Die verlaufenden Verläufe

Seit Adobe auf das Mietmodell setzt, werden anders verpackte Funktionen immer wieder als Neuerungen angepriesen. So auch bei den Freihandverläufen, denn Illustrator besitzt seit Langem eine Gitterfunktion. Wo liegen die Unterschiede? 

Das Gute vorweg: Die Freihandverläufe sind praktisch. Sie sind jedoch keine Notwendigkeit. Denn Illustrator kennt bereits die Gitterfunktion. Bei der neuen Version 23 fällt einmal mehr auf, dass Adobe bestehende Funktionen gerne einfach anders verpackt. Dieser alte Wein in neuen Schläuchen wird bei der Veröffentlichung «vom Land der freien Menschen» als bahnbrechende Neuerung rund um den Globus befeuert. Eine weltweit aufgebaute Heerschar treu ergebener Blogger/-innen hauen umgehend diese Botschaften ungefiltert in die Tasten.

Auch die neue globale Bearbeitung, also dass man Änderungen an alle Objekte übertragen kann, kennt Illustrator mit den Symbolen bereits aus dem letzten Jahrtausend. Und das neue Bedienfeld Eigenschaften ist zwar praktisch, doch mit gespeicherten Arbeitsbereichen und dem Steuerungsbedienfeld auch keine wirkliche Notwendigkeit. Dagegen bleibt einmal mehr die völlig veraltete Diagrammfunktion auf der Strecke. Doch schauen wir uns hier die herausragenden Freihandverläufe im Detail an.

Farbübergänge auf Punkten

Bis anhin kannte Illustrator für die Füllung einer Form oder auch deren Umrandung den linearen und den kreisförmigen Farbverlauf. Im Laufe der Zeit wurde das Verlaufwerkzeug mit der praktischen Bearbeitungsmethode direkt auf dem Objekt aufgewertet. Nun steht für die Füllung einer Form im Bedienfeld Verlauf mit Freihandverlauf eine weitere Verlaufsart zur Auswahl.

Das Bedienfeld Verlauf unterscheidet bei Freihandverläufen zwischen Punkten und Linien. Bei der Variante Punkte klickt man einfach in die Füllung einer Form. Ein ausgewählter Punkt kann danach über das Bedienfeld Farbfelder oder aus dem Bedienfeld Verlauf mit einem Doppelklick auf das Symbol Stopp mit Farbe befüllt werden. Man kann beliebig viele Übergänge von Farben in einer Form verwenden. Jede der beigefügten Farben eines Punktverlaufs kann eine reduzierte Deckkraft aufweisen. Auch ist die Ausdehnung einer Farbe einstellbar. Dies wird als Überfüllen bezeichnet und kann über das Bedienfeld Verlauf oder auch direkt auf dem Verlaufspunkt – durch Ziehen des gestichelten Kreises – vorgenommen werden.

Nach einer erneuten Objektauswahl bleiben die Punkte im Freihandverlauf erst einmal unsichtbar. Um die Punkte wieder zum Vorschein zu bringen, klickt man im Bedienfeld Verlauf auf Verlauf bearbeiten. So können bestehende Punkte bearbeitet, entfernt oder neue hinzugefügt werden.

Farbübergänge auf Linien

Der Verlaufstyp Linien besteht im Prinzip mit beinahe denselben Eigenschaften ebenfalls aus Punkten. Nur ist es bei diesem Verlaufstyp so, dass man durch das Hinzufügen zwischen den Punkten eine Verbindungslinie erhält. Das Setzen von Linien ist praktisch, um beispielsweise auf einer Strecke die Reflexion von Lichtern in einer helleren Farbe oder gar in Weiss darzustellen. Die Punkte innerhalb einer Linie können im Gegensatz zum Punktverlaufstyp nicht in der Ausdehnung der Farbe, also der Überfüllung eingestellt werden. Irritierend ist jedoch, dass man beim Linienverlaufstyp nur jeweils einen Punkt auswählen kann. Um eine Reflexion über die gesamte Strecke einzugeben, muss man aber alle oder zumindest mehrere Punkte auswählen. Das gelingt nur, wenn man wieder auf den Verlaufstyp Punkte umschaltet. Erst jetzt können mit gedrückter Shift-Taste mehrere Punkte auf einer Linie ausgewählt und danach umgefärbt oder bearbeitet werden.

Freihandverläufe kann man nicht wie die anderen Verlaufs­arten in den Farbfeldern speichern. Um einen Freihandverlauf für andere Verwendungen zu speichern, erstellt man im Bedienfeld Grafikstile einen neuen Grafikstil des ausgewählten Objekts.

Einfachere Einsatzgebiete

Die Einsatzgebiete der Freihandverläufe sind vielseitig. Das reicht von bunten Hintergründen bis zur Ausarbeitung hochwertiger plastischer Illustrationen mit den dazu notwendigen Licht- und Schatteneffekten. Doch gerade bei den komplexen Aufgaben kommen die Freihandverläufe auch an ihre Grenzen. So ist es umständlich, erst den Bearbeitungsmodus und dann noch die Zeichnungsart, also ob Punkt- oder Linienfreihandverlauf, zuzuschalten. Eine Verlaufslinie kann auch nicht über andere Linien geführt werden. Obwohl man in den Voreinstellungen Auswahl- und Ankerpunktanzeige die Grösse der Symbole einstellen kann, sind die Freihandverläufe für kleine Objekte eher umständlich in der Anwendung. Das Setzen, Verschieben und Bearbeiten von Punkten und Linien ist mühsam. Auch vermisst man die Möglichkeit, ein Farbfeld direkt auf einen Verlaufspunkt zu ziehen. Noch besser wäre, wenn ein Farbfeld im Verlaufsbearbeitungsmodus automatisch im Objekt einen neuen Verlaufspunkt ergeben würde. Immerhin wird mit der Pipette aus dem Bedienfeld Verlauf eine aufgenommene Farbe dem ausgewählten Verlaufspunkt übertragen.

Vorteil Gitter

Das bewährte Gitterwerkzeug unterteilt eine Form in ein Gitternetz. Dieses lässt sich präzise ausrichten, beispielsweise nach den Übergängen von Lichtern und Schatten. Eingefärbte Gitterpunkte und die Gitterflächen lassen sich auch transparent gestalten. Der grosse Vorteil von Gittern ist, dass man ein Gitterobjekt nachträglich als gesamtes anders einfärben kann. Das ist oft nötig, will man beispielsweise ein weiter hinten liegendes Objekt ein wenig dunkler gestalten.

Leider funktionieren bei den Freihandverläufen die Farbbearbeitungsbefehle wie Bildmaterial neu färben nicht. Kaum jemand hat Lust, die vielen Punkte einzeln umzufärben.

Weiter unterscheiden sich Gitter und Freihandverläufe in der Pfadansicht. In einer Pfadansicht bleibt ein Gitternetz erhalten und kann beispielsweise über einem Vorlagebild präzise ausgerichtet werden. Bei einem Freihandverlauf schaut man in der Pfadansicht ins Leere.

Kommentieren

6 + = 11

*Pflichtfelder

Ihre Persoenlichen Daten werden nicht veroeffentlicht oder weitergegeben.