in dem das bessere Argument sticht. Pluralismus findet in der Natur sein Pendant – dort heisst er Diversität. Im Wirtschaftsleben pfeifen es die Professoren von den Dächern: diversifizieren, kein Klumpenrisiko! Gas aus Russland ist ein solches. Hat man da intelligent agiert?
«Urplötzlich» öffnet ein Verblendeter eine Kriegsfront. Niemand hat damit gerechnet – peinlich für alle Experten! Ein anderer schielt auf Taiwan und macht arme Länder mit riesigen Infrastrukturprojekten gefügig. In autokratisch regierten Ländern wird das Volk entmachtet. Menschen werden wie Vieh gehalten, Frauen versklavt. Die Allmacht liegt in den Händen eines einzelnen Mannes (nie einer Frau). Um ihn herum scharwenzelt eine Kohorte aus Nickern, Claqueuren und Profiteuren (nie Frauen).
Wie stehen die Zeichen in der Türkei, in Ungarn, in Polen, in der Ukraine, in Brasilien, in Italien, in den USA, in Nordkorea, in China, in Indien, in Tunesien? Diktaturen entstehen selten per Putsch, sie entwickeln sich langsam in einer Kultur des Achselzuckens, Wegsehens, Hinnehmens und der scheinbaren Ohnmacht im Kleinen. Social Media tut dabei auf lammfromm und spielt eine unrühmliche Rolle mit gezielter Desinformation und Fake News. Intelligenz lässt sich so oder so einsetzen.
Widerstand gehört zum Wesen einer aufgeklärten Gesellschaft. Und die Entwicklung wird im Kleinsten, bei uns allen gesteuert. So paradox es klingt – aber die grossen Probleme der Welt werden im Mikrokosmos der Individuen bestimmt. Wenn Mütter keine Plastikspielzeuge mehr kaufen, wird die Natur vom Müll oder vom CO2 aus der Verbrennung entlastet. Wenn wir alle unnützen Mails oder WhatsApps unterlassen, oder Computer ausschalten, sparen wir Kohlekraftwerke in Deutschland. Jedes kleinste millionenfache Tun hat seine Wirkungen im Grossen.
Die Folgen der globalen Wirtschaft, sprich Migration, Ausbeutung, Klimaerwärmung, Hitzeperioden, Dürre, Wassermangel, Waldbrände, machen sich immer deutlicher bemerkbar. Der Wind hat gedreht, die Bedrohung wird spürbar. Es ist nicht gut, Fertigungskapazitäten dorthin auszulagern, wo am billigsten produziert wird.
Irgendwie muss die Ware ja transportiert werden, ja richtig, mit stapelbaren Plastikverpackungen per Container und Lastwagen. Der Abfall landet zum Schluss im Meer, das CO2 in der Atmosphäre. Es ist nicht gut, Google als einzige Suchmaschine und Adobe als einzige Produktionsplattform zu benützen. Es ist ein klammes Gefühl, von Datenkraken observiert zu werden, auch von westlichen.
Intelligenz war bisher für die Dominanz des Homo Sapiens verantwortlich. Wer darin gut sein will, andere Menschen auszubeuten (in Armut zu halten, mit Billiglöhnen abzuspeisen, sie nicht am Wohlstand teilhaben zu lassen) und sich selbst im Wohlstand zu suhlen, der wird künstliche Intelligenz entwickeln und einsetzen. Wenn wir aber darin gut sein wollen, als Menschheit zu überleben, dann sollten wir auf allen Ebenen breit diversifizieren, kooperieren und einen hohen Selbstversorgungsgrad oder eine breit abgestützte sichere Versorgung anstreben. Mit menschlicher Intelligenz – vorausschauend, nachhaltig und für alle gerechter.
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Autor
Ralf Turtschi
Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet. - Rubrik Kolumne
- Dossier: Publisher 4-2022
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