Lernen für den Markt

Das duale Bildungssystem der Schweiz ist eine feste Säule der beruflichen Landschaft. In der Tat führen verschiedene Wege nach Rom. Staatliche und private Institutionen bilden den Willen ab, immer dazuzulernen und besser zu werden. Corona hat uns die Bedeutung des sozialen Miteinanderlernens aufgezeigt. Sowohl Lehrkörper als auch Schüler haben die ersten Lernschritte im Fernunterricht getan.

Ich selbst bin – als Lehrer und Schüler – nicht so begeistert vom Remote-Unterricht. Er ist langweiliger, monotoner und oft frei von unmittelbarem Feedback. Die Teilnehmer an einer Konferenz müssen wegen miserabler Übertragungsqualität ihre Mikrofone oder sogar die Kamera ausschalten. Der Ton kommt ruckelnd oder asynchron, die Aufzeichnungsqualität ist unterirdisch schlecht.

Ich bin ziemlich sicher, dass der Direktunterricht dem Fernunterricht in dieser dilettantischen Form um Meilen voraus ist. Videokonferenzen werden ihre Vorteile dort ausspielen, wo die Ungebundenheit von Zeit und Ort oder die Kosten eine Rolle spielen.

Wir sollten uns darauf gefasst machen, dass auch Bildung grenzenlos werden wird. Liegt es nicht auf der Hand, dass beliebige Lerninhalte vom Anbieter AB auf der Plattform XY weltweit portiert werden? Ich sehe keinen Grund, weshalb Lerninhalte übers digitale Aufbereiten und Drucken von PDF in jedem Land und auf jeder Stufe separat bereitgestellt und vertrieben werden. YouTube quillt schon jetzt vor Photoshop-Tutorials über.

Der Nutzen und die Qualität der Bildungsinhalte scheinen entfesselt, und niemand kann abschätzen, wie sich der Fernunterricht auf die Berufslandschaft auswirken wird. Was mit dem Demokratisierungsprozess des Desktop-Publishings in den Achtzigerjahren begonnen hat, findet heute die logische Fortsetzung in der globalen Bildungslandschaft. Photoshop-Kenntnisse wie das Freistellen gelangen so nach Nepal, wo der Tageslohn eines Trägers um die fünf Dollar beträgt. Wer kann es ihm verdenken, neuerdings übers Internet komplexe Freisteller in Photoshop herzustellen und für fünf Dollar zu verkaufen? Das Internet verteilt nicht nur Güter und Dienstleistungen, sondern auch Knowledge. Und was macht das Internet mit uns selbst? Ist unser Wissen zukünftig noch marktfähig? Oder genügt es, jemanden zu kennen, der es eben kann?

Das Wissen im Internet ist ein Flickenteppich, aufgeteilt in unendlich viele zusammenhanglose Sessions. In den meisten Fällen einer digitalen Mediaproduktion braucht es vernetztes Denken und nicht einfach eine Anhäufung von Spezialwissen und Fertigkeiten eines einzelnen Arbeitsschrittes. In einem sich ständig ändernden Berufsumfeld ist man mit jeder Neuerung sowieso wieder ein Anfänger, siehe Videokonferenzen. Das vernetzte Denken, gesunder Menschenverstand und Sozialkompetenz zeichnen den wertvollen Zukunftsworker aus. Eigenschaften, die in Lebensläufen leider wenig gefragt sind. Die Anbieter sollten darauf achten, spezialisierte Bildungsinhalte nicht zu stark zu betonen und das (zertifizierte) Bildungsziel als Gesamtwerk im Auge zu behalten. Marktfähigkeit bedeutet nicht elitäres Wissen, sondern praktische Handlungskompetenz.

Wir sollten aufhören, Wissensidioten auszubilden, die ihr technisches Wissen ohne gestalterisch-funktionalen Hintergrund einsetzen. Viel zu kleine Suchfelder auf der Webseite, hellgrau aufgerasterte Schrift, weisse Schrift auf hellgrauem Grund, nicht plakative Plakate, Schreibfehler, bedenkliche Formulierungen. Wie man etwas herstellt, ist leicht lernbar, warum man es so oder so tut, ein anderes Paar Schuhe.

  • Autor Ralf Turtschi
    Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG. Der Autor ist als Journalist und Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden,
    tätig, wo er im Diplomlehrgang Fotografie der Masterclass Fotografie und an der Höheren Fachschule für Fotografie unterrichtet.
  • Rubrik Kolumne
  • Dossier: Publisher 3-2021
  • Thema Bildung

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