Mit Graphit und Genie zu Gold

Wer kennt sie nicht – die roten Schachteln von Caran d’Ache und die mechanischen Bären, Hasen und Igel in den Schaufenstern grosser Schweizer Bahnhöfe? Doch welches ­Engagement war nötig, um in der Schweiz eine Bleistiftfirma zu etablieren? Und welche persönlichen Schicksale waren damit verbunden? In seinem Buch «Die Caran d’Ache Saga» erzählt Ralph Brühwiler die packende Geschichte, wie aus der kleinen Genfer Bleistift­fabrik eine Weltmarke wurde. Das Buch ist seit November im Handel. 

Erstmals in ihrer über 100-jährigen Geschichte öffnete Caran d’Ache einem Aussenstehenden ihr Firmenarchiv. Die Dokumente zeigen, mit welchen Hindernissen und Schwierigkeiten die Gründer zu kämpfen hatten, um die Vorgängerfirma «Fabrique Genevoise de Crayons S.A.» zur Zeit des Ersten Weltkriegs ins Leben zu rufen. Sie zeigen aber auch, wie schnell es dem St. Galler Börsenmakler und Investor Arnold Schweitzer ab 1924 gelungen ist, unter dem neuen Firmennamen «Caran d’Ache» eine Marke zu kreieren, die in Schulen, Betrieben, bei Behörden und Künstlern mit zunehmender Sympathie aufgenommen wurde. 


Ein Marketinggenie
Packend schildert Autor Ralph Brühwiler, wie Albert Schweitzer sich in das Abenteuer ­Caran d’Ache stürzte. So erfährt man quasi live, mit welcher Begeisterung er seine Werbekampagnen in die Tat umsetzte: In Schaufenstern mit beweglichen Tierfiguren wie schulmeisterlich dirigierende Bären oder Hasen, die auf Fahrrädern mit Farbstiftspeichen sitzen; auf den Strassen mit Werbefahrzeugen, die er mit einem überdimensionierten Farbstift auf dem Dach ausstattete; in Inseraten, die er so phantasievoll formulierte und gestaltete, dass man heute darüber schmunzeln muss. Die umfangreichen Recherchen und die Gespräche, die Brühwiler mit Nachfahren von Arnold Schweitzer führen konnte, bringen aber auch die Schicksalsschläge zutage, die der Firmengründer zu verkraften hatte und an denen er schliesslich zerbrochen ist.


Der Weg zur Luxusmarke
Ralph Brühwiler hat bei seinen Internetrecherchen Tausende von Dokumenten gesichtet und in zahlreichen Archiven bisher unbekannte Vorkommnisse entdeckt. Sie zeigen, wie vernetzt die Firmenverantwortlichen schon damals waren. Er verwebt darüber hinaus die Schicksale weiterer Persönlichkeiten, die alle – bis zu den heutigen Eigentümerfamilien Hubscher, Reiser und Christin – dazu beitrugen, dass aus einer kleinen Genfer Bleistiftfabrik eine Weltmarke wurde. Mit Geschäftssinn, Visionen und einem beeindruckenden Innovationsgeist ist es ihnen gelungen, die Marke zusätzlich in der Welt des Luxus zu etablieren, in der nicht nur Farben, sondern auch diamantenbesetzte Schreibutensilien glänzende Augen hervorrufen. 


Anekdoten und Legenden
Das Buch enthält Anekdoten, welche die Kreation von heute höchst erfolgreichen Produkten veranschaulicht – wie etwa die Geschichte der wasserlöslichen Wachsmalstifte «Neocolor II», die 1974 auf den Markt kamen. Zuvor hatte es eine Häufung von Reklamationen, unter anderem von einem Hauswart einer Neuenburger Schule gegeben. Dieser beklagte sich, dass er mühselig ein achtstöckiges Schulhaus mit Holztüren und Holzpulten reinigen müsse, die regelmässig mit festhaftenden «Neocolor I» bemalt würden. «Jedenfalls sanken die Umsatzzahlen, gewisse Läden drohten sogar, die Neocolor aus dem Sortiment zu nehmen. So schufen wir die wasserlöslichen ‹Neocolor II›, die auch abwaschbar sind», erzählt der damalige Produktionschef Charles Jeanmonod mit einem verschmitzten Lächeln Reportern auf einem Betriebsrundgang.
Der Buchautor erwähnt aber auch Rückschläge – wie den Schweizer Kunstpreis, den die Firma 1988 lancierte: Der mit 40 000.– Franken dotierte «Prix Caran d’Ache Beaux-Arts», den Kulturschaffende wie das Künstlerduo Fischli/Weiss oder Niki de Saint Phalle erhielten, fand nach nur vier Auflagen ein abruptes Ende: Er hatte nicht die erhoffte Resonanz gebracht. 


«Wir sind eine grosse Familie»
Das reich illustrierte Werk führt von Genf aus an Schauplätze in St. Gallen, Schaffhausen, Zürich, Berlin, St. Petersburg, Marseille, Paris, New York, Shanghai und Kuala Lumpur. Menschen kommen zu Wort, die Jahrzehnte in der Firma gearbeitet haben. Menschen, die neue Farben entwickeln, neue Modelle edler Schreibutensilien schaffen, neue Kooperationen eingehen. «Wir sind eine grosse Familie», sagt Carole Hubscher, die seit 2012 in vierter Generation an der Spitze des Unternehmens steht. In ihrem Büro hängt ein Porträt von Arnold Schweitzer. 

Der Autor
Ralph Brühwiler (*1956 in St. Gallen) ist in Genf und Oberuzwil aufgewachsen. Studium der Journalistik in Fribourg, Lokaljournalist bei den Freiburger Nachrichten, ­später Ressortleiter St. Galler Tagblatt und danach Chefredaktor Der Toggenburger. 1994 Wechsel in den Magazin-Journalismus. Seit 2012 verfasst er biografische Werke. ralphbruehwiler.ch

Die Caran d’Ache Saga.
Von Genf in die Welt
von Ralph Brühwiler
NZZ Libro, Basel, 2020. 264 S., 107 Abb., 17 × 24 cm, gebunden.
CHF 49.– (UVP) / € (D) 49.– / ISBN 978-3-03810-495-7


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