Dynamik ins Bild bringen: Bewegungsunschärfe
Alle sind bestrebt, gute Fotos zu machen: Fotografinnen, Journalisten, Layouter oder Bildverarbeiterinnen. Für ein gutes Bild werden verschiedene Definitionen herangezogen, eine davon handelt von der Auffälligkeit.
Unschärfe ist ein Gestaltungsmittel, welches automatisch durch die Blendenwahl entsteht. Je offener die Blende, desto weniger gross ist die scharf abgebildete Zone. Die Blendenunschärfe ist ein beliebtes Stilmittel, die auch als Bokeh bezeichnet wird. Das scharfe Motiv wird vom unscharfen Grund getrennt, wie Fotografen sagen: freigestellt. Um diese optisch-technische Unschärfe geht es mir aber heute nicht, sondern um eine willentliche Unschärfe, die durch Bewegung entsteht. Dabei wird in Kauf genommen, dass das Motiv gänzlich unscharf erscheint. Der künstlerische Wischeffekt mit knalligen Farben schafft eigenwillige und auffällige Bildkompositionen in hoher Abstraktion.
Nun, wie entsteht Bewegungsunschärfe? Indem sich entweder das Motiv oder der Fotograf oder beide während der Aufnahmedauer bewegen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, ein Zoomobjektiv während der Aufnahme zu zoomen. Um Bewegungsunschärfe zu erhalten, fotografiere ich mit der Blendenautomatik (Zeitvorwahl). Die ideale Belichtungszeit kann durch Ausprobieren ermittelt werden. Je schneller die Bewegung ist, desto verwischter und unkenntlicher ist die Aufnahme. Je näher der Fotograf am Motiv, desto effektvoller sieht es aus. Die weitwinkligen Objektive sind dafür besser geeignet als die langen Brennweiten.
Wer einmal mit einem solchen Bildstil beginnen möchte, der kann in der Natur- oder Makrofotografie starten. Dort ist das Motiv unbewegt, und die Kamera wird ein klein wenig während der Aufnahme geschwenkt. Am Display kann begutachtet werden, wie der Wischeffekt aussieht: horizontal, vertikal, diagonal oder geschwungen. Die Blende und der ISO-Wert steuern dabei die richtige Belichtung. Beginne mit etwa 1/10 Sekunde und verlängere die Belichtungszeit bis zu einer Sekunde. Ein Stativ kann helfen, den Wischeffekt zu stabilisieren und gradlinig vertikal auszurichten. Solche Bilder entfalten auch einen Reiz, wenn Doppelbelichtungen vorliegen und zum Beispiel ein scharfes Bild mit einem unscharfen kombiniert werden.
Etwas anspruchsvoller sind Aufnahmen, bei denen sich das Motiv bewegt. Hier sollte der Autofokus auf «kontinuierlich» eingestellt werden, damit die Kamera ständig nachfokussiert. Die «richtige» Belichtungszeit finde ich immer mit Ausprobieren heraus. Es kommt auf die Distanz zum Motiv und dessen Geschwindigkeit an, ob sich das Motiv auf die Kamera zubewegt oder ob ich es seitlich erwische, wenn es quer zur Blickrichtung durch den Sucher flitzt. Beim kreativen Fotografieren kannst du fast nichts falsch machen. Die Unschärfen entstehen zufällig und sehen meistens toll aus. Mit der Zeit lernst du, auch die Farben mit einzubeziehen und mögliche Wischeffekte im Vornherein zu erahnen. Die Methode erfordert ein Stativ, sobald der Hintergrund scharf abgebildet sein soll, während das Motiv unscharf durch das Bild schiesst. Freihändig fotografiert niemand scharfe Hintergründe mit 1/10 Sekunde.
Die Königsdisziplin in Sachen Wischfoto ist das Mitziehen der Kamera während der Aufnahme. Dabei wird das Motiv scharf abgebildet, während der Hintergrund verwischt dargestellt ist. Das eingefrorene Bild kontrastiert mit dem verwischten Grund. Allerdings erfordert das freihändige Mitziehen grosse Erfahrung und Übung. Ich selbst stehe beim Motocross am Pistenrand und mache Dutzende von Versuchen, bis dann ein paar davon brauchbar sind. Zuweilen stehe ich ebenso verdreckt da, wie die Fahrer selbst … Aber das gehört wohl einfach dazu. Noch einen Zacken abstrakter wirken Bilder, bei denen sich die Motive (wie die Gokarts oben) schnell bewegen, gleichzeitig die Kamera mitgezogen wird und zusätzlich am Zoomring gedreht wird. Daraus entstehen Bilder wie Gemälde. Die Gokart-Serie entstand in der Kartbahn in Spreitenbach bei Zürich. Die Karts fahren mit bis 60 km/h an mir vorbei, ich stehe hinter der Bande mit einem Abstand von etwa zwei Metern. Bei solchen Indoor-Sportanlagen kann man sich einrichten und ausprobieren, ohne dass sich die Belichtungsbedingungen oder die Motive dauernd ändern. In einem Velodrom lässt es sich einfacher arbeiten als in einem Skaterpark, weil die Motive immer am gleichen Ort auftauchen und die eigene Bewegung besser kontrolliert und variiert werden kann.
Making-of mit Filter «Bewegungsunschärfe»
Effektvolle Unschärfen kann man auch mit statischen Bildern erzielen. In Photoshop findet man im Menü Filter unter Weichzeichnungsfilter den Filter Bewegungsunschärfe.
Bewegungsunschärfe mit Photoshop
Wer nicht selbst fotografiert, kann Photoshop benützen, um Bewegungsunschärfe zu erzielen. Im Kasten oben zeige ich auf, welches Potenzial in diesem Filter liegt, man braucht dafür nicht einmal Sportaufnahmen, es eignen sich auch Natur- oder Architekturbilder dafür.
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Autor
Ralf Turtschi
Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet. - Rubrik Design & Praxis
- Dossier: Publisher 1-2020
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