Der Traumberuf

Wer in der Publishing-Szene Fuss fassen möchte, ganz gleich ob mit einer EFZ-Ausbildung, als Quereinsteigerin, als Autodidakt, als Freelancer, Selfpublisher, Influencerin oder Neuunternehmer, steht vor einem doppel­bödigen Markt. Die einen sprechen von papierloser Kommunikation, andere rufen: Papier wird es immer geben! Betriebe und Angestellte der Branche schrumpfen wie die Gletscher. Schrumpfen? Was niemand zählt, sind die Werktätigen, die Kreativen, die fern aller Statistiken munter den Markt aufmischen. Da sind all die IT-Leute, die Oberflächen gestalten, Fotografen, die Videos herstellen, Marketingfachleute, die InDesign bedienen, und Hotelfachangestellte, die Blogs und Newsfeeds beschicken. Bei der KV-Prüfung wird das Aussehen von Dokumenten wie Bewerbungsschreiben oder Diplomarbeiten geschult und im Zeugnis bewertet. Niemand kann die Berufstätigen in der Publishing-Szene erfassen. Selbst im Dunstkreis von Gewerkschaft und Verbänden findet eine wilde Durchmischung von bisher fest zugeordneten Tätigkeiten statt: Gestaltung ist auch bei den neuen Medientechnologen ein Thema und Mediamatiker mischen fröhlich die langweiligen PowerPoint-Präsentationen auf, während die Polygrafen eine Digitaldruckmaschine beschicken. Jeder macht alles.

Von allem etwas, aber nichts richtig

Der Treiber heisst Digitalisierung. Die immateriellen Datenströme erlauben jedermann, daran teilzuhaben. Und es ist dem Markt gleichgültig, ob Dienstleistungen in St. Petersburg, Shenzen oder Langenthal erbracht werden. Fühlen wir daraus eine Bedrohung, eine Herausforderung oder eine Chance? Freelancer mit einem Mac auf dem Küchentisch sind weit beweglicher als Druckereien mit Maschinenpark und Personalkosten. Beweglichkeit bedeutet: Man probiert etwas aus, wenns nicht klappt, macht man morgen halt etwas anderes – auf einem anderen Küchentisch.

Für das Preisgefüge der Anbieter ist dies fatal. Vor 35 Jahren gab es einen festen Tarif des damaligen Buchdruckervereins, nach dem alle angeschlossenen Drucker ihre Preise berechneten. Und die meisten waren angeschlossen. Jede Arbeitsposition wurde mit einem bestimmten Stundenansatz honoriert, schweizweit. Heute spielen solche Überlegungen keine Rolle. Der Markt macht die Preise – gut für die Konsumenten, schlecht für die Leistungserbringer. Logodesign oder eine Website konnte in den 90ern 50 000 Franken einbringen. Heute kauft man ein Logo im Internet für 20 Franken, die Internetsite bestückt man, auf Templates basierend, ohne Programmierkenntnisse selbst. Publizieren ist auf allen Ebenen und in allen Kanälen ein internationales Billigmassengeschäft mit diffusen Grenzen geworden. Und man findet immer einen, der es noch billiger macht und bessere Kommunikationserfolge verspricht. Big-Data-Plattformen ermöglichen Vergleiche und zügeln einen Teil des Gewinns ab. Ganz toll herumhetzen und dabei nichts mehr verdienen, ist nicht gerade, was Berufseinsteiger zuerst erfahren. Während die Ausbildung immer mehr «verallgemeinert» wird, sind es die hochgradigen Spezialisten, die mit Alleinstellungsmerkmalen gutes Geld verdienen. Die Aus- und Weiterbildung der Publishing-Berufe muss «Marktfähigkeit» zum Ziel haben. Es liegt an den Unternehmen und Gremien, daran zu denken. Attraktivität heisst nicht nur Spass und Erfüllung, sondern auch Verdienst.

  • Autor Ralf Turtschi
    Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
    tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet.
  • Rubrik Kolumne
  • Dossier: Publisher 3-2019

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