Ab jetzt spielen wir live

Das neueste Update von Adobe ­Illustrator hat uns eine Funktion gebracht, die längst überfällig war: Änderungen werden sofort und nicht wie bisher erst nach dem ­Loslassen der Maustaste dargestellt. ­Darüber hinaus ist das Frei-Transformieren-Werkzeug praktischer geworden.

Wenn Sie schon länger dabei sind, können Sie sich sicher noch an das Rauschen im fachspezifischen Blätterwald erinnern, jedes Mal, wenn Adobe ein Upgrade eines Programms angekündigt hat. Als Photoshop, InDesign und Illustrator noch den Nachnamen Creative Suite (CS) trugen, war das alle ein bis zwei Jahre der Fall. Seit 2011 aus dem «Koffer» eine «Wolke» (Creative Cloud, CC) geworden ist, geschehen die Updates und Upgrades nur mehr unter mässiger Beachtung. Das ist an sich kein Wunder. Die Jahre der Revolutionen liegen hinter uns, die Entwicklung ist bestenfalls Evolution geworden. Ausserdem rechtfertigt ein Ereignis, das jetzt zweimal jährlich stattfindet, auch nicht dieselbe Schlagzeile wie eins, das alle zwei Jahre eintritt.

Manchmal ist es für mich unter CC etwas schwer nachvollziehbar, welche Kriterien Adobe anlegt, um die Versionsnummer nach oder vor dem Komma anwachsen zu lassen – ich mutmasse, es hängt von der Jahreszeit ab. Die Frage stellt sich mir auch mit dem Illustrator-Update vom März 2020: Was wir in diesem Frühjahr als kleines Update serviert bekommen, scheint mir für die Praxis relevanter, als die Neuerungen des vorangegangenen Novembers, mit denen die Versionsnummer von 23 auf 24 voranschritt. Damals wurden wir beglückt mit einer Pfad-Vereinfachungsfunktion, der automatischen Rechtschreibprüfung und der Möglichkeit, im Hintergrund zu speichern und zu exportieren. Auswirkungen auf meine tägliche Arbeit hatte das nicht. Beim März-Update dieses Jahres sieht es anders aus.

Oft sind es die kleinen Dinge, die das Leben erleichtern. Das gilt auch für die Arbeit mit Software. Viele neue «Wunderfunktionen», die dem Publikum bei der Vorstellung bewundernde Ahs und Ohs entlocken, haben in der Gestaltungspraxis wenig Relevanz – ich erinnere an Photoshops «Inhaltsbasiert skalieren» vor Jahren. Dagegen möchte ich andere, bei der Vorstellung eher beiläufig erwähnte Werkzeuge wie das Schnellauswahl-Werkzeug von Photoshop nicht mehr aus meinem Alltag wegdenken.

Wenn Sie eine Angleichen-Gruppe mit dem Ankerpunkt-Werkzeug bearbeiten, erhalten Sie eine Live-Vorschau, bei der Bearbeitung der Gruppe mit dem Direktauswahl-Werkzeug hingegen nicht.

Als unbedeutende Kleinigkeit kann einem vielleicht Illustrators neue Funktion «Zeichnen in Echtzeit» erscheinen. Wenn Sie in InDesign ein Objekt bearbeiten – beispielsweise verschieben oder drehen –, dann geschieht das unter Anzeige des kompletten Inhalts, sofern Sie die Maustaste einen Moment gedrückt halten, bevor Sie die Aktion ausführen. Ich kann mich nicht erinnern, dass dies einmal anders war. In Illustrator hingegen vermisste man Vergleichbares. Bis jetzt!

Als ich nun von der entsprechenden Neuerung in Illustrator erfuhr, wollte ich sie gleich testen. Leider jedoch zeigte sich bei mir zunächst nicht der Hauch einer Live-Vorschau. Alles wie gehabt! So sehr ich auch verschob, drehte und bearbeitete, ich erhielt als Vorschau nur die Bewegung des Pfades und das Resultat war erst nach Loslassen der Maustaste sichtbar. Der Grund ist, dass Adobe den Anwender erst in den Genuss dieser wertvollen Funktion kommen lässt, wenn er sie in den Voreinstellungen aktiviert hat. Dazu öffnet man am Mac das Illustrator– und unter Windows das Bearbeiten-Menü und wählt unter Leistung die Funktion Zeichnen und Bearbeiten in Echtzeit an.

Allerdings hängt es vom Rechner bzw. der darin verbauten Grafikkarte ab, ob und wie viel Live-Vorschau in Echtzeit zu haben ist. Je nach Leistung der Karte werden Sie Elemente und Gruppen nur bis zu einer gewissen Komplexität mit der neuen Live-Vorschau bearbeiten können. Bei zu komplexen grafischen Gruppen sieht man stattdessen die bislang bekannte Vorschau, in der lediglich Pfade bzw. Begrenzungsrahmen ohne Füllungen angezeigt werden. Dennoch macht die einmal aktivierte Funktion so viel Freude, dass man sofort vergisst, dass wir bis 2020 warten mussten, um endlich so arbeiten zu können.

Schade ist, dass die Live-Vorschau bei der Bearbeitung von Gruppen mit dem Angleichen-Werkzeug nur teilweise funktioniert. Zwar erhalte ich eine unmittelbare Vorschau der Veränderung, wenn ich die Gruppe mit dem Ankerpunkt-Werkzeug bearbeite, nicht aber, wenn ich das Direktauswahl-Werkzeug verwende. Logisch scheint mir das nicht. 

Leider gibt es auch immer noch keine Live-Vorschau für die Einstellung von Farben. Wenn Sie in Illustrator im Farbe-Bedienfeld oder einem Farbeinstellungsdialog einen der Regler für Rot, Grün oder Blau, Cyan, Magenta, Gelb oder Schwarz oder auch Tonwert bewegen, sehen Sie die Auswirkung immer erst, wenn Sie den Regler loslassen. Wer schon einmal mit einem Affinity-Produkt gearbeitet hat, weiss, wie angenehm es ist, die Veränderung von Farben unmittelbar mitverfolgen zu können, während man den Slider zieht  – Live eben! Man fragt sich, wieso die Adobe-Entwickler das nicht in einem Aufwasch mit der Live-Vorschau für die Bearbeitung erledigt haben. Lassen wir uns aber nicht von den fehlenden Funktionen die Freude an denen verderben, die verbessert wurden!

Ist die Funktion Zeichnen und Bearbeiten in Echtzeit aktiviert, werden Objekte beim Verschieben und Transformieren gefüllt angezeigt, so dass man schon während der Bearbeitung sieht, ob es sich vor oder hinter anderen Elementen befindet.

Verbessert wurden auch das Frei-Transformieren-Werkzeug und die damit verknüpften Funktionen Perspektivisch verzerren und Frei verzerren. Ich würde sogar sagen, dieses Werkzeug ist nun endlich gut geworden. Bislang war die ganze Werkzeuggruppe für mich relativ unbrauchbar. Die Funktion an sich hätte ich zwar schon mehrfach benötigt, doch der Umstand, dass der Verzerrungsrahmen umgehend in eine Rechteckform zurückspringt, sobald man die Maustaste loslässt, stand bei mir bislang dem praktischen Einsatz entgegen. Jetzt hat sich das geändert, und so wird das Werkzeug bei mir zukünftig wahrscheinlich öfter Anwendung finden. Soll der verzerrte Frei-Transformieren-Rahmen dennoch wieder einmal zum Rechteck werden, wählt man Objekt > Transformieren > Begrenzungsrahmen zurücksetzen – alternativ geht das auch über einen Rechtsklick.

Um in den Genuss der Echtzeit-Vorschau zu kommen, ist in den Voreinstellungen die entsprechende Option zu aktivieren.

Einige Anwender haben sicherlich schon lange darauf gewartet, ganze Zeichenflächen samt Inhalt kopieren zu können. Sie brauchen dazu nur das Zeichenflächen-Werkzeug zu aktivieren und können dann wie gewohnt unter Windows mit CTRL+C und CTRL+V und am Mac mit CMD+C und CMD+ kopieren und einfügen. Das geht sowohl innerhalb desselben Dokuments, als auch von einem Dokument in ein anderes. Alternativ können ganze Zeichenflächen bei aktiviertem Zeichenflächen-Werkzeug mit gedrückter Alt-Taste (am Mac Optionstaste genannt) verschoben und dabei kopiert werden. Dabei bleiben die Ebenen erhalten, wenn vorher die  entsprechende Funktion im Ebenen-Bedienfeld aktiviert wurde. Durch Shift-Klicks lassen sich zudem mehrere Seiten aktivieren und können zusammen kopiert und einfügt werden. Zu unerwarteten Ergebnissen kann es allerdings kommen, wenn eine Ebene Schnittmasken enthält. Ich beziehe mich dabei nicht auf die Schnittmasken, die über Objekt > Schnittmaske > Erstellen zustande kommen, sondern auf jene, die über Schnittmaske erstellen im Menü des Ebenen-Bedienfelds erzeugt werden.

Der Rahmen des Frei-Transformieren-Werkzeugs behält nun bei Verzerrung die verzerrte Form, anstatt wie bisher unmittelbar nach Loslassen der Maustaste wieder in ein Rechteck zurückzuspringen.
Zeichenflächen lassen sich nun samt Inhalt kopieren und einfügen. Das geht auch, wenn man während des ­Verschiebens die Alt-Taste hält.

Neben all diesen Neuerungen verspricht Adobe darüber hinaus weniger Probleme mit beschädigten Dokumenten – worüber ich mich in meiner Arbeit aber schon bisher nicht beklagen konnte, jedenfalls nicht in Illustrator. Auch soll die Anpassung der Werkzeugleiste nun intuitiver erfolgen. Und wie mit jeder neuen Version egal welcher Software wird uns wieder einmal mehr Stabilität und mehr Performance versprochen.

Dürfte ich mir von Adobe für zukünftige Aktualisierungen etwas wünschen, dann wäre das, neben der Live-Vorschau während der Farb-Einstellung, eine höhere Zuverlässigkeit bei der Ausrichtung von Objekten an Hilfslinien und dem Raster. Viele meiner Zeichnungen basieren auf Konstruktionen, und dabei kommt es immer wieder zu Abweichungen, die eigentlich nicht sein dürften.

Markus Wäger

Markus Wäger ist Grafikdesigner, Autor und Referent für Fotografie und Gestaltung. Er lebt und arbeitet in Schwarzach in Vorarlberg und hat Bücher über Photoshop, InDesign, Grafik und Gestaltung, Farbenlehre, Fotografie sowie Affinity Photo geschrieben. Unter www.markuswaeger.com betreibt er einen Blog und auf YouTube einen Kanal mit mittlerweile über 280 Workshops und Tutorials zum Thema Fotografie und Gestaltung. Die Illustrationen zu seinen Büchern erstellt er überwiegend in Adobe Illustrator.
blog19@markuswaeger.com

  • Autor Markus Wäger
    Er ist Grafikdesigner, Autor und Referent für Fotografie und Gestaltung. Er lebt und arbeitet in Schwarzach in Vorarlberg und hat Bücher über Photoshop, InDesign, Grafik und Gestaltung, Farbenlehre, Fotografie sowie Affinity Photo geschrieben. Unter www.mar- kuswaeger.com betreibt er einen Blog und auf YouTube einen Kanal mit mittlerweile über 280 Workshops und Tutorials zum Thema Fotografie und Gestal- tung. Die Illustrationen zu seinen Büchern erstellt er überwiegend in Adobe Illustrator.
  • Rubrik Publishing
  • Dossier: Publisher 3-2020
  • Thema Adobe, Frei-Transformieren, Updates, Adobe Illustrator

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