«Kein Mensch hat damals an uns geglaubt»

2022 feiert die Online-Druckerei Flyerline ihr 20-jähriges Bestehen. Im PUBLISHER-Interview blickt Steffen Tomasi, Kopf des Unternehmens, auf die bewegte Firmengeschichte zurück – und offenbart dabei so manche Überraschung.

Hinter den Kulissen: Einblick in die Fertigungsräumlichkeiten der Flyerline.
Foto: Ulrike Sommer

PUBLISHER: Steffen, 20 Jahre Flyerline – herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum! Wenn du auf die letzten zwei Jahrzehnte zurückblickst: Welche Momente oder Eindrücke sind dir geblieben?
Steffen Tomasi: Bei Flyerline war es – Stichwort Business Innovations – immer das Ziel, Bedürfnisse zu finden. Und diese Flyerline-Idee ist schon 27 Jahre alt. Das wissen die wenigsten, weil wir es auch nicht gross nach aussen kommunizieren.

Damals war ich im Musikbusiness unterwegs – habe viele Events veranstaltet, selbst Musik gemacht, war als DJ tätig und auch sonst rund um die Welt unterwegs. Wir hatten, wie der ganze Event- und Gastronomiemarkt, ein extremes Bedürfnis an Drucksachen. Die waren aber unglaublich teuer und relativ schwer zu besorgen. Die Möglichkeit, am PC eine Grafik zu gestalten, war damals beispielsweise noch nicht gegeben – und die Software, die das gekonnt hätte, konntest du dir unmöglich leisten. Aber das Bedürfnis war klar: Grafiken erstellen und günstig drucken. Da haben wir uns gedacht: Das können wir auch einfacher machen.

Ich habe dann, damals noch in Deutschland, einen Katalog vorgefertigt, der lauter nummerierte Hintergründe und Schriftarten beinhaltete. Mit diesem bin ich zu Interessenten gegangen und habe gesagt: «Jetzt suchst du einfach für dein Event eine passende Grafik aus, sagst uns welche Nummer – suchst dir eine Schriftart aus, nennst uns auch dort die Nummer und schickst uns ein Fax mit dem Text. Wir setzen und drucken das dann.» So hat das angefangen. Damals haben wir nur Plakate und Flyer gemacht – und auch das nur nebenher, «Just for Fun». Der Fokus lag weiterhin auf der Musik.

2002 hast du aber doch Flyerline gegründet…
Genau. Woran ich mich immer noch lebhaft erinnere: Als ich Flyerline ins Leben gerufen habe – die Musik hatte ich inzwischen wegen des Internets (illegale Downloads o. ä.) aufgegeben – hat niemand daran geglaubt. Die Druckereien nicht, die Kunden nicht – niemand. Und anfänglich lief es auch nicht gut: Ich hatte zwar den Vorteil, dass ich dank meiner Zeit in der Musikbranche viele Kontakte und potenzielle Kunden hatte, aber das war zu wenig. Auch, weil wir von Sammelformen und vom Skalieren gelebt haben: Wir haben Masse gebraucht, damit wir am Schluss Geld verdient haben – und das hat nicht funktioniert. Als es dann doch bergauf ging – auch das ist mir geblieben – haben diejenigen, die anfangs meinten, es funktioniere sowieso nicht, sich rückblickend gefragt, warum sie es damals nicht gemacht haben. Oder: es einfach nachgemacht.

Und klar: Der Wechsel von der Vertriebsagentur zum Kauf der ersten Produktionsmaschine war ebenso erinnerungswürdig. Es war ja nie die Idee, das überhaupt jemals zu machen. Und doch haben wir sechs Jahre nach der Gründung die erste Digitaldruckmaschine gekauft. Selbiges mit einer Rollenmaschine für Plakate: Das war für Flyerline ein unglaublicher Umbruch, weil man plötzlich selbst produziert hat – mit einer Technologie, von der ich null Ahnung hatte.

Aussenansicht des Flyerline-Gebäudes in Altnau.
Foto: Ulrike Sommer

Was würdest du deinem 20 Jahre jüngeren Ich für einen Ratschlag geben?
Mach es genau gleich (lacht). Wirklich. Einfach machen, gar nicht gross darüber nachdenken. An den ganzen Fragestellungen – wohin geht das, welche Herausforderungen erwarten uns etc. –, die man beim Nachdenken ausbrütet, kann man sich auch den Kopf zerbrechen. Oder man zerbricht sogar selbst daran. Und dann setzt man das Vorgenommene sowieso nicht in die Tat um.

Ihr bezeichnet euch als die führende Online-Druckerei und könnt euch seit 20 Jahren sehr gut am Markt behaupten. Was ist euer Erfolgsrezept?
Ich verwende dieses Argument nicht so gerne, aber viele meinen: Wir sind der «First Mover» und haben alleine dadurch einige Vorteile. Nur: wenn du diese Stellung inne hast, musst du sie ja auch behaupten.

Ein Erfolgsrezept von uns ist sicherlich – und das leben wir auch – die Innovation, der «Forever Start-up»-Gedanke: Wir hören dem Kunden zu und entwickeln uns mit ihm permanent weiter. So haben wir eigentlich einen andauernden Change-Prozess im Hause. Das ist sehr anspruchsvoll, auch fürs Team, aber die Leute lieben das – es ist immer alles irgendwie neu und anders: Neue Produkte, neue Maschinen etc. Wir sind ständig in der Entwicklung.

Der Innovationsgedanke zieht sich durch unsere gesamte Firmengeschichte. Ein Beispiel: Wir haben 2002 gestartet und bereits kurz darauf kamen die ersten anderen Anbieter. Plötzlich sprachen alle von online – auch diejenigen, die anfangs nicht daran geglaubt hatten. Ich habe mir dann schon überlegt: «Okay, wenn das jetzt jeder macht – was kommt dann?» Entsprechend habe ich 2005 angefangen, einen internen Innendienst aufzubauen, um auch individuelle Drucksachen anzubieten. Stand heute sind wir da 50/50 aufgebaut – wir machen also 50 % online und 50 % ganz normales Business bei uns. Das wissen tatsächlich nur die wenigsten.

Dieses Suchen nach und Machen von neuen Dingen, da sind wir immer wieder vorne mit dabei – und das ist aus meiner Warte auch etwas, was uns auszeichnet.

Stetige Produktinnovation zeichnet Flyerline aus. Sei das mit Verpackungen für Hofladenprodukte…
… oder Behältnissen für Take-Away.


Würdest du einer Druckerei heute noch empfehlen, einen Online-Shop aufzubauen – auch, wenn einen das Gefühl beschleicht, dass man «zu spät» ist?
Auf alle Fälle. Das ist die Gegenwart und bleibt Zukunft – auch wenn sich einiges wandeln wird: Früher sprachen wir vom Webshop am PC und mittlerweile reden wir ja schon von sprachgesteuerten Bestellprozessen via Alexa oder Siri.

Ich glaube, auch eine Druckerei muss den Vertriebskanal online definitiv ernst nehmen. Die Frage ist eher, wie innovativ das fragliche Unternehmen ist und wie zukunftsträchtig dessen Geschäftsidee ist. Qualität setzen wir voraus, Schnelligkeit ebenso. Also: Was macht das Unternehmen online anders als die Mitbewerber? Kopiert es nur von anderen oder bietet es den Kunden etwas Spezielles, Neues? Im zweiten Fall ist es sicherlich möglich, ein neues Geschäft aufzubauen und neue Abnehmer zu akquirieren. Ansonsten würde ich behaupten: Der Kuchen ist verteilt.

Wie bewertest du die aktuelle Situation mit Versorgungskrisen, drohenden Stromengpässen – oder auch rückblickend auf die Corona-Krise?
Wenn ich sehe, was teilweise ausserhalb der Landesgrenzen passiert, bin ich wirklich froh, hier zu sein. Die Schweiz ist auf allen Ebenen sehr stabil, das wissen und schätzen wir. Man sieht das gerade in dieser Krisenzeit: Die Wirtschaft operiert seit jeher mit dem Euro-Franken-Verhältnis und das ist momentan ja extrem – es jammert aber niemand. Chapeau!

Ich glaube, es ist in den letzten zwei, drei Jahren in den Köpfen etwas passiert, was ich wunderbar finde: Ein innovatives Krisenmanagement. Bei Flyerline habe ich das selbst gerade während der Corona-Pandemie erlebt: Wir hatten natürlich eine massive Baisse – dabei waren der Januar und Februar 2020 noch unsere besten Monate seit Firmenbestehen.

Aber im März kann der Lockdown und dann waren die Schotten dicht. Da haben wir uns schon gefragt: Was machen wir? Was könnten unsere Maschinen sonst noch herstellen? Nach zwei Wochen Schock haben wir innerhalb von 48 Stunden ein Corona-Sortiment auf die Beine gestellt. Von da an haben wir monatelang etwa Maskenpflicht-Plakate, Spuckschutzwände, Aufkleber oder Maskentaschen produziert. Dadurch konnten wir die Umsatzeinbussen zu grossen Teilen kompensieren. Die Taschen haben wir uns dabei nicht voll gemacht, weil wir uns auch gesagt haben: «Wir machen das zu kleinen Margen, haben aber Arbeit und können etwas produzieren.»

Die gesamte Corona-Zeit haben wir auch dafür verwendet, unseren neuen Webshop endlich fertigzustellen und Innovationen im Packaging-Bereich – der bis vor der Krise eher stiefmütterlich ausgestaltet war – auf den Markt zu bringen. In die Verpackungs-Sparte werden wir auch zukünftig investieren. Zudem haben wir uns eine Indigo gekauft, also nochmals viel aufgewendet. Wir waren ja immer der Überzeugung, dass es weitergeht – die Frage war nur, wie. Rückblickend kann ich sagen: Unsere Strategie ist aufgegangen. Während der Offsetdruck bei uns eine Seitwärtsbewegung gemacht hat und stabil bleibt, geht der Digitaldruck durch die Decke.

Eine lohnende Investition: In Altnau steht seit August 2021 eine HP Indigo 100K Digital Press

Ist der Packaging-Bereich für euch also Teil der Wachstumsstrategie?
Packaging ist sicherlich ein Wachstumsmarkt. Wir gehen da noch einen Schritt weiter und sprechen in diesem Kontext auch von PoS-Artikeln, Displays und Co. – also ebenso von Werbetechnik. In dieser Sparte waren wir ja schon immer vertreten und die Hinzunahme der Verpackungen passt sehr gut.

Was hat sich in den letzten 20 Jahren sonst generell im Arbeitsumfeld verändert?
Der Mitbewerberdruck ist natürlich riesig. Es gibt ganz viele grosse Konkurrenten, sowohl national als auch aus dem Ausland. Sorgen, Angst oder dergleichen löst das bei mir aber nicht aus. Das ist einfach eine Marktentwicklung – und eine, welche die Printbranche nicht einmal exklusiv hat. Wir können mit der Situation umgehen, spüren den Druck aber auf alle Fälle.

Was sich im Vergleich zu früher sicherlich auch verändert hat: Die Preise sind gesunken und die Margen sind schmaler geworden, wobei letztere schon immer schmal waren. Deshalb ist es umso wichtiger, dass man seine Prozesse im Griff hat. Wir automatisieren mittlerweile ganz viel, weil sich dadurch extrem Kosten sparen lassen. Das hatten wir vor 15 oder 20 Jahren sicherlich nicht in der Tiefe und Komplexität auf dem Schirm.

Du hast den Start-up-Charakter deines Unternehmens erwähnt. Wie äussert sich dieser im täglichen Betrieb?
Sicherlich durch flache Hierarchien. Wir haben eine sehr eigenverantwortliche Führungskultur, das heisst, unsere Leute werden alle mit extrem viel Spielraum geführt. Natürlich gibt es Chefs und Abteilungsleiter, aber die werden nicht so wahrgenommen. Die Belegschaft darf innovativ sein und ist sogar dazu aufgefordert, wenn es um Änderungen geht. Wir hören jedem einzelnen zu, prüfen seine Ideen und setzen sie um, wenn es Sinn macht – das gilt auf allen Prozess- und Produktionsebenen.

Dann ist auf alle Fälle unsere Fehlerkultur hervorzuheben. Ich sage: Getrau dich, Fehler zu machen. Denn: Jemand, der gar keine Fehler macht, tut in der Regel auch nicht wahnsinnig viel. Genau deshalb animieren wir die Leute dazu: Macht einfach. Das schätzen unsere Mitarbeitenden und begleiten diesen Gedanken mittlerweile auch ausnahmslos. Das gilt übrigens auch für mich.

Im letzten Interview (PUBLISHER 18-1) meintest du, dass du deine Aufgaben sukzessive an dein Team abgibst und dich auch neue Aufgaben locken…
Wir haben Flyerline 2016 an die Elco verkauft und da war Teil des Deals, dass ich dem Unternehmen noch einige Jahre erhalten bleibe. Ich hatte auch wirklich geplant, mich danach, 2020, auszuklinken – ohne böses Blut, sondern eher im Sinne: «Ich mag nach fast 20 Jahren was anderes machen.» Und dann kam Corona. Da habe ich mir gedacht, dass ich jetzt nicht gehen kann – und bin zum Schluss gekommen, dass ich bleibe. Auch vonseiten der Elco-Inhaberfamilie habe ich klar gespürt, dass sie sich einen Verbleib wünschen.

Ich hatte schon damals und habe auch jetzt ohnehin keinen Grund zu gehen. Mir macht es nach wie vor Spass hier – ich schalte und walte wie immer. Die einzige Veränderung, die es in dieser Angelegenheit gegeben hat: Ursprünglich war der Plan, dass ich irgendwann den Hut nehme. Inzwischen habe ich keinen Plan mehr. Natürlich werde ich nicht ewig bleiben, aber von Bord zu gehen, ist aktuell kein Thema mehr. 

Steffen Tomasi startete seine Karriere als erfolgreicher Macher in der Musikbranche, bevor er 2002 als unzufriedener Printeinkäufer den Spiess umdrehte und kurzerhand die Flyerline gründete. Er ist der Mastermind hinter den Kulissen und scheut sich nicht davor, das Geschäftsmodell einer Online-Druckerei immer wieder neu zu erfinden. Den Ausgleich zum schnellen Business findet Steffen Tomasi bei allem, was noch mehr PS hat oder ganz entspannt in der Natur beim Skifahren, Mountainbiken und auf dem Bodensee.

  • Autor Laurent Gachnang
    Laurent Gachnang ist seit über 15 Jahren in der Medien- und Unterhaltungsindustrie tätig. Er gilt als Experte für digitales Publizieren und Online Marketing. Zuletzt arbeitete er bei einem Medienunternehmen als Marketingverantwortlicher und war massgeblich an der Lancierung eines Change-Prozesses beteiligt. Als Gastdozent ist er an diversen Fachhochschulen sowie ehrenamtlich als Mentor bei der Startup Academy Basel tätig.
  • Rubrik Print
  • Dossier: Publisher 5-2022
  • Thema Flyerline

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