Riechen, fühlen, sehen – ein Plädoyer für den Siebdruck

Wenn ich die Augen schliesse und an Siebdruck denke, steigt mir sofort sein spezifischer Geruch in die Nase. Ich fühle die leichte Erhabenheit auf einer Papieroberfläche und sehe glasklare Farben. Bei aller Affinität zu den modernen Möglichkeiten des Gewerbes: Nur der Siebdruck vermag es, wirklich alle Sinne einzufangen. Ob dieser momentan eine Renaissance erlebt oder gar «tot» ist, wollte ich tiefer ergründen.

Am liebsten vermeide ich es inzwischen, Corona auch nur andeutungsweise in Beiträge einfliessen zu lassen. Wenn wir über Siebdruck und ganz generell die grafische Druckindustrie sprechen, kommt man aber nicht umhin zu konstatieren: Die Einschnitte, die diese Pandemie mit sich brachte, haben das Gewerbe hart getroffen. Messen, kulturelle Veranstaltungen, Gastronomie und Hotellerie – überall, wo regelmässig feine Drucksachen wie Einladungen, Flyer oder Gutscheine gebraucht wurden, fegte Corona hinweg und riss grosse Lücken. «Siebdruck – quo vadis?», fragte ich mich also mitten im Lockdown und sprach mit Unternehmern, die trotz allem die Maschinen am Laufen halten oder – treffender gesagt – weiter handwerken.

«Der Siebdruck ist unglaublich vielfältig, zum Beispiel in der Veredelung von Offset Drucksachen» so Joel Schmid von Brander Siebdruck. brander-siebdruck.ch
Fotografie: Fabian Frinzel

Dass der industrielle Siebdruck mit dem grafischen trotz gleicher Technik nicht unbedingt vergleichbar ist, sei vorausgeschickt. Es steht jedoch immer 1:0 für den Siebdruck, wenn Materialien vorliegen, die sich nicht durch die Offsetmaschine jagen lassen. Was macht aber den Siebdruck darüber hinaus so besonders? «Der Mensch an der Maschine ist hier nach wie vor das Wichtigste, ohne ihn geht es nicht», erklärt mir Roland Eichmüller, der in seiner Druckerei Howigra im Appenzeller-Vorderland 16 Mitarbeiter beschäftigt, die an acht Sieb- und sieben Tampondruckmaschinen stets perfekte Ergebnisse realisieren möchten. «Es ist immer noch ein ‹Hand-Werk›, das dementsprechend handwerkliches Geschick benötigt. Das bedeutet auch, dass der Drucker an der Maschine tatsächlich grossen Einfluss auf das Gelingen des Drucks hat und deshalb viel Erfahrung benötigt. Nicht ohne Grund dauert die Ausbildung unserer Lernenden vier Jahre. Ständig wird mit Verdünnern, Verzögerern und Härtern gearbeitet, und ausserdem muss die Farbe rechtzeitig nachgegossen werden. Das kann kein Computer oder Messgerät leisten. Trotzdem ist es auch ein modernes Handwerk, denn wir arbeiten inzwischen natürlich ebenfalls mit Druckdaten, Filmplottern und automatischen Druckmaschinen».

Ganz ähnlich sieht das auch Joel Schmid, der als Inhaber und Geschäftsführer die Geschicke von Brander Siebdruck in Mörschwil leitet: «Der Siebdruck hat sich im Vergleich zu anderen Druckverfahren nicht allzu sehr verändert und das ist aus meiner Sicht auch gar nicht nötig. Seine Qualitäten werden selbst in der Zukunft nicht von anderen Druckverfahren abgelöst werden.» Gerade deshalb sieht er sich und Siebdruckerin Alena Hug gut ausgelastet – denn einer der Vorteile des Siebdrucks liegt gerade in der Flexibilität: «Wir durften zum Beispiel schon öfter Glastüren beschriften oder haben bereits ganze Museen mit Vitrinen und Tafeln bestückt, die wir im Siebdruck realisierten. Solche langlebigen Projekte machen auch noch in zehn oder zwanzig Jahren grosse Freude».

Lorenz Boegli spielt leidenschaftlich gerne mit metallischen und irisierenden Reflexionen, die der Siebdruck ermöglicht. lorenzboegli.ch

Siebdruck ist nicht gleich Siebdruck
Während besondere Werbeaussendungen mit Spezialeffekten oder aber der Einsatz auf Produkten eine breitere Masse ansprechen, gibt es noch die andere Seite des Siebdrucks: Nicht erst seit Andy Warhol ist dieser auch in der Kunst- und Grafikwelt verortet und kommt für feine Editionen zum Einsatz. Der Drucker braucht hier ein besonderes Gespür für seinen Kunden und kann durchaus als verlängerter Arm des Kreativen bezeichnet werden.

Ein Meister seines Fachs ist unbestritten Lorenz Boegli, der in seiner Siebdruckwerkstatt nicht nur an Aufträgen tüftelt und unausgesprochene Anforderungen erahnt, sondern auch viel Zeit und Energie in die Entwicklung eigener Umsetzungen steckt. Er sieht den Drucker nicht nur als Dienstleister, sondern auch als Ideengeber: «Das ist ein Angebot, das kreative Produktionsfirmen immer machen. Durch gestalterische Effekte im Druck, die Möglichkeiten der Buchbindung oder aber durch die Materialwahl kann der Kreativprozess massiv erweitert werden», erläutert Lorenz Boegli und unterstreicht ebenfalls die Tatsache, dass der Siebdruck eine sehr persönliche Technik ist, mit der der Mensch Qualität und Resultat stark beeinflussen kann. «Im Offset hat sich die automatisierte Technik von einer grossen Hilfestellung in Sachen Perfektion zu einem Pferdefuss entwickelt – hier kann man sich nur noch über Service, Geschwindigkeit und tragischerweise über den Preis differenzieren. Damit hätte ich ein grosses Problem.»

Den grössten Anteil seiner Aufträge generiert Lorenz Boegli durch eigene innovative Entwicklungen. Fotos: Rob Lewis Photography

Mit Sorge betrachtet er aber auch die schwindende Nachfrage im grafischen Siebdruck, dem Corona vermutlich den «letzten Dolchstoss» versetzte. Die einzige Chance sieht er darin, eigene Effekte zu entwickeln und damit Aufträge zu generieren. «Durch die ausschliessliche Beschäftigung der Grafiker und Grafikerinnen mit ihrem Werkzeug Adobe, sind analoge Gestaltungsmöglichkeiten kaum mehr präsent. Papiere, Druckverfahren, Ausrüstmöglichkeiten, Bindearten – all das ist sehr in den Hintergrund gerückt und spielt bei der Ideenfindung keine Rolle mehr.

Somit ist der Ansatz bereits digital angelegt und lässt keinen Spielraum zu. Dieses Übergewicht kann auch nicht dadurch kompensiert werden, dass gelegentlich an Hochschulen ein Plakat im Siebdruck erstellt wird.» Er selbst sieht seine Arbeit vorrangig im Sehen – «eine tiefe intellektuelle Beschäftigung, die mühsam ist und Energie frisst». Doch nur auf diese Weise stösst er auf innovative Möglichkeiten, wie dem Einsatz von Farbpigmenten aus der Kosmetikindustrie. Oder er lässt eine Karte entstehen, deren Motiv sich durch eine integrierte Beleuchtung verändert. «Hier habe ich die komplette Elektronik im Siebdruck in der Stärke eines 90 g/qm-Papiers gedruckt», erzählt Boegli.

Und auch neue Felder öffnen sich, die nicht immer direkt in der Produktion, sondern vielmehr im Fachwissen zu Pigmenten, Farbeffekten und -wirkung liegen – der Beratungs- und Entwicklungsbedarf hinsichtlich besonderer Oberflächen in der produzierenden Industrie ist enorm. Boegli reagiert ebenso auf Impulse von aussen wie auf die zunehmende Nachfrage nach ökologischen Drucken. Mit grossem Ehrgeiz tüftelt er gerade an einem essbaren Druckwerk – nicht, um eine essbare Karte herzustellen, sondern schlichtweg, um die Grenzen des Siebdrucks einmal mehr zu sprengen. Das Bindemittel bereitet ihm noch ein wenig Kopfzerbrechen, aber wer Lorenz Boegli kennt, weiss, dass er auch hierfür eine Lösung finden wird.

Mit fluoreszierendem Effekt wird eine Drucksache zum Schmuckstück. Produktion: Howigra

Schier grenzenlose Möglichkeiten
So vielfältig die Effekte im Siebdruck sind, so vielfältig sind also auch die Aufgabenstellungen. Und bei aller Faszination gilt es natürlich nach wie vor zu überlegen, ob für ein Projekt der Digitaldruck nicht doch geeigneter ist. Bei einer gewünschten Personalisierung ist der Siebdruck beispielsweise weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll – müsste doch für jede Variante ein neues Sieb hergestellt werden.

Ansonsten bietet er jedoch mit einer breiten Palette an drucktechnischen Raffinessen – ob Duftlack, Rubbelfeld, die Imitation von Sand oder gar Wassertropfen – viele kreative Möglichkeiten, die sich anderweitig eben gar nicht oder nicht in Perfektion realisieren lassen: Ein tatsächlich deckendes, strahlendes Weiss auf dunklen Naturpapier-Qualitäten ist zum Beispiel – LE-UV hin oder her – im Offset noch schwerlich zu erzielen. «Der farb- und lichtechte Druck, die reinen Farben ohne Raster in CMYK, deckendem Weiss, Gold-, Silber- und anderen speziellen Farbtönen sowie der Druck auf fast allen Untergründen – das macht den Siebdruck so besonders», schwärmt Roland Eichmüller. Und auch Joel Schmid stimmt dem zu: «Der Siebdruck ist einfach wahnsinnig vielfältig und universell einsetzbar. Sei es auf Glas oder Türen direkt am Bau, auf Gehäusen, Maschinenteilen, Kartonschachteln, Tastaturfolien oder Textilien.»

Scheinbar echte Wassertropfen erregen sofort Aufmerksamkeit. Produktion: Howigra.

Mit immer neuen haptischen und optischen Reizen darf man also auch im Siebdruckgewerbe durchaus positiv in die Zukunft schauen. Die (werbende) Industrie hätte es ohne die Möglichkeiten des Siebdrucks jedenfalls schwer, aussergewöhnliche Akzente zu setzen, die obendrein auch für grosse Auflagen bezahlbar sind. «Wir arbeiten stetig an innovativen Möglichkeiten, die Aufmerksamkeit eines Printprodukts zu erhöhen – das ist unsere Stärke und die des Siebdrucks», resümiert Roland Eichmüller.

Seit 1956 werden bei Howigra alle Register des Siebdrucks ­gezogen – hier sorgt partieller Glitzerlack für Aufsehen. howigra.ch

Der grafische Siebdruck hingegen muss ein wenig mehr strampeln, um sich als das zu präsentieren, was er ist: Ein faszinierendes Handwerk, das eine kreative Idee zur Perfektion führen kann. Oder, um es mit ­Lorenz Boegli zu sagen: «Der Unterschied zwischen der Masse an Gestaltern und den einzelnen Stars in der Grafikbranche liegt darin, dass letztere nicht mit Adobe, sondern gemeinsam mit dem Buchbinder und Drucker gestalten.» 

  • Autor Bettina Schulz
    Bettina Schulz ist freiberufliche Texterin und Journalistin in München. 18 Jahre lang leitete sie als Chefredakteurin das internationale Fachmagazin novum World of Graphic Design und initiierte in dieser Zeit auch die alle zwei Jahre stattfindende Creative Paper Conference in München. Zudem ist sie Jurymitglied verschiedener (internationaler) Designwettbewerbe wie beispielsweise dem Red Dot Communication Design, dem Design Preis München oder dem IIIDaward und hielt bereits zahlreiche Vorträge. Zu ihren Kunden zählen Verlage, Agenturen und Kreative sowie Unternehmen aus der Wirtschaft. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Bereichen Papier, Druck und Veredelung. www.bettina-schulz.de.
  • Rubrik Design & Praxis
  • Dossier: Publisher 2-2021
  • Thema Siebdruck

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