Statt Papier wird Vlies verarbeitet

Not macht erfinderisch, sagt man, doch neben Einfallsreichtum braucht es auch Mut und Engagement. Daniel Haas hat in der Coronakrise sein Unternehmen diversifiziert und unterstützt seither die Schweizer Produktion von Schutzmasken bei der Wernli AG. 

Die Coronakrise trifft unzählige Unternehmen und macht auch vor der grafischen Industrie keinen Halt. Die Auftragslage für Druckaufträge ist eingebrochen und Investitionen werden nur mit Zurückhaltung getätigt oder verschoben. So viele Mitarbeiter wie möglich arbeiten von zu Hause aus– wegen Kurzarbeit aber oft nur mit reduziertem Pensum. Die herausfordernde Situation bedeutet für Daniel Haas, Inhaber der Haas AG eine Beschleunigung der bisherigen Umstände in der Branche: «Die Krise war vorher schon da und eine Bereinigung auf dem Schweizer Markt stand sowieso bevor.» In solchen Zeiten muss man aufgrund der Bewegung im Markt erfinderisch sein. Zwar werden Kurzarbeit und Corona-Kredite die Wirtschaft stützen, jedoch die Umsatzeinbrüche kaum auffangen. «Die Coronakrise bedeutet für die grafische Industrie einen enormen Verlust, denn man kann die verlorenen Aufträge nicht einfach wie einen Haarschnitt beim Coiffeur nachholen. Doch gibt es immer Gewinner und Verlierer», sagt Daniel Haas. Deshalb hat der Unternehmer in dieser Ausnahmesituation nicht nur seine Prozesse schlanker gestaltet, sondern auch den Sprung nach vorne gewagt und auf die Veränderungen am Markt reagiert. In Ergänzung zu seinem bisherigen Geschäft unterstützt das Unternehmen einen der wenigen Schweizer Produzenten von Schutzmasken bei der Installation und Betreuung seiner Systeme. 

Einschränkungen führen zum Umdenken

Die Haas AG kennt man in der grafischen Industrie als Dienstleister für Maschinen zur Weiterverarbeitung von Drucksachen. Ausgehend von simpler Falztechnik reifte das Unternehmen über die Jahre zum kompetenten Anbieter für diverse Sonderlösungen heran. Mit dem notwendigen Ingenieurwissen entwickelt es heute nicht nur eigene Lösungen, sondern importiert auch italienische und chinesische Finishing-Systeme, die für den Schweizer Markt aufbereitet werden. Doch die Coronakrise und die damit verbundenen Massnahmen des Bundes trafen auch den Betrieb aus Volketswil. Aus China und Italien wurden keine Maschinen mehr geliefert, die Servicemitarbeiter konnten bei den Bestandskunden kaum noch Besuche zur Wartung vereinbaren und an den Verkauf neuer Systeme war gar nicht mehr zu denken. «Zudem wurde der Aufwand für die wenigen aktiven Kunden wesentlich grösser, denn pro Schicht durfte im Produktionsbetrieb nur noch ein Techniker vor Ort sein. Deshalb musste eine Lösung gefunden werden und Daniel Haas schaute sich um, wo man etwas bewegen konnte.

Chancen sehen und wahrnehmen

In der Zeit der Corona-bedingten Einschränkungen erhielt Daniel Haas die Anfrage, ob er nicht auch Maschinen zur Herstellung von Schutzmasken organisieren könne. Die Haas AG hatte damit keine Erfahrung, sicherte dem potenziellen Kunden aber zu, sich darum zu kümmern. Ein System wurde zwar evaluiert und trotz geringem Marktangebot mit einer Kaufoption reserviert, schlussendlich kam das Geschäft aber aufgrund eines fehlenden Zertifikats nicht zustande. Motiviert von dieser Anfrage nahm Daniel Haas Kontakt mit weiteren potenziellen Abnehmern für Systeme zur Herstellung von Schutzmasken auf. Als die Nachfrage stieg, war er schliesslich in der Lage, eine reservierte Maschine zu verkaufen.

Zu den kontaktierten Personen gehörte auch Felix Schönle, CEO der Wernli AG in Rothrist. Das auf die Herstellung von Bandagen spezialisierte Unternehmen hatte gerade eine Maschine in China gekauft und erhalten, entsprechend war Schönle nicht an einem Kauf interessiert. Jedoch wurde das System ohne Bau- oder Bedienungsanleitung zugestellt und Schrauben in allen Grössen und Formen wurden unübersichtlich in einem grossen Karton mitgeliefert. So kam der Anruf von Daniel Haas gelegen und Schönle beauftragte ihn mit der Installation der Maschine. Dabei vertraute er auf das technische Wissen für Systeme der industriellen Produktion bei der Haas AG. «Die Verarbeitung von Papier oder Vlies sind durchaus ähnliche Prozesse», erklärt Daniel Haas. Seine Firma nahm die Herausforderung an und baute das System an einem Wochenende funktionstüchtig zusammen. Seither läuft die Maschine im produktiven Einsatz und stellt Einweg-Schutzmasken vom Typ II R her. Von der enormen Nachfrage überrannt, hat die Wernli AG innert kürzester Zeit fünf weitere Maschinen gekauft und nach der ersten erfolgreichen Montage die Haas AG für weitere Aufbauten engagiert. Auch wenn die Installationsschritte bei diesen Maschinen besser dokumentiert waren, konnte kein Techniker zur Betreuung aus China einfliegen, entsprechend war das Wissen der Mitarbeiter von Daniel Haas gefragt. «Die Haas AG hat uns in der ausserordentlichen Situation schnell und kompetent unterstützt, dafür sind wir sehr dankbar», betont Felix Schönle von der Wernli AG. 

Schutzmasken als langfristiges Engagement

Für die Haas AG ist die Exkursion in die neue Branche einerseits eine willkommene Ergänzung in schwierigen Zeiten, bedeutet aber durchaus auch eine pragmatische Diversifizierung in die neue Branche. «Ich sehe das als langfristiges Engagement», so Daniel Haas über die Zusammenarbeit mit der Wernli AG. «Das grosse Risiko ist die Wernli AG eingegangen, denn die Maschinen sind zwar ausgelastet, müssen aber auch amortisiert werden», sagt Haas weiter. Obwohl die Wernli AG seither mit Schutzmasken doppelt so viel Umsatz wie mit Verbänden macht, kann die Nachfrage schnell wieder einbrechen oder der Preis auf ein unwirtschaftliches Niveau fallen. «Dennoch sind wir froh, auf gute Techniker und Allrounder in unserer Firma zählen zu können», so Daniel Haas über sein Abenteuer in die Fertigung medizinischer Produkte.

Wernli AG
Die Wernli AG wurde 1932 von Jakob Wernli in Aarau gegründet. Er machte sich mit einem ­hölzernen Handwebstuhl selbstständig und produzierte damit die ersten Wernli-Binden. Im Jahr 2020 sieht das Geschäft der Wernli AG ein wenig anders aus. Sie ist nicht nur der letzte Hersteller von Verbandsstoffen, der in der Schweiz produziert. Während der Corona-Pandemie ist das Unternehmen auch in die Herstellung von Schutzmasken eingestiegen. Felix Schönle, der CEO der Wernli AG wurde von zwei Spitälern angefragt, ob er Schutzmasken produzieren könne. Zuerst wollte man diese am Wernli-Standort in Ungarn produzieren, war ein Import der Masken aus Ungarn in die Schweiz aufgrund der aktuellen Situation undenkbar. So war schnell klar, dass die Schutzmasken vorerst in der Schweiz produziert werden müssen. Da Felix Schönle bereits frühzeitig im Februar Material bestellt hatte, war dieses auch noch lieferbar und zu normalen Preise erhältlich. Nur kurze Zeit später schossen die Preise in die Höhe und die Transportbedingungen wurden erschwert. Nachdem einige Medien von der Installation der ersten Maschine bei Wernli erfuhren, wurde das Unternehmen mit Anfragen überschwemmt. Die enorme Nachfrage sorgte dafür, dass die Maschine innerhalb von zwei Tagen bis zum Rest des Jahres ausgelastet war. Entsprechend wollte Schönle weitere Maschinen kaufen, was jedoch mit Preiserhöhungen und Schwierigkeiten beim Transport verbunden war. Trotzdem traf er einen «mutigen Entscheid im März», wie Schönle selbst sagt, und tätigte die Investitionen. Mittlerweile betreibt er zwar fünf Maschinen für die Schutzmasken-Produktion, ist aber eher skeptisch, was die Entwicklung der Nachfrage nach Schutzmasken angeht. Schönle schätzt den Betrieb der Maschinen als ein Risikogeschäft ein. Seines Erachtens ist nicht klar, wie lange in der Schweiz konkurrenzfähig produziert werden kann. Sollte dies nicht mehr der Fall sein, wird er seine Maschinen nach Ungarn verlegen. Von dort aus können dann Ungarn und angrenzende Länder beliefert werden.


  • Autor Laurent Gachnang
    Laurent Gachnang ist seit über 15 Jahren in der Medien- und Unterhaltungsindustrie tätig. Er gilt als Experte für digitales Publizieren und Online Marketing. Zuletzt arbeitete er bei einem Medienunternehmen als Marketingverantwortlicher und war massgeblich an der Lancierung eines Change-Prozesses beteiligt. Als Gastdozent ist er an diversen Fachhochschulen sowie ehrenamtlich als Mentor bei der Startup Academy Basel tätig.
  • Rubrik Print
  • Dossier: Publisher 3-2020
  • Thema Coronakrise, Wernli AG, Haas AG, Schutzmasken

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